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„Wissenschaftsfreiheit ist ein unabdingbares Gut der internationalen Forschungskooperation“

Interview mit dem Präsidenten der Freien Universität, Professor Günter M. Ziegler, über Wissenschaftskooperation mit autoritär regierten Staaten

07.01.2021

Schanghai im Januar 2020: Dekoration für das Frühlingsfest.

Schanghai im Januar 2020: Dekoration für das Frühlingsfest.
Bildquelle: Privat

Das Präsidium der Freien Universität Berlin hat im vergangenen Jahr ein Strategiepapier zu Internationalisierung und Wissenschaftsfreiheit beschlossen und veröffentlicht. In dem Dokument wird ein Leitbild für eine verantwortungsvolle Internationalisierung formuliert, und es werden Verfahrensgrundsätze zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit in der internationalen Zusammenarbeit skizziert. Demnach sollen die Gründungsprinzipien der Hochschule – „Veritas, Iustitia, Libertas“ (Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit) – auch in der internationalen Zusammenarbeit Richtschnur des Handels der Universitätsmitglieder sein. In Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit systematisch eingeschränkt wird, sollen diese Verstöße bewusst mit Partnerinstitutionen thematisiert werden. Denkbare Konsequenz kann im Einzelfall auch der Abbruch von Partnerschaften sein. Ein Interview mit dem Präsidenten der Freien Universität Berlin, Professsor Günter M. Ziegler, über die Wissenschaftskooperation mit autoritär regierten Staaten.

Herr Professor Ziegler, warum hat die Freie Universität zum Umgang mit Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird, ein Strategie-Papier beschlossen und veröffentlicht? Solche Länder hat es ja schon immer gegeben.

Das ist richtig, und das war für die Freie Universität von Anfang an ein wichtiges Thema. Seit ihrer Gründung im Jahr 1948 fühlt sie sich der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit verpflichtet. Die in unserem Siegel aufgeführten Begriffe Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit sind Teil unseres Selbstverständnisses.

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Gleichzeitig haben sich aber die Aufgaben unserer Universität in den vergangenen Jahren deutlich erweitert, und durch unsere Verbindungsbüros und strategischen Partnerschaften sind wir selbst zu einem internationalen Akteur geworden. Vor Ort bekommen wir so die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit noch unmittelbarer zu spüren. Gleichzeitig sind diese Angriffe diffuser geworden und berühren uns heute vielerorts und sehr unterschiedlich in unseren internationalen Partnerschaften.

Wir werden damit konfrontiert, wenn Doktoranden und Doktorandinnen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Ausland Feldforschung betreiben, aber auch hier auf dem Campus, etwa durch die Aufnahme von derzeit mehr als 30 gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Rahmen von Netzwerken wie Scholars at Risk, in denen wir uns engagieren.

Deshalb benötigen wir einen Leitfaden, an dem sich alle Mitglieder der Universität orientieren können, und der auch unseren Partnern signalisiert: Wissenschaftsfreiheit ist ein unabdingbares Gut der internationalen Forschungskooperation.

Was ist die Kernbotschaft des Papiers?

Dialog ist unabdingbar und, wenn notwendig, auch kritischer Dialog. Bei gravierenden Verstößen gegen die Wissenschaftsfreiheit können und dürfen wir unsere Augen nicht verschließen. Wir müssen Solidarität mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen zeigen, die für Wissenschaftsfreiheit eintreten, und wir müssen unsere eigenen Forschungspartnerschaften auch daraufhin überprüfen. Der gute Name der Freien Universität darf nicht dem „political whitewashing“ autoritärer Regime dienen.

Dabei geht es aber nicht um Rückzug, denn das würde bedeuten, dass wir uns abschotten. Das haben wir auch während des Kalten Kriegs nicht gemacht, als wir Verbindungen zu Universitäten in der UdSSR aufgebaut und gepflegt haben. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Freien Universität verfügen über eine ausgezeichnete Regionalexpertise zu vielen Ländern und Regionen. Unser Standpunkt ist, dass sie am besten beurteilen und uns beraten können, wie wir auf bestimmte Krisensituationen reagieren und wie wir mit bestimmten Partnern umgehen sollten.

Ich würde mir wünschen, dass wir in Zukunft auch von außen noch häufiger gefragt werden, wenn es um den Umgang mit schwierigen und problematischen Ländern geht. Mit dem Papier setzen wir einen inneruniversitären Dialog in Gang mit dem Ziel, uns auf kritische Fälle in der internationalen Zusammenarbeit vorzubereiten oder mit aktuellen umzugehen.

Insbesondere die Beziehungen mit China werden seit etwa zwei Jahren einer kritischen Beobachtung unterzogen. Jüngst hat etwa auch die Hochschulrektorenkonferenz Richtlinien zum Umgang mit chinesischen Partnerinstitutionen veröffentlicht.

