Die nachhaltige Universität
Seit beinahe fünfundzwanzig Jahren verfolgt die Freie Universität ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele – vom Energiemanagement hin zu einem ganzheitlichen Engagement, das alle Bereiche des universitären Lebens umfasst.
19.05.2025
Sonnenkraft seit 2001: Auf dem Dach der Rostlaube der Freien Universität wandeln Solaranlagen seit über zwei Jahrzehnten Licht in sauberen Strom.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Die Geschichte der Freien Universität, von ihrer Gründung im Jahr 1948 bis heute, ist nicht zu trennen von der Verpflichtung auf ihre drei Grundwerte Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Seit vielen Jahren wird das Engagement der Universität allerdings um einen weiteren wichtigen Baustein ergänzt: Nachhaltigkeit. „Angesichts der Dringlichkeit der Klima- und Biodiversitätskrise und der besonderen Rolle der Wissenschaft in diesem Handlungsfeld haben Universitäten hier eine herausgehobene Verantwortung“, sagt Andreas Wanke. „Insofern ist es folgerichtig, dass sich unsere Universität diesem Thema in besonderem Maße verschrieben hat.“
Wanke ist Leiter der „Stabsstelle Nachhaltigkeit & Energie“, an der alle diesbezüglichen Bemühungen der Freien Universität gebündelt werden. In diesem Jahr feiert die Einrichtung ihr zehnjähriges Bestehen. Doch der nachhaltige Einsatz der Freien Universität reicht weit länger zurück. „Angefangen hat es zunächst mit der Etablierung eines betrieblichen Energiemanagements im Jahre 2001“, sagt Wanke. „Seither ist es uns nicht nur gelungen, den Energieverbrauch der gesamten Universität um ein Drittel zu senken, sondern Nachhaltigkeit auch weit über Energieeffizienz hinaus als Querschnitts- und Integrationsaufgabe zu verankern.“
Andreas Wanke ist Leiter der „Stabsstelle Nachhaltigkeit & Energie“ an der Freien Universität. Seit zehn Jahren koordiniert die Einrichtung erfolgreich sämtliche Aktivitäten rund um Klima, Energie und Nachhaltigkeit auf dem Campus.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Aktuell zeichnet sich dieses Engagement der Freien Universität durch eine Vielzahl von Aktivitäten und Initiativen über sämtliche Universitätsbereiche aus. Die Entwicklungen reichen dabei von innovativen Formaten wie „FUturist“-Wettbewerben und “Living Labs” sowie dem interdisziplinären Lehrangebot „Nachhaltige Entwicklung“ im Rahmen des Modulangebots „Allgemeine Berufsvorbereitung“ der Bachelorstudiengänge bis hin zu ehrgeizigen klimagerechten Bauvorhaben wie dem Forschungsgebäude „SupraFAB“ an der Altensteinstraße. Hinzu kommen Errungenschaften wie die Zertifizierung des Umweltmanagements nach den Kriterien des anspruchsvollen Gütesiegels EMAS. „Wir orientieren uns an der Freien Universität heute an dem sogenannten Whole Institution Approach“, betont Wanke, „einem Ansatz, der die Institution als Ganzes in den Blick nimmt und darauf setzt, die unterschiedlichen Bereiche der Universität in einen Austausch zu bringen. Besonders glücklich können wir uns schätzen, dass die Zuständigkeit für Nachhaltigkeit nicht nur doppelt in der Hochschulleitung verankert ist, sondern auch ehrenamtlich tätige Mitmachinitiativen wie „SUSTAIN IT!“, „Green FUBib“, „FURad“ oder „Blühender Campus“ das Thema in der Universität seit Jahren vorantreiben und im Studienalltag sicht- und erlebbar machen.“
Als erste deutsche Hochschule hatte die Freie Universität darüber hinaus bereits Ende 2019 den Klimanotstand erklärt. Unter den sieben ambitionierten Teilzielen wurde damals auch die Prämisse ausgegeben, bis 2025 Klimaneutralität zu erreichen. Nach hochschulinterner Diskussion hat die Universitätsleitung entschieden, dieses Ziel anzupassen. „Um Klimaneutralität zu gewährleisten, hätten wir CO2-Kompensationszertifikate von externen Anbietern kaufen müssen“, erklärt Wanke. „Wir haben uns bewusst gegen diesen Weg entschieden und setzen stattdessen auf eigene institutionelle Aktivitäten – gemeinsam mit unseren Beschäftigten und Studierenden.” Das für die Kompensation vorgesehene Geld soll nun in einen universitätsinternen Fonds fließen, aus dem künftige Vorhaben im Bereich Klimaschutz und Biodiversität finanziert werden. Spätestens seit der Präsident der Freien Universität Prof. Dr. Günter M. Ziegler 2024 zum „Jahr der Biodiversität“ ausgerufen hat, liegt hier ein neuer Schwerpunkt des Nachhaltigkeitsengagements in Dahlem.
