MATH+: Mathematik für die Zukunft
Der erfolgreiche Exzellenzcluster betreibt anwendungsgetriebene mathematische Forschung mit gesellschaftlicher Relevanz / Interview mit Ko-Sprecherin Claudia Schillings, Freie Universität Berlin
22.05.2025
MATH+ Chairs Team (v.l.n.r.): Claudia Schillings (FU Berlin), Andrea Walther (HU Berlin/ZIB), Sebastian Pokutta (TU Berlin/ZIB)
Bildquelle: Kay Herschelmann
Der Exzellenzcluster „MATH+: Mathematik für die Zukunft“ wird fortgesetzt, eine weitere Förderphase – von Januar 2026 an für sieben Jahre – wurde am 22. Mai 2025 bewilligt. Im campus.leben-Interview erläutert Claudia Schillings, Mathematikprofessorin an der Freien Universität Berlin und eine der drei Sprecher*innen von MATH+, was in dem Forschungsverbund bisher erreicht wurde und welche Ziele in der neuen Förderphase verfolgt werden.
MATH+: Mathematik für die ZukunftDer Exzellenzcluster entwickelt mathematische Methoden zur Analyse komplexer Systeme
wie Klima, Krankheitsausbreitung oder Mobilität und hilft hiermit, Lösungen für zentrale
Herausforderungen der Zukunft zu finden.
Antragsstellende Einrichtungen: Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin,
Technische Universität Berlin
Sprecher*innen: Prof. Dr. Sebastian Pokutta (Technische Universität Berlin und Zuse-Institut
Berlin), Prof. Dr. Andrea Walther (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Claudia Schillings
(Freie Universität Berlin)
campus.leben: Welches Ziel verfolgt die Forschung in Ihrem Cluster?
Claudia Schillings: MATH+ setzt auf anwendungsorientierte Mathematik. Wir entwickeln innovative mathematische Methoden zur datengetriebenen Modellierung, Simulation und Optimierung komplexer Systeme wie bei der Energieversorgung oder Mobilität.
Die drei großen Berliner Universitäten, Freie Universität, Humboldt-Universität und Technische Universität sowie zwei außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) sowie das Zuse-Institut Berlin (ZIB), arbeiten interdisziplinär zusammen und leisten mathematische Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen – etwa im Kontext von Klimawandel, öffentlicher Gesundheit, personalisierter Medizin oder technologischen Entwicklungen wie der Künstlichen Intelligenz.
Die Vielfalt unserer Forschung unterstreicht dabei auch die Relevanz der Mathematik – ganz im Sinne unserer Vision: Transcending Boundaries, Transforming Worlds.
Welche Schwerpunkte haben Sie in den vergangenen Jahren im Cluster gesetzt?
Seit Beginn der aktuellen Förderperiode im Januar 2019 hat MATH+ seine Forschung in projektorientierte Bereiche gegliedert, denen jeweils thematische Schwerpunkte zugeordnet sind. Dabei wird zwischen etablierten „Application Areas“ und den dynamisch entwickelten „Emerging Fields“ unterschieden – letztere adressieren neu entstehende wissenschaftliche Herausforderungen, für deren Bearbeitung häufig neuartige mathematische Ansätze erforderlich sind.
Die „Application Areas“ bündeln Forschungsprojekte zu den gesellschaftlich und technologisch relevanten Themenfeldern „Life Sciences“, „Materials, Light, Devices“, „Networks“ sowie „Energy and Markets“. In enger Zusammenarbeit mit Forschenden anderer Disziplinen entwickeln Mathematiker*innen hier innovative Methoden zur Modellierung, Simulation und Optimierung komplexer Systeme.
Die „Emerging Fields“ hingegen widmen sich zukunftsweisenden Forschungsgebieten, die häufig an der Schnittstelle zu den Sozial- und Geisteswissenschaften liegen und für deren Bearbeitung neuartige mathematische Ansätze erforderlich sind, etwa bei Künstlicher Intelligenz, in der nachhaltigen Entwicklung oder zum gesellschaftlichen Wandel.
Was sind erste Ziellinien, die Sie in der neuen Förderdauer erreichen wollen?
