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„Würdevoller Rahmen“

Am 23. März um 10 Uhr findet auf dem Waldfriedhof Dahlem die Bestattung der auf dem Campus der Freien Universität gefundenen menschlichen Knochen statt

09.03.2023

Die Universitätsbibliothek mit angeschlossenem Henry-Ford-Bau, am oberen Bildrand das Gebäude Ihnestraße 22, vor der Gründung der Freien Universität im Jahr 1948 Sitz des „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik".

Die Universitätsbibliothek mit angeschlossenem Henry-Ford-Bau, am oberen Bildrand das Gebäude Ihnestraße 22, vor der Gründung der Freien Universität im Jahr 1948 Sitz des „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik".
Bildquelle: Bavaria Luftbild

Ein jahrelanger Vorgang kommt zum Ende: Am 23. März um 10 Uhr werden auf dem Waldfriedhof Dahlem die menschlichen Knochen beigesetzt, die seit 2015 bei mehreren Grabungen auf dem Campus der Freien Universität Berlin gefunden und geborgen wurden. Sie stammen von Opfern aus Verbrechenskontexten, insbesondere wohl aus verschiedenen Sammlungen des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, das vor der Gründung der Freien Universität Berlin im Jahr 1948 seinen Sitz in der Ihnestraße 22 hatte. Den wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge kann ein Teil der Knochen von Opfern nationalsozialistischer Verbrechen stammen.

Im vergangenen Jahr hatten die beteiligten Forschungseinrichtungen – die Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Freie Universität als Nutzerin des Gebäudes in der Ihnestraße – den Abschluss der wissenschaftlichen Untersuchungen an den Funden bekanntgegeben. Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler spricht im campus.leben-Interview zur nun anstehenden Bestattung.

Herr Professor Ziegler, warum werden die menschlichen Knochen jetzt bestattet?

Universitätspräsident Günter M. Ziegler: „Es ist an der Zeit, dass die Opfer würdevoll beigesetzt werden.“

Universitätspräsident Günter M. Ziegler: „Es ist an der Zeit, dass die Opfer würdevoll beigesetzt werden.“
Bildquelle: David Ausserhofer

Da muss ich etwas ausholen und die Vorgeschichte der Arbeit an den Knochenfunden skizzieren: Mein Amtsvorgänger, Peter-André Alt, hat vor mehr als acht Jahren eine Arbeitsgruppe zum Umgang mit den Funden eingerichtet. Diese Arbeitsgruppe hat sich seitdem kontinuierlich mit den Funden beschäftigt und mit der Frage, wie mit ihnen umzugehen ist. Mit meinem Amtsantritt im Sommer 2018 habe ich ihre Leitung übernommen.

Die Arbeitsgruppe hat die Knochen in mehreren Grabungen bergen lassen, eine archäologische Untersuchung beauftragt, die Ergebnisse ausgewertet, die Öffentlichkeit breit darüber informiert, dann Gespräche mit Opferverbänden initiiert und mit ihnen die Fragen der Herkunft der Funde und ihrer Natur diskutiert sowie den weiteren Umgang abgestimmt.

Weil seit dem Auffinden eine mögliche Herkunft der menschlichen Knochen von Opfern aus dem Vernichtungslager Auschwitz im Raum stand, waren der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unsere ersten Gesprächspartner; weil den Untersuchungen zufolge zumindest ein großer Teil der Knochen aus anthropologischen oder archäologischen Sammlungen des Instituts stammen könnte, waren auch Selbstorganisationen und Opferverbände potenziell betroffener Gruppen unsere weiteren Gesprächspartner.

Mit ihnen allen haben wir das weitere Vorgehen besprochen, nicht nur die Beerdigung, sondern zum Beispiel auch die Texte, mit denen der Opfer gedacht werden soll, auf dem Grabstein und auf einer zusätzlichen Informationstafel. Das ist jetzt abgeschlossen. Es ist daher an der Zeit, dass die Opfer würdevoll beigesetzt werden. Auch diesen Schritt haben wir im Austausch mit den genannten Zentralräten und weiteren Organisationen abgestimmt.

