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Neue Grube mit menschlichen Knochen an der Harnackstraße entdeckt

Auch Marken und Gipsteile gefunden / Untersuchungsergebnisse nicht vor Jahresende erwartet

01.09.2016

Seit Mitte Juli hatte das archäologische Team um Professorin Susan Pollock und Professor Reinhard Bernbeck an der Harnackstraße gegraben. Nun sollen die Funde untersucht werden.

Seit Mitte Juli hatte das archäologische Team um Professorin Susan Pollock und Professor Reinhard Bernbeck an der Harnackstraße gegraben. Nun sollen die Funde untersucht werden.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Bei der Grabung an der Harnackstraße haben Archäologinnen und Archäologen der Freien Universität einen Fund gemacht, der sie einen Schritt voranbringen könnte bei der Suche nach der Herkunft der dort vor zwei Jahren entdeckten Knochen. Nahe der Stelle, an der Bauarbeiter im Juli 2014 bei Arbeiten an den Außenanlagen der Universitätsbibliothek auf menschliche Knochen gestoßen waren, hat das Team eine durch die Bauarbeiten bisher unzerstörte Fundstelle mit weiteren menschlichen Knochen entdeckt.

Es handele sich um zahlreiche, zerbrochene Schädelknochen, Zähne, Wirbel und Langknochen, sagt Professorin Susan Pollock vom Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität, die das Grabungsteam gemeinsam mit ihrem Kollegen Professor Reinhard Bernbeck leitet. Außerdem fand das Forscherteam Teile eines nachgeformten menschlichen Körpers aus Gips sowie runde Marken mit handschriftlichen Ziffern, ähnlich denen aus dem Fund im Jahr 2014. Einige der Knochen hätten Klebstoffreste aufgewiesen, berichtet Susan Pollock: „Wir gehen deshalb davon aus, dass zumindest ein Teil der Knochen aus Skelettsammlungen stammt.“ Darauf deuteten auch die Überreste des Körpermodells hin. „Modelle aus Wachs oder Gips waren im 19. Jahrhundert und bis ins 20. Jahrhundert nicht unüblich in anatomischen Sammlungen.“

Untersuchungsergebnisse frühestens Ende des Jahres erwartet

Alle Funde werden nun erst einmal von Erdresten gesäubert und inventarisiert. Anschließend sollen die Knochen osteologisch untersucht werden, um Näheres über deren Herkunft zu ermitteln. Diese Methode könne in gewissen Grenzen Aufschluss geben über das ungefähre Alter und das Geschlecht der Menschen, von denen die Knochenteile stammten, erläutert Susan Pollock. „Es scheinen Knochen von Erwachsenen und von Kindern darunter zu sein.“ Außerdem lasse sich so feststellen, um wie viele Personen es sich mindestens handele. Ergebnisse der Untersuchung würden frühestens Ende des Jahres vorliegen. Auch die gefundenen Marken und Gipsteile müssten vorsichtig gereinigt und im Detail untersucht werden.

Gemeinsame Entscheidung, Grabung wieder aufzunehmen

Wie in campus.leben bereits berichtet, hatte die Universität kürzlich auf Empfehlung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt Berlin und der Max-Planck-Gesellschaft entschieden, die archäologischen Grabungen erneut aufzunehmen. Nachdem auch bei Erdarbeiten im November 2015 und Februar 2016 in direktem Umfeld des ursprünglichen Fundortes menschliche Knochenfragmente gefunden worden waren, wollte man die noch eventuell in der Verfüllung des Rohrgrabens 2014 vorhandenen menschlichen Knochen bergen. Entsprechend wurde Mitte Juli damit begonnen, den Leitungsgraben auf einer Länge von etwa 27 Metern entlang der Universitätsbibliothek in Handarbeit vorsichtig wieder aufzugraben.