Die Biologin Rebecca Rongstock promoviert an der Freien Universität und koordiniert das Biodiversitätsmanagement innerhalb der „Stabsstelle Nachhaltigkeit & Energie“.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Artenreichtum in Dahlem
„Der dramatische Verlust an biologischer Vielfalt ist eine der größten ökologischen Bedrohungen unserer Zeit“, sagt Rebecca Rongstock. „Heute sind nicht mehr nur seltene Arten und exotische Wildtiere vom Aussterben bedroht, sondern auch zahlreiche heimische Tiere, vor allem Insekten.“ Die Biologin promoviert an der Freien Universität und koordiniert das Biodiversitätsmanagement innerhalb der „Stabsstelle Nachhaltigkeit & Energie“. „Wir können uns in Dahlem über einen erstaunlichen Artenreichtum freuen – in unserem Citizen-Science-Projekt bei „iNaturalist“ haben wir inzwischen 1.170 Arten gezählt. Darunter sind die unterschiedlichsten Pilze, Pflanzen und Tiere, von verschiedenen Wildbienen und Falterarten bis hin zu Säugetieren wie Fledermäusen und Füchsen“, erzählt sie. „Diese Vielfalt wollen wir schützen und stärken.“
2024 hat die Freie Universität eigens eine Biodiversitätsstrategie erarbeitet, die zahlreiche Handlungsfelder in Forschung und Lehre, im Grünflächenmanagement und in der Gebäude- und Campusplanung eröffnet. Vorangetrieben wird die Arbeit zum Thema Biodiversität künftig durch eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe. In Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei entsteht zudem seit 2022 an der Königin-Luise-Straße ganz in der Nähe des Botanischen Gartens, der sich ebenfalls in hohem Maße für den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzt, ein gemeinsames Wissenschaftsgebäude für Biodiversität. Künftig sollen dort mehr als einhundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Studierenden arbeiten.
Dr. Matthias Rillig, Professor für Ökologie der Pflanzen, untersucht, wie Böden auf eine Vielzahl von Stressfaktoren reagieren.
Bildquelle: privat
Am Institut für Biologie der Freien Universität haben Studierende bereits heute die Möglichkeit, sich in ihrem Studium auf Fragen rund um Biodiversität zu konzentrieren. Der englischsprachige Masterstudiengang „Biodiversity, Evolution, Ecology“ vermittelt ein fundiertes Verständnis komplexer ökologischer und evolutionärer Prozesse. Im Vordergrund steht dabei die quantitative Erhebung und Analyse von Daten. „Der Studiengang reflektiert die Stärke der Freien Universität und des gesamten Berliner Raumes in Fragen der Biodiversität“, sagt Dr. Matthias Rillig, Professor für Ökologie der Pflanzen an der Freien Universität und Direktor des „Berlin-Brandenburgischen Instituts für Biodiversitätsforschung“. In seiner Arbeitsgruppe, dem „Rillig Lab“, erforscht der Biologe mit einem Team aus internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedenste Aspekte der Nachhaltigkeit aus ökologischer Perspektive. „Wir untersuchen Probleme, die wir als Menschen durch unser Handeln unbeabsichtigt hervorrufen“, betont er. Seit drei Jahren laufe etwa ein Feldexperiment in Dahlem, in dem in einem neuartigen Ansatz untersucht werde, wie Böden auf eine Vielzahl von Stressfaktoren reagieren. „Wir sehen uns hier bis zu zehn Faktoren gleichzeitig an“, sagt Rillig, „beispielsweise Erwärmung, Trockenstress, Stickstoffablagerung, Mikroplastik, Insektizide, Fungizide, Antibiotika, Bodenverdichtung, Schwermetalle – eine Belastung, die heute in vielen Böden vor allem im städtischen Raum der Normalfall ist.“
Wie umgehen mit der Belastung durch Mikroplastik?