Die Freie Universität hat sich in China in vielfältiger Hinsicht engagiert: Sie unterhält eine strategische Partnerschaft mit der Peking Universität und dort auch ein Verbindungsbüro, sie kooperiert eng mit dem vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderten Zentrum für Deutschlandstudien, und es gibt eine Vielzahl individueller Forschungs- und Lehrkontakte. Hat sich die Freie Universität zu eng an chinesische Partner gebunden?

Die Wahrnehmung Chinas in der westlichen Welt ist seit einigen Jahren deutlich kritischer geworden, sicherlich zu Recht, denn die politischen Verhältnisse in China haben sich ja insbesondere seit dem Amtsantritt Xi Jinpings als chinesischer Staatspräsident nicht zum Positiven verändert, um das vorsichtig auszudrücken.

Gleichzeitig ist China wirtschaftlich und politisch noch wichtiger geworden, und die chinesische Forschung ist zu einem ernsthaften Wettbewerber auf Augenhöhe aufgestiegen. Mit dieser Ambivalenz müssen wir leben. Man könnte darauf mit Ausgrenzung und Isolierung reagieren oder – und das halten wir für viel besser – mit Kooperation in all jenen Bereichen, in denen Kooperation sinnvoll und für beide Seiten fruchtbringend ist.

Und für diese Kooperationen sind die Partnerschaften unabdingbar, denn nur durch solche Partnerschaften bekommen wir als Universität die Kontakte, um deutlich, aber auch konstruktiv und vertrauensvoll miteinander zu sprechen. Und dann spricht man in diesem Kontext auch miteinander statt nur übereinander.

Zu sehr haben wir uns nicht an chinesische Partner gebunden. Anders als viele angelsächsische Universitäten sind wir ja weder von den Gebühren chinesischer Studierender noch von Fördermitteln aus China abhängig. Wir engagieren uns in China und im Dialog mit der Wissenschaft in China, weil wir das für unabdingbar halten.

Die Freie Universität hat in den vergangenen zehn Jahren mehrere Hundert chinesische Doktoranden teilweise oder vollständig hier ausgebildet. Haben Sie gar keine Angst, dass dabei Wissen abgesaugt wird für staatliche chinesische Zwecke und gar Rechte an geistigen Eigentum verletzt werden?

Es besteht in der Tat immer die Gefahr, dass über Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler sowie Doktorandinnen und Doktoranden auch Wissen unrechtmäßig abgezogen wird, besonders in den Technik- und Naturwissenschaften. Und tatsächlich sind in einigen speziellen Bereichen unsere Wissenschaftler besonders vorsichtig, wenn es um die Beschäftigung von Personen aus bestimmten Ländern geht. Das sind aber seltene Einzelfälle.

Insgesamt ist unsere Erfahrung mit den vielen vom China Scholarship Council geförderten chinesischen Doktoranden sehr positiv. Sie tragen dazu bei, die Freie Universität als Ort der Forschung in China noch weiter bekannt zu machen, einige initiieren sogar neue wissenschaftliche Verbindungen, und sie helfen uns natürlich auch hier vor Ort in der Forschung. Von der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern profitieren im Idealfall ja immer beide Seiten.

Wie weit darf die Kooperation mit autoritären Staaten gehen? Darf man Geld, etwa für Lehrstühle, annehmen?

Sie spielen auf Kritik an der so genannten „Hanban-Professur“ an der Freien Universität an. Wir haben für eine neue Professur für Chinesisch als Fremdsprache eine fünfjährige Anschubfinanzierung durch die Chinese International Education Foundation zur weltweiten Förderung der chinesischen Sprache eingeworben, also eine Finanzierung von der chinesischen Regierung, die nach fünf Jahren von uns übernommen wird.

Tatsächlich ist es weltweit gängige Praxis, dass Länder Lehrkräfte aus eigenen Mitteln finanzieren, um den Sprachunterricht im Ausland zu unterstützen. Wir haben an der Freien Universität bei diversen Sprachprogrammen finanzielle Unterstützung von ausländischen Botschaften und Kultusministerien. Das Land, das diese Form von Sprachenpolitik neben Frankreich vermutlich am intensivsten betreibt, ist übrigens Deutschland, und zwar mit dem DAAD und seinem weltweiten Programm für Lektorinnen und Lektoren.

Allerdings muss bei einer solchen Förderung natürlich gelten, dass wir diese Sprachdozierenden und im konkreten Fall auch den Inhaber der Professur selbst bestimmen können und dass sie unseren Qualitätsmaßstäben standhalten.

All das ist bei der Hanban-Professur gewährleistet: Wir konnten mit Professor Guder einen führenden deutschen Sinologen und Experten für Chinesischdidaktik berufen, der früher an der Freien Universität, aber auch viele Jahre an den Universitäten Mainz und Göttingen und als DAAD-Lektor in Peking unterrichtet und geforscht hat. Die chinesische Seite war an diesem Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Die Kritik richtete sich ja auch vor allem gegen die Gestaltung des Vertrags mit dem chinesischen Partner selbst. Und in der Tat war der Vertrag in mehreren Aspekten nicht optimal gestaltet. Aber wir haben die problematischen Passagen inzwischen neu verhandelt, und die chinesische Seite ist uns bei allen monierten Punkten entgegengekommen.

