Frei oder nicht frei?
Warum die Rushdie-Affäre auch heute noch aktuell ist, war Thema in der Vorlesungsreihe „Offener Hörsaal“ mit dem Titel „Freiheit der Kunst – Grenzen der Freiheit?“
07.07.2015
Im Februar 1989 wurde Salman Rushdie für sein Werk „Die satanischen Verse“ vom iranischen Revolutionsführer und damaligen Staatschef Ajatollah Ruhollah Chomeini zum Tode verurteilt. Der Iran setzte ein millionendollarschweres Kopfgeld auf den weltweit bekannten indisch-britischen Schriftsteller aus, der daraufhin untertauchen und versteckt leben musste. Warum die Rushdie-Affäre auch ein Vierteljahrhundert später kaum an Brisanz und Aktualität eingebüßt hat, war Thema im Rahmen der Vorlesungsreihe „Offener Hörsaal: Freiheit der Kunst – Grenzen der Freiheit?“.
Allein in den ersten drei Jahren nach dem Urteil wechselte Rushdie 30 Mal seinen Wohnort. Sabine Schülting, Professorin am Institut für Englische Philologie der Freien Universität Berlin, fasst die Geschehnisse von damals in ihrer Vorlesung noch einmal zusammen.
Rushdies Roman „Die satanischen Verse“ erscheint im September 1988 in London und thematisiert die Situation zweier indischer Muslime, die ein Attentat auf ein Flugzeug überleben. Vor allem eine im Buch beschriebene Traumsequenz stößt bei Muslimen in Großbritannien, Indien und Pakistan umgehend auf Widerstand: Sie werfen dem Schriftsteller vor, damit den Koran und den Propheten Mohammad zu diffamieren.
Todesurteil gegen den Schriftsteller, Ermordung seines Übersetzers
1989 ruft Chomeini zur Ermordung Rushdies und seiner Helfer auf. Die weltweiten Proteste gegen Rushdie fordern weltweit Todesopfer, unter ihnen ist der mit Messerstichen getötete japanische Übersetzer des Buches. Rushdie überlebt, es gibt keine weiteren Gewaltandrohungen seitens des Iran, die Fatwa – das Rechtsgutachten nach islamischem Recht, in dem das Todesurteil dargelegt ist – wurde jedoch nie aufgehoben.
„Das Recht auf freie Meinungsäußerung muss absolut gewahrt werden“, sagt Schülting. Doch auch heute würde diese immer öfter eingegrenzt und attackiert. Als Beispiele nennt die Wissenschaftlerin die Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh, die Angriffe auf den dänischen Karikaturisten Knut Westergaard aufgrund seiner Mohammad-Zeichnungen und den Anschlag auf das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo.
Die Gewalt zeige leider Wirkung, sagt Schülting. Das Resultat sei Selbstzensur. Hier verweist die Literaturprofessorin auf die Absetzung der Mozart-Oper „Idomeneo“ an der Deutschen Oper Berlin im Jahr 2006 aus Angst vor radikalen Islamisten. „Selbstverständlich gehen diese Angriffe auf die freie Meinungsäußerung nicht nur von Muslimen aus“, sagt sie. 2005 habe ein Theater in London beispielsweise ein Stück absagen müssen, weil Sikhs gegen dessen Darstellung von Gewalt und Vergewaltigung in einem ihrer Tempel heftig protestiert hatten.
„Selbstzensur ist problematisch“
Die Freiheit der Kunst dürfe nicht eingeschränkt werden, sagt die Literaturprofessorin. „Fiktionale Literatur – dazu zählen auch ‚Die satanischen Verse‘– hat einen Sonderstatus bezüglich der Wahrheit, selbst wenn reale Orte und Personen benutzt werden.“ Die fundamentalistische Kritik an Rushdies Werk, so Schülting, ignoriere diesen Vertrag zwischen Autor und Leser und vermenge Fiktionales mit realen Ereignissen. Damit würden die Kritiker nicht nur der Komplexität des Romans nicht gerecht, sondern interpretierten Rushdies Blasphemie irrtümlich als Angriff auf sich selbst als Muslime.
Kritik an einer Religion müsse geäußert werden dürfen und dürfe nicht mit der Verletzung von Menschenrechten gleichgesetzt werden. „Jede Form von Selbstzensur halte ich für problematisch“, schließt Sabine Schülting ihren Vortrag. Dass sie heute immer öfter als Konsequenz nach flagranten Angriffen auf die Kunstfreiheit gewählt werde, zeige ein weiteres Mal, wie aktuell die 1989 begonnene Jagd auf Salman Rushdie heute sei.
Weitere Informationen
Vortragsreihe „Freiheit der Kunst – Grenzen der Freiheit?“
Im Offenen Hörsaal werden interdisziplinäre Ringvorlesungen für die interessierte Öffentlichkeit angeboten.
Die Vortragsreihe „Freiheit der Kunst – Grenzen der Freiheit?“ im Sommersemester 2015 ist eine Veranstaltung des Instituts für Deutsche und Niederländische Philologie und findet jeden Dienstag von 18.15 bis 20.00 Uhr statt.
- Letzter Vortrag dieser Reihe am 14.07.2015: Micha Brumlik (Erziehungswissenschaft, Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg): „Eine menschenfeindliche Kunstform? Juden in der Karikatur"
- Details zum Programm im Sommersemester 2015