Zudem erforscht Rillig mit seinem Team, wie man belasteten Böden helfen kann, wieder zu gesunden. „Das Thema Bodengesundheit ist bei uns zentral“, sagt er. „Denn was im Boden passiert, kann Auswirkungen auf unser gesamtes Leben nehmen.“ Ein Beispiel sei etwa die Belastung durch Mikroplastik. „Es ist erstaunlich, welche Effekte dieses Material im Boden hervorruft, von rein physikalischen oder chemischen Effekten bis zu mikrobiellen“, betont Rillig. „Diese Prozesse können beispielsweise am Ende dazu führen, dass die Antibiotikaresistenz von Menschen und anderen Lebewesen zunimmt.“
Seine Erkenntnisse vermittelt Rillig auch über seine universitäre Arbeit hinaus an die breite Öffentlichkeit. So betreibt er etwa den erfolgreichen englischsprachigen YouTube-Kanal @lifeinthesoil, wo er in kurzen Videos die Ökologie des Bodens erklärt. Im September erscheint außerdem sein gemeinsam mit dem Journalisten Jörg Blech verfasstes Sachbuch „Mutter Erde – Wie der Verlust des Bodens unseren Planeten bedroht“.
Ein weiterer Angelpunkt des Engagements für Biodiversität an der Freien Universität ist das Projekt „Blühender Campus“. Im Jahr 2019 ging es mit einem simplen Anliegen an den Start: weniger Mähen auf den Campusflächen. Die Universität stellte zehn Wiesen bereit, die meisten versteckt in Hinterhöfen und Institutsgärten. Statt wie geplant neunmal wurde auf diesen Flächen nur noch zweimal pro Jahr gemäht. „Wir lassen die Campusflächen sozusagen bewusst verwildern“, hebt Rongstock hervor. „Zwischen Wildblumen und Gräsern entsteht so Lebensraum für Insekten und andere Tiere.“ Zwei Masterstudierende haben im ersten Jahr unter Anleitung des Zoologen Prof. Dr. Jens Rolff und Dr. Sophie Lokatis vom Institut für Biologie wissenschaftlich untersucht, wie sich die Flächen entwickelten. In nur einer Saison zeigte sich eine zehnfache Zunahme an Insekten. Nach zwei Jahren konnte auf der besonders großen Fläche im Bereich der Van’t-Hoff-Straße sogar eine fast vierzigfache Zunahme beobachtet werden.
„Heute verfügt das Projekt über rund zehn Hektar Grünflächen voller Leben“, sagt Rongstock. „Rund vierzig Studierende, Beschäftigte, Ehemalige und Nachbarn arbeiten ehrenamtlich in der Initiative mit.“ Auch Nachbarinstitutionen wie das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, das Julius-Kühn-Institut und das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf beteiligen sich mittlerweile an Biodiversitätsvorhaben. 2023 wurde das Projekt mit seiner Gründerin Lokatis für diese Erfolge mit dem Berliner Naturschutzpreis der Stiftung Naturschutz ausgezeichnet. Seit 2020 betreibt die Initiative in Zusammenarbeit mit der Initiative „SUSTAIN-IT!“ außerdem den Gemeinschaftsgarten „Blätterlaube“. An der Otto-von-Simson-Straße in der Nachbarschaft des Kinos „Capitol“ kommen hier Studierende, Beschäftigte und Alumni zusammen, um gemeinsam zu gärtnern. Es wurden bereits Hochbeete mit Gemüse, Kräutern und Färberpflanzen, Vogel-, Wildbienen- und Fledermausnisthilfen sowie ein Teich angelegt. „Alle sind willkommen mitzumachen“, sagt Rongstock, „gerne auch Ehemalige!“
700 Lehrveranstaltungen mit Nachhaltigkeitsbezug
Ganz im Sinne des ganzheitlichen Ansatzes der „Stabsstelle Nachhaltigkeit & Energie“ wird das Thema Nachhaltigkeit an der Freien Universität nicht nur auf institutioneller Ebene vorangetrieben, sondern ist zentral auch in Forschung und Lehre verankert. Mehr als 700 Lehrveranstaltungen mit Nachhaltigkeitsbezug wurden im vergangenen Wintersemester über alle Fachbereiche hinweg angeboten. Spitzenreiter sind dabei die Fachbereiche Politik- und Sozialwissenschaften, Geowissenschaften sowie Biologie, Chemie, Pharmazie.