Wir wollen die „Application Areas“ künftig stärker entlang vier zentraler gesellschaftlicher Themenfelder ausrichten: Energie, Mobilität, Gesundheit und Technologie. Ziel ist es, die Mathematik nicht nur als theoretische Disziplin weiterzuentwickeln – was weiterhin einen zentralen Bestandteil unserer Arbeit darstellt –, sondern sie noch gezielter zur Lösung drängender gesellschaftlicher Fragestellungen einzusetzen.
Mit den erwähnten „Emerging Fields“ adressieren wir Themen, deren gesellschaftliche Relevanz künftig stark zunehmen dürfte. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf unserem „Emerging Field“ Opinion Dynamics, in dem wir die sozialen Prozesse der Meinungsbildung mathematisch modellieren und besser verstehen wollen. Die zunehmende Geschwindigkeit, mit der sich Meinungen insbesondere über soziale Medien verbreiten und verändern, stellt neue Anforderungen an die Modellierung kollektiven Verhaltens. Auch im Bereich Mobilität zeigt sich, wie dynamisch Meinungen und Verhaltensweisen sind – etwa, wenn Menschen auf nachhaltigere Mobilitätsformen wie den öffentlichen Verkehr oder Carsharing umsteigen.
Gerade an solchen Schnittstellen – zwischen Opinion Dynamics, Nachhaltigkeit, Energie und Mobilität – entstehen neue interdisziplinäre Forschungsräume. Sie erfordern neue mathematische Konzepte, um Wechselwirkungen zwischen technologischen Innovationen, gesellschaftlichen Entwicklungen und individuellem Verhalten adäquat abzubilden. Die Herausforderung, Prozesse der Meinungsbildung mathematisch fundiert zu modellieren, bleibt dabei zentral und bislang ungelöst. MATH+ sieht sich in der Verantwortung, hier neue Wege zu eröffnen.
Inwiefern bereichert die Arbeit des Clusters die Forschungslandschaft in Berlin? Was ist einzigartig an dem Cluster?
Durch MATH+ und seinen Vorgänger Matheon hat sich Berlin zu einem international anerkannten Spitzenstandort für anwendungsorientierte Mathematik entwickelt. Viele Projekte von MATH+ sind eng mit der Berliner Forschungslandschaft vernetzt: Gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum Berlin wurden Solarzellen mit Weltrekordeffizienz entwickelt, mit der Charité moderne Schmerzmedikamente erforscht, mit der BVG der Fahrplan der Berliner S-Bahn optimiert und mit der Berliner Altertumsforschung an der Rekonstruktion historischer Klima- und Innovationsprozesse gearbeitet.
Das Alleinstellungsmerkmal von MATH+ liegt in der einzigartigen Verbindung von inhaltlicher Breite, exzellenter mathematischer Grundlagenforschung und konkreter Anwendung. Der Cluster profitiert dabei von der langjährigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit der drei großen Berliner Universitäten mit dem WIAS und dem ZIB – ergänzt durch enge Kooperationen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der Berlin Research 50 (BR50) und dem Forschungscampus MODAL.
Sie haben bereits die gesellschaftliche Relevanz vieler Forschungsfragen erwähnt. Warum stellen Sie sich diesen herausfordernden Fragen?
Wir möchten etwas in die Gesellschaft zurückgeben, indem wir gesellschaftlich relevante Fragestellungen, gerade auch mit Fokus auf den Großraum Berlin, adressieren. Dabei nutzen wir die Mathematik als Motor für Innovationen in einem breiten Spektrum von Anwendungen – zum Beispiel effiziente Energieversorgung und nachhaltige Mobilität, personalisierte Medizin und Verhinderung von Krankheitsausbreitungen oder technologische Entwicklungen durch Künstliche Intelligenz.
Wie ist die Idee zum Exzellenzcluster MATH+ ursprünglich entstanden?
MATH+ führt die Erfolgsgeschichten des DFG-Forschungszentrums Matheon und der Graduiertenschule Berlin Mathematical School (BMS) mit den langjährigen Partnern weiter. Aus dieser gewachsenen Kooperation heraus entstand die Idee eines gemeinsamen Exzellenzclusters, der heute die Stärken der „Berliner Mathematik“ unter einem Dach vereint.
Die Fragen stellten Kerrin Zielke und Christine Boldt