Das übergeordnete – und in unseren Augen nur zu berechtigte – Interesse der chinesischen Seite besteht darin, dass wir uns in Europa generell mehr als bisher mit China und Chinesisch auseinandersetzen. Das wollen wir auch tun, und das wollen wir fördern!

Warum ist der Chinesisch-Lehramts-Studiengang eine so wichtige Sache?

In Deutschland lernen etwa 6000 Schüler und Schülerinnen Chinesisch. Angesichts der Bedeutung Chinas und auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist das eine bemerkenswert niedrige Zahl.

Das liegt sicherlich daran, dass die große China-Euphorie vorbei ist und die Entwicklung und die Politik China schon längst nicht mehr so positiv gesehen werden kann, wie das noch vor fünf Jahren der Fall war. Gleichwohl ist, vor allem angesichts seiner ungeheuren Machtfülle, eine Kenntnis Chinas und eine Ausbildung von China-Fachleuten heute wichtiger denn je!

Und gleichzeitig liegen die Gründe für die bescheidenen Zahlen der Chinesisch-Studiengänge auch darin, dass es dafür nur sehr wenige qualifizierte Lehrer gibt, und es bieten bislang nur sehr wenige deutsche Universitäten einen Master of Education für Chinesisch an.

Ich finde es wichtig, dass wir mehr Menschen ausbilden, die China wirklich verstehen – und dafür sind Sprachkenntnisse und auch Möglichkeiten des Austauschs mit und nach China von herausragender Bedeutung. Wenn wir wollen, dass diese Schüler von nach unseren Standards ausgebildeten Lehrern unterrichtet werden, dann gibt es für uns als Freie Universität hier Handlungsbedarf.

In den USA wird die Kritik an Konfuzius-Instituten immer lauter, dasselbe gilt inzwischen auch für Deutschland. Erste Universitäten haben ihre Kooperation mit den Konfuzius-Instituten aufgegeben. Warum hält die Freie Universität bisher an ihrer Kooperation fest?

Wir waren uns immer bewusst, dass die Konfuzius-Institute staatlich finanzierte Institute sind, deren Ziel eine positive Darstellung der Kultur und Politik Chinas ist. Die Existenz des Konfuzius-Instituts in Dahlem hat aber überhaupt keinen Einfluss darauf, wie wir uns an der Freien Universität mit China beschäftigen und wie wir die vielen kritischen Themen in unseren Seminaren behandeln. Da gibt es eine klare „Firewall“ zwischen unserem Institut für Sinologie und dem Konfuzius-Institut.

Das Konfuzius-Institut bietet an der Universität keine Studieninhalte an jenseits einführender Kurse für den Studienbereich der Allgemeinen Berufsvorbereitung (ABV) in Chinesisch. Was das Konfuzius-Institut anbietet, ist ein Komplementärangebot, etwa im Bereich klassischer chinesischer Kultur oder auch in der Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen, das ich für interessant und anregend halte.

Das Konfuzius-Institut an der Freien Universität ist durch die Kooperation mit der Peking-Universität als ein Gemeinschaftsprojekt zu verstehen – dadurch wird das Konfuzius-Institut akademisch geprägt, es gibt gewissermaßen noch eine Zwischenebene zwischen der Freien Universität und dem Hanban.

Wir schauen uns aber natürlich die Entwicklungen in China genau an. Wenn wir das Gefühl hätten, dass die Institute hier Propaganda für die Politik von Staatspräsident Xi Jinping machen würden, würde man die Verbindung sicher lösen. Aber im Moment sehen wir keinen Handlungsbedarf, an der seit fast 15 Jahren bestehenden Kooperation etwas zu ändern.

Es gibt neben China noch viele andere Staaten, deren Regierungen nicht demokratisch legitimiert sind. Mit welchen Partnern sehen sie weitere Konflikte? Wo müssen die Universität und ihre Mitglieder besonders vorsichtig sein?

Da könnte man natürlich eine ganze Reihe von Ländern aufzählen. Aber dennoch ist es absolut notwendig, auf einem niedrigschwelligen Level Kontakt auch mit sehr problematischen Ländern zu haben. Denn wenn es im Westen niemanden gibt, der das betroffene Land kennt und versteht, wie soll man dann überhaupt in ein Gespräch kommen?

Grundsätzlich kann man über Wissenschaftskontakte Türen offenhalten, die man in anderen Bereichen aus guten Gründen geschlossen halten muss. Wissenschaftskooperationen über ideologische Grenzen hinweg sind wichtig, dafür ist die Zeit des Kalten Krieges ein gutes Beispiel. Solche Brücken sind heute wichtiger denn je.