Eine der zahlreichen Disziplinen, in denen die Nachhaltigkeitsforschung der Freien Universität besondere Leistungsstärke aufweist, ist die Chemie. Hier arbeiten Prof. Dr. Rainer Haag und Prof. Dr. Sebastian Hasenstab-Riedel an Prozessen und Materialien für eine grüne Zukunft. „Wir forschen daran, wie wir neue chemische Bausteine aus natürlichen Ressourcen gewinnen, die Produktion energieeffizienter gestalten und Umweltbelastungen mit neuen Filtertechnologien begegnen können“, sagt Haag. „Auch die Kreislauffähigkeit von Produkten wird immer wichtiger.“ Die Chemiker sind umtriebig, ihre Ideen und Projekte vielfältig. Beide leiten eigene Sonderforschungsbereiche, haben für ihre Arbeit in den vergangenen Jahren zahlreiche Drittmittel und Preise eingeworben. Haag etwa beschäftigt sich momentan mit umweltverträglichen Filterverfahren, um Schadstoffe aus dem Wasser zu entfernen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Wiederverwendbarkeit von Glycerin. „Es handelt sich dabei um einen Reststoff, der bei der Herstellung von Biodiesel anfällt. Jährlich bleiben viele Millionen Tonnen ungenutzt“, betont er. „Dabei ist es ein Schlüsselbaustein, den wir eigentlich für die Produktion von nachhaltigem Kunststoff und Medizinprodukten nutzen können.“
Prof. Dr. Sebastian Hasenstab-Riedel forscht an neuen Speicherverfahren für Chemikalien wie Chlor. Für seine Arbeit wurde er mit dem Forschungspreis der „Werner Siemens-Stiftung“ ausgezeichnet.
Bildquelle: Marion Kuka
Im Fokus von Hasenstab-Riedel liegt derzeit die Entwicklung neuer Speicherverfahren für Chemikalien wie zum Beispiel Chlor. „Der Stoff, den viele nur aus dem Schwimmbad kennen, wird für die Produktion von mehr als der Hälfte aller chemischen Produkte benötigt“, erklärt er, „von Dichtungsmassen über Schaumstoffe für Polstermöbel bis hin zu Solarzellen, Computerchips und einer Vielzahl von Medikamenten.“ Der Großteil des in der Industrie verwendeten Chlors wird mittels eines Elektrolyseverfahrens hergestellt, für das elektrischer Strom benötigt wird. Und der Bedarf der Industrie ist so groß, dass dafür beträchtliche Mengen an Energie aufgewandt werden – in Deutschland mehr als zwei Prozent des gesamten jährlichen Stromverbrauchs. „Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, dann muss sichergestellt werden, dass dieser Strom aus erneuerbaren Quellen generiert wird“, sagt Hasenstab-Riedel. „Doch für die Chlorchemie stellt die Umstellung eine besondere Herausforderung dar.“ Denn bei Chlor in größeren Mengen sind insbesondere der Transport und die Speicherung sehr schwierig. Deshalb wird der Prozess in der Industrie nahezu in Echtzeit ausgeführt: Das produzierte Chlor wird fast unmittelbar im Anschluss weiterverarbeitet. „Die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie unterliegt nun aber größeren Schwankungen durch Wind und Wetter“, sagt Hasenstab-Riedel. „Deshalb brauchen wir sichere Speichertechnologien, die es der Industrie ermöglichen, Chlor für dunkle oder windstille Tage vorzuhalten. Dies ermöglicht unter anderem die notwendige Flexibilisierung und Transformation der chemischen Industrie.“ Genau an solch einer Lösung arbeiten Hasenstab-Riedel und sein Team. Mithilfe von sogenannten Ionischen Flüssigkeiten wollen sie Handhabung, Transport und Speicherung von Chlor deutlich sicherer gestalten – damit die Chlorproduktion künftig mittels grüner Energie gelingen kann. Für seine Arbeit wurde er kürzlich mit dem Forschungspreis der „Werner Siemens-Stiftung“ ausgezeichnet. „Auf dem Weg in eine grüne Zukunft kann nachhaltig produziertes Chlor künftig eine Schlüsselrolle spielen“, betont er. „Deswegen wollen wir unsere Lösung nun gemeinsam mit der Industrie auf den Weg bringen.“
Am „FUHUB“ werden künftig Firmen mit Verfahren arbeiten, die in Dahlem patentiert worden sind
Eine zentrale Rolle soll dabei auch das „FUHUB“ spielen. Das neue Gebäude auf dem Life-Science-Campus „FUBIC“ an der Fabeckstraße, das selbst nach neuesten Nachhaltigkeitsstandards erbaut wird und noch in diesem Jahr eröffnet werden soll, bietet Partnern aus der Industrie die Möglichkeit, sich einzumieten und vor Ort mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität zu kooperieren. „Dort werden künftig Firmen mit Verfahren arbeiten, die in Dahlem patentiert worden sind“, sagt Haag. „Dabei werden wir als eine von ganz wenigen Universitäten in Deutschland auch von einem Scale-Up-Labor profitieren.“ In universitären Chemielaboren, erklärt Hasenstab-Riedel, könne meist nur im Grammbereich gearbeitet werden. Mit dem neuen Labor jedoch sei es möglich, der Industrie neue Materialien in weitaus größerem Maße zur Verfügung zu stellen.