„Wir haben dabei von Anfang an überall Knochenteile in unterschiedlichen Mengen gefunden“, berichtet Susan Pollock nach Abschluss der Arbeiten, „meistens menschliche, aber auch einige tierische.“ Die Fragmente seien mit großer Wahrscheinlichkeit in dem Aushub gewesen, mit dem der Graben 2014 wieder verfüllt worden war.

Unbekannte Grube entdeckt

In unmittelbarer Nähe des ersten Fundortes stieß das Team dann aber auf eine bislang unbekannte Grube mit Knochen in den untersten Schichten. Sie misst etwa 1,5 mal 1 Meter, mit einer Tiefe von fast zwei Metern und hat senkrechte, nicht erodierte Kanten, scheint also nach ihrer Anlage schnell verfüllt worden zu sein. Die Tatsache, dass zwischen den Knochen im untersten Teil der Grube fast keine Erde gewesen sei, deutet nach Ansicht der Archäologin darauf hin, „dass sich die Knochen in einem Sack-ähnlichen und daher nicht erhaltenen Behältnis befunden haben müssen“. Ganz am Boden der Grube habe man neben den Gipsteilen auch einige organische Reste gefunden, über deren Art oder Herkunft sich aber ohne weitere Untersuchungen noch keine Aussagen treffen ließen. Ob dieser Befund mit der 2014 entdeckten Grube verbunden war, lasse sich nicht eindeutig klären, sagt Susan Pollock: „Auf jeden Fall hätte ich nicht erwartet, dass wir nochmals so viele Knochen finden würden.“

„Neue Möglichkeit, die Herkunft der ungewöhnlichen Funde aufzuhellen“

Nachdem die 2014 gefundenen Knochen ohne detailliertere Untersuchung eingeäschert und bestattet worden waren, biete der aktuelle Fund „eine neue Möglichkeit, die Herkunft der ungewöhnlichen Funde und die Umstände aufzuhellen, unter denen sie an der Harnackstraße vergraben wurden“, sagt Prof. Dr. Jörg Haspel, der Leiter des Landesdenkmalamtes Berlin. „Denn die Zusammensetzung der aktuellen Funde ist mit denen von 2014 vergleichbar.“

Die Freie Universität hatte gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt Berlin und der Max-Planck-Gesellschaft – als Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft – eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um weitere Erkenntnisse über die mögliche Herkunft der Knochen zu gewinnen. Denn wenige 100 Meter von der Fundstelle entfernt steht das Gebäude, in dem sich bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik befand. Dorthin hatte der KZ-Arzt Josef Mengele bis Kriegsende Leichenteile von Menschen geschickt, die im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden waren. In dem Gebäude befand sich bis 1945 auch eine Sammlung menschlicher Gebeine aus kolonialen Zeiten. Heute ist das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität in dem Haus untergebracht. Die Fundstelle liegt am Rande des ehemaligen Gartengeländes einer Villa (heute Ihnestraße 24), die damals als Wohnhaus für den Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts diente.

„Die Max-Planck-Gesellschaft hat ein schwieriges Erbe ihrer Vorläuferorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, angetreten. Denn deren Geschichte hat Licht und Schatten. Dessen sind wir uns bewusst und daraus erwächst auch eine besondere Verantwortung“, sagt der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Dr. Martin Stratmann. „Wir sind daher an der Einordnung der Funde sehr interessiert und unterstützen die Grabungen und die dazugehörigen Untersuchungen.“

Seit dem Fund der ersten Knochenteile in 2014 lässt die Freie Universität alle weiteren Erdarbeiten auf dem betroffenen Areal archäologisch begleiten. Sie steht auch in engem Kontakt mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland, um die künftigen Schritte mit beiden Opferverbänden abzustimmen.

„Der aktuelle Fund zeigt, dass die Entscheidung der Arbeitsgruppe für eine Grabung an der alten Fundstelle richtig war“, sagt Professor Peter-André Alt. „Sobald die Ergebnisse vorliegen, werden wir in der Arbeitsgruppe über das weitere Vorgehen beraten.“

Weitere Informationen

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