Wenn Wissenschaftler fliehen müssen
Der sudanesische Veterinärmediziner Khalid Mohammedsalih von der Universität Nyala, Sudan, forscht als Stipendiat des Scholar Rescue Fund an der Freien Universität Berlin
30.10.2024
Arbeiten zusammen: die Veterinärmediziner Dr. Khalid Mohammedsalih (l.) und Prof. Dr. Georg von Samson-Himmelstjerna.
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Weidetiere sind in ihrem Leben vielfachen Krankheiten und Parasiten ausgesetzt. Unter anderem setzen ihnen verschiedene Würmer zu, die sich oftmals im Magen-Darm-Trakt einnisten. Dort verursachen sie Probleme, die bis zum Tod der Tiere führen können. In der Nutztierhaltung gehört die medikamentöse Behandlung mit Wurmmitteln daher zur Standardpraxis.
Doch das Problem: Immer mehr Parasiten entwickeln Resistenzen. „Die Behandlung mit den bekannten Medikamenten wirkt immer schlechter“, sagt Khalid Mohammedsalih. „Immer öfter können Tiere nicht effektiv therapiert werden und verenden.“
Der promovierte Veterinärmediziner erlebte die Auswirkungen des Problems in seinem Heimatland Sudan aus nächster Nähe. „Ich arbeitete in einer tierärztlichen Apotheke, wo sich die Bauern Tag für Tag bei mir beschwerten, dass die Wurmmittel nicht mehr wirkten“, berichtet er. „In einem Land, in dem weite Teile der Bevölkerung von der Weidewirtschaft leben, ist das eine Katastrophe.“
So wurde Khalid Mohammedsalih zu einem Experten auf dem Gebiet. Er begann eine Doktorarbeit zu dem Thema und sammelte als weltweit erster Wissenschaftler Daten in der Region. Schließlich wurde er Associate Professor an der Universität von Nyala im Südwesten des Sudans. Mit internationalen Geldern konnte er dort ein modernes biologisches Labor aufbauen.
Wissenschaftliche Karriere unterbrochen
Doch dann brach im April 2023 im Sudan der Krieg aus. „Für meine Familie und mich, für alle Menschen im Sudan, begann eine extrem harte Zeit“, sagt der Wissenschaftler. „Mein Labor wurde komplett zerstört, und ich musste mit meiner Familie mehrfach fliehen – zunächst innerhalb des Sudans, schließlich ins Ausland.“
Seit Dezember 2023 setzt Mohammedsalih seine Forschung am Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität fort. Dort wertet er die Daten, die er vor Ausbruch des Krieges gesammelt hat aus und bereitet sie für die Publikation vor. Gefördert wird er dabei durch den Scholar Rescue Fund (SRF). Mit dem Stipendium, das vom amerikanischen Institute of International Education (IIE) verliehen wird, werden weltweit Wissenschaftler*innen unterstützt, die politisch bedroht werden und/oder aus ihrem Heimatland fliehen mussten.
Die Freie Universität nimmt seit zehn Jahren als Gastgeberinstitution an dem Programm teil. Der erste SRF-Fellow im Jahr 2014 war ein iranischer Koranwissenschaftler. Seitdem konnten mit einem SRF-Stipendium insgesamt fünf Forscher an der Freien Universität gefördert werden – aus Syrien, Sudan, Venezuela, Yemen und dem Iran. Ein bis zwei Jahre erhalten sie ein Stipendium, das sämtliche Lebenshaltungskosten deckt. Zur Hälfte wird es aus Mitteln des IIE, zur anderen Hälfte aus Mitteln der Gastgeberorganisation bestritten.
Dr. Stefan Rummel, an der Freien Universität Berlin Leiter des Referats Wissenschaftsbeziehungen, nahm in Brüssel den Beacon Award des Institute of International Education-Scholar Rescue Fund stellvertretend entgegen.