Bereits heute findet die Arbeit von Haag und Hasenstab-Riedel zum Teil im „SupraFAB“ statt. In dem dortigen Forschungsbau für „Supramolekulare Funktionale Architekturen an Biogrenzflächen“ arbeiten Forschungsgruppen aus Biologie, Chemie und Physik interdisziplinär zusammen. „Gerade im Bereich Nachhaltigkeit ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich“, sagt Haag. „Es braucht die Expertise aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen – und dies weit über die Naturwissenschaften hinaus.“ Die Kollaboration im „SupraFAB“ ist für Haag und Hasenstab-Riedel daher nur ein erster Schritt. Sie gründeten gemeinsam mit dem Mineralogen Prof. Dr. Timm John, dem Wirtschaftswissenschaftler und Innovationsforscher Prof. Dr. Carsten Dreher sowie Prof. Dr. Anna Gorbushina, Professorin für Mineralogie und Petrologie sowie Leiterin der Abteilung Material und Umwelt der „Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung“, das „Center for Sustainable Resources“ (CSR|Berlin). Unter dem Dach dieses vor Kurzem eröffneten interdisziplinären Zentrums kommen Forschungsaktivitäten an der Freien Universität zusammen, die eine nachhaltige und kreislauforientierte Ressourcen- und Materialnutzung sowie Stoffsynthese zum Ziel haben. „Ziel ist die Entwicklung neuer Technologien und Strategien, die den ökologischen Fußabdruck minimieren und die Ressourceneffizienz maximieren“, betont Hasenstab-Riedel. „Ein zentraler Aspekt wird dabei auch die enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern und politischen Entscheidungsträgern sein.“
Dr. Luisa Girnus ist Juniorprofessorin für Politikdidaktik und Politische Bildung: „Bildung ist der zentrale Baustein, um das nachhaltige Bewusstsein in der Gesellschaft zu stärken.“
Bildquelle: Annette Koroll
Nachhaltigkeit ist auch soziale Gerechtigkeit
Auch in den Sozialwissenschaften ist das Thema Nachhaltigkeit an der Freien Universität verankert. Am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) leitet zum Beispiel Prof. Dr. Philipp Lepenies das eigens eingerichtete „Forschungszentrum für Nachhaltigkeit“. Neu nach Dahlem gekommen ist Prof. Dr. Luisa Girnus, die am OSI im Dezember 2024 die Juniorprofessur für Politikdidaktik und Politische Bildung antrat. „Bildung ist der zentrale Baustein, um das nachhaltige Bewusstsein in der Gesellschaft zu stärken“, betont sie. „Dabei geht es nicht darum, zu moralisieren und ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern Menschen zu befähigen, in komplexen politischen und ökologischen Zusammenhängen ein eigenes Urteil zu fällen.“ Girnus arbeitet unter anderem mit Lehramtsstudierenden daran, Nachhaltigkeitsfragen in deren zukünftige Lehrtätigkeit zu integrieren.