Wie und wo werden die menschlichen Knochen bestattet?

Wir werden damit leben und umgehen müssen, dass wir die Namen und Identitäten und die Geschichte der einzelnen Opfer nicht kennen. Wir haben nur die vielen Knochen und Knochenfragmente, die geborgen wurden, und wir kennen den Fundort und seinen Kontext. Wir wissen damit aber auch: Es sind viele Menschen gewesen, und sie sind alle Opfer von menschenverachtender und rassistischer Forschung aus dem Kontext des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts.

Ihre gemeinsame Bestattung findet im Rahmen einer öffentlichen Trauerfeier auf dem Waldfriedhof Dahlem statt. Die Zeremonie wird einen würdevollen Rahmen haben, nicht religiös sein und nicht eurozentrisch, das war und ist allen Beteiligten wichtig.

Wie wurde darüber entschieden?

Unser Ziel war und ist es, bei der Planung der Beisetzung die Zentralräte und die Gruppen, mit denen wir seit der großen und öffentlichen Präsentation der archäologischen Ergebnisse im Februar 2021 im Dialog stehen, einzubeziehen. Dazu zählen der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, der Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde, die Herero-Vertretung in Berlin, save space, die Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten, Kellerkinder e. V., korientation e. V., IniRromnja / RomaniPhen e. V. und Berlin Postkolonial e. V.

Ich bin allen Beteiligten für die wertvollen Diskussionen und den konstruktiven Austausch sehr dankbar. Und ich würde mich sehr freuen, wenn viele Teilnehmende, nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der Gruppen und Zentralräte, zusammenkommen, um die Opfer zu verabschieden und ihnen ein ehrenvolles Geleit zu bereiten.

Wird es auch auf dem Campus der Freien Universität Berlin einen Gedenkort geben?

Nach der Beisetzung darf und wird es keinen Schlussstrich geben, das bleiben wir den Opfern schuldig. Das Präsidium der Freien Universität unterstützt die Idee einer auf Kontinuität angelegten und erweiterten Erinnerungs- und Bildungsstätte auf dem Campus. Derzeit entwickelt die Historikerin Dr. Manuela Bauche mit ihrem Team im Rahmen des Projekts „Geschichte der Ihnestraße 22“ ein Erinnerungskonzept für den Außen- und Innenbereich des Gebäudes Ihnestraße 22. Die menschlichen Knochen wurden am Rand des Grundstücks geborgen, auf dem dieses Gebäude 1927 für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik errichtet wurde.

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Öffentliche Trauerfeier und Bestattung

Zeit und Ort:

  • 23. März 2023, 10 Uhr
  • Waldfriedhof Dahlem, Hüttenweg 47, 14195 Berlin

Die Trauerfeier findet auf dem Vorplatz der Friedhofskapelle statt.

Weitere Informationen und Hintergründe

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Februar 2021: „Kein Schlussstrich“
September 2016: Neue Grube mit menschlichen Knochen an der Harnackstraße entdeckt
Juli 2016: Vermutung bestätigt: weitere Knochenteile gefunden
Juli 2016: Archäologische Untersuchung des Erdaushubs an der Harnackstraße
Februar 2016: Weiterer Fund in der Harnackstraße
November 2015: Erneute Grabung in der Harnackstraße: Archäologen finden Knochenfragmente
Oktober 2015: Neue Grabung soll Gewissheit geben
August 2015: Wissenschaftler finden Tierknochen
Juni 2015: Wissenschaftlicher Blick
Februar 2015: „Unhaltbare Vorwürfe"
Januar 2015: „Ihr, die ihr gesichert lebet…“
November 2014: Gerichtsmedizinischer Bericht zu den Knochenfunden auf dem Campus
Juli 2014: Bauarbeiter stoßen auf menschliche Knochen