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„Die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit genießt an der Freien Universität einen hohen Stellenwert“, sagt Stefan Rummel. „Wir sind gerne Gastgeberin – und schätzen die Einrichtung des Scholar Rescue Fund und die Menschen, die darüber zu uns kommen, sehr.“
Stefan Rummel leitet an der Freien Universität das Referat Wissenschaftsbeziehungen der Abteilung Internationales und verantwortet das SRF-Programm der Hochschule. Vor zwei Wochen reiste er nach Brüssel, wo die Freie Universität am 10. Oktober 2024 vom Institute of International Education als herausragende Gastgeberinstitution des Scholar Rescue Funds ausgezeichnet wurde.
„Für uns ist dieser Preis eine große Ehre“, sagt Florian Kohstall, an der Freien Universität Berlin zuständig für das Projekt Globale Verantwortung. „Insgesamt hat die Freie Universität in den vergangenen Jahren mehr als 60 gefährdeten Forschern und Forscherinnen an der Universität eine akademische Heimat auf Zeit geboten, wofür auch Mittel der Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Einstein Stiftung Berlin und anderer Stiftungen eingeworben wurden. Es ist schön, wenn die Bemühungen, die wir über Jahre in die Kooperation investiert haben, auf diese Weise Anerkennung finden.“
Stefan Rummel betont, dass die Teilnahme am SRF-Programm allen Beteiligten zugutekomme. „Bei der Auswahl der Kandidat*innen entscheiden humanitäre Gründe“, sagt er. „Gleichzeitig achten wir jedoch darauf, dass die Stipendiat*innen mit ihrer Forschung auch zur Freien Universität passen. Ziel ist es, dass am Ende ein jeweils tragfähiges Tandem aus Stipendiat*in und Betreuer*in entsteht.“
Bevor Khalid Mohammedsalih durch den Scholar Rescue Fund gefördert wurde, war er bereits mehrfach für Forschungsprojekte in Düppel zu Gast. Mit seinem Tandempartner, Georg von Samson-Himmelstjerna, Professor und geschäftsführender Direktor am Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität, verbindet ihn eine langjährige Arbeitsbeziehung. Ebenso mit Jürgen Krücken, der als Privatdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Institut tätig ist.
„Wir sind ja explizit ein Institut für Tropenveterinärmedizin“, sagt Georg von Samson-Himmelstjerna. „Khalid Mohammedsalih bringt mit seinem Wissen, seinen Erfahrungen und den Daten aus dem Sudan enorm wertvolle Impulse in unser Haus.“
Sobald sich die Lage im Sudan politisch stabilisiert, möchte Khalid Mohammedsalih seine Forschungsarbeit nutzen, um die Landwirtschaft in seiner Heimat zu unterstützen. „Wir haben nun die Daten, die beweisen, dass die Bauern mit ihrer Einschätzung recht hatten“, sagt Mohammedsalih. „Die Medikamente wirken tatsächlich nicht mehr so wie früher, und wenn wir den Trend nicht umkehren, drohen enorme Konsequenzen – wir brauchen weitere Forschung und politische Maßnahmen, um eine solche Entwicklung zu verhindern.“
Weitere Informationen
So unterstützt die Freie Universität Berlin bedrohte und geflohene Wissenschaftler*innen:
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Seit 2012 ist die Freie Universität Berlin Teil des Netzwerks Scholars at Risk: Das Netzwerk schlägt bedrohte oder verfolgte Wissenschaftler*innen vor. Wenn es eine/n zur wissenschaftlichen Arbeit des Scholars passende FU-Wissenschaftler/in gibt, unterstützt die Freie Universität die Person bei der Bewerbung für ein mögliches Stipendium. Neben der hier erläuterten Förderung durch den Scholar Rescue Fund geschieht das vor allem durch die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung, das Einstein-Programm „Wissenschaftsfreiheit" oder das neue EU-DAAD Programm Safe. Derzeit fördert die Freie Universität Berlin ein Dutzend Personen
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Mit Sprachkursen für geflüchtete Studierende, die sich auf die Fortsetzung ihres Studiums vorbereiten. Gefördert durch den Berliner Senat.
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Durch die Nominierung von in ihrem Heimatland gefährdeten Studierenden für das Hilde Domin Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Mithilfe des Programms kann an der Freien Universität Berlin ein Bachelor-, Masterstudiengang oder eine Promotion abgeschlossen werden.
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