„Mir geht es darum, dabei stets die politische Dimension mitzudenken“, sagt sie. „Es genügt nicht, allein naturwissenschaftliche Zusammenhänge zu betrachten oder ein besseres Konsumverhalten zu lehren, wir müssen auch eine kritische Auseinandersetzung mit Machtstrukturen ermöglichen, die die gegenwärtige ökologische Krise bedingen.“ Um Nachhaltigkeit im politischen Diskurs zu stärken, müsse die Frage der Ökologie noch mehr mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zusammengedacht werden. „Gemeinsam mit den Studierenden möchte ich hier in einen Reflexionsprozess kommen“, unterstreicht sie. „Denn kritische Urteilsfähigkeit ist die Grundlage dafür, dass die Gesellschaft ins Handeln findet.“
Weitere Informationen
Der „Klimawald“ – ein grünes Labor für die Zukunft
Mitten im Berliner Grunewald wächst ein besonderer Wald – ein von der Ernst-Reuter-Gesellschaft maßgeblich unterstütztes Forschungsprojekt mit einer klaren Mission. Unter der Leitung von PD Dr. Manfred Forstreuter vom Institut für Biologie der Freien Universität dient der „Klimawald“ als lebendiges Experimentierfeld, um die Anpassungsfähigkeit von Rotbuchen an den Klimawandel zu untersuchen. Junge Bäume aus ganz Europa wurden hier gepflanzt, und es wird beobachtet, wie sie sich bei steigenden Temperaturen entwickeln und auf veränderte Niederschlagsmengen oder Frost reagieren. Die Antworten auf diese Fragen können helfen, Wälder widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel zu machen. Doch der „Klimawald“ ist mehr als nur ein Forschungsobjekt – er ist ein Ort des Lernens, der Vernetzung und des Handelns. Studierende, Forschende und engagierte Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, aktiv mitzuwirken – sei es durch Pflanzaktionen oder Baumpatenschaften. Nachhaltigkeit wird hier nicht nur diskutiert, sondern direkt erlebbar. Besonders für die Freie Universität hat das Projekt eine große Bedeutung: Es macht Umweltwissenschaften greifbar, bringt akademisches Wissen in die Praxis und steht als Symbol für verantwortungsvolle Forschung und innovativen Naturschutz. Der „Klimawald“ zeigt, dass Wissenschaft und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen müssen, wenn wir unsere Umwelt langfristig schützen wollen.
Nachhaltigkeit global: „International Sustainable Campus Network“ (ISCN)
Das ISCN ist ein globaler Zusammenschluss von 115 Universitäten aus 38 Ländern auf sechs Kontinenten, die sich gemeinsam für eine nachhaltige Entwicklung auf ihren Campusgeländen einsetzen. Seit 2012 engagiert sich die Freie Universität darin insbesondere in den Bereichen Klimaschutz, Energieeffizienz und nachhaltige Mobilität. Ziel des Netzwerks ist der internationale Austausch bewährter Nachhaltigkeitspraktiken sowie die Entwicklung gemeinsamer Strategien für eine umweltfreundliche Hochschulinfrastruktur. Die Freie Universität kann dabei ihre langjährige Erfahrung in Klimaschutzvereinbarungen mit dem Land Berlin sowie in Programmen zur CO₂-Reduktion aktiv einbringen. Durch regelmäßige Workshops, Konferenzen und Kooperationsprojekte profitieren die Mitgliedsuniversitäten voneinander und treiben nachhaltige Innovationen voran.
Nachhaltig in Europa: Task Force „Sustainability and Climate Protection“
Die Freie Universität engagiert sich aktiv in der Task Force „Sustainability and Climate Protection“ des Universitätsverbundes Una Europa – eines Netzwerks aus elf führenden europäischen Universitäten, das die Zusammenarbeit in Forschung, Lehre und Innovation stärkt. Ziel der Task Force ist es, gemeinsame Strategien für eine nachhaltige Hochschulentwicklung zu erarbeiten. Die Freie Universität bringt dabei ihre umfassende Erfahrung in Klimaschutz, nachhaltigem Campusmanagement und umweltfreundlicher Mobilität ein. Gemeinsam mit den Partneruniversitäten entwickelt sie Konzepte zur CO₂-Reduzierung, nachhaltige Lehrpläne und innovative Klimaschutzmaßnahmen. Darüber hinaus organisiert sie Workshops zu Themen wie „Biodiversitätsmanagement an Universitäten“ und fördert den Austausch bewährter nachhaltiger Praktiken. Durch ihre aktive Beteiligung an Una Europa trägt die Freie Universität dazu bei, Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil der europäischen Hochschullandschaft zu verankern.
EU-Rahmenprogramm „Horizon Europe“
Seit dem Start des EU-Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“ im Jahr 2021 ist die Freie Universität aktiv daran beteiligt. Sie entwickelt dadurch ihre Forschung auf internationaler Ebene weiter und geht globale Herausforderungen an. Dabei spielt sie eine zentrale Rolle als Koordinatorin und trägt maßgeblich zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei. Besondere Schwerpunkte liegen auf Themen wie Klimawandel, Digitalisierung, Gesundheit und gesellschaftlicher Transformation. Die Freie Universität unterstützt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Beantragung und Umsetzung von EU-geförderten Projekten. Zudem bringt sie ihre Expertise in Nachhaltigkeitsforschung, Künstlicher Intelligenz und sozialwissenschaftlichen Analysen gezielt ein.