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Center for Chiral Electronics

Der neu bewilligte Exzellenzcluster erforscht innovative Konzepte für energie-effizientere und ultraschnelle Elektronik / Interview mit Ko-Sprecherin Katharina Franke, Freie Universität Berlin

22.05.2025

Ko-Cluster-Sprecherin und Physikprofessorin Dr. Katharina Franke

Ko-Cluster-Sprecherin und Physikprofessorin Dr. Katharina Franke
Bildquelle: David Ausserhofer

Der Exzellenzcluster „Center for Chiral Electronics“ wurde neu bewilligt. Das wurde am 22. Mai 2025 bekanntgegeben. An dem Cluster ist der Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin mit Kooperationspartnern aus Halle und Regensburg beteiligt. Katharina Franke von der Freien Universität Berlin vertritt den Exzellenzcluster als Ko-Sprecherin; die Physikprofessorin erläutert die Ziele des Clusters und die gesellschaftliche Relevanz.

Center for Chiral Electronics: Elektronik für die Zukunft
Künstliche Intelligenz und Cloud Computing lassen den Energieverbrauch weltweit steigen. Um dem entgegenzuwirken, erforscht das Center for Chiral Electronics innovative Konzepte für energie-effizientere und ultraschnelle Elektronik.
Antragsstellende Hochschulen: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Freie Universität Berlin, Universität Regensburg
Sprecher*innen: Prof. Dr. Georg Woltersdorf (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Katharina Franke (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Christoph Strunk (Universität Regensburg)

campus.leben: Was ist das Ziel der Forschung im Center for Chiral Electronics?

Katharina Franke: Künstliche Intelligenz und Cloud Computing treiben den weltweiten Energieverbrauch rasant in die Höhe. Das Center for Chiral Electronics (CCE) erforscht innovative Konzepte für energieeffizientere, ultraschnelle Elektronik.

Dabei benutzen wir das Prinzip der Chiralität – eine von der Natur inspirierte Eigenschaft, die beschreibt, dass das Spiegelbild eines Objekts nicht mit dem Original zur Deckung gebracht werden kann. Wir werden neue chirale Materialien entwickeln und deren elektronische Eigenschaften – insbesondere die Wechselwirkung mit dem Elektronenspin – erforschen.

Ziel ist es, die Grundlagen für neue energieeffiziente Speicher- und Logikbauelemente zu entwickeln, die auf der atomaren Skala und mit hohen Taktraten arbeiten.

Auf welcher bisherigen Forschung baut der neue Cluster auf?

Ausgangspunkt des Center for Chiral Electronics ist die erfolgreiche Forschung in den Bereichen Spintronik und ultraschnelle Dynamik. Diese beschäftigt sich damit, wie der Elektronenspin – eine fundamentale Quanteneigenschaft von Elektronen – ausgenutzt werden kann, um Informationen möglichst schnell zu verarbeiten.

Es fließen außerdem neue Erkenntnisse der Partner aus der Molekül-, Festkörper und der Spinphysik sowie der Entwicklung neuartiger Materialsysteme ein. Der Cluster vereint damit interdisziplinäre Forschung in Physik, Chemie und Materialwissenschaften.

Die innovative Idee im Cluster ist die Kombination des Elektronenspins mit chiralen Materialien. Bisherige Arbeiten haben gezeigt, dass chirale Materialien eine besondere Wechselwirkung mit dem Elektronenspin ermöglichen – was einen vielversprechenden Ansatz für energieeffiziente elektronische Bauelemente bietet und einen Weg für neue Technologiekonzepte aufzeigt. Diese sind von enormer Bedeutung für unsere informationsgetriebene Gesellschaft, die immer mehr und schnellere Datenverarbeitung verlangt.

Was sind erste Ziellinien, die Sie erreichen wollen?

Die Forschung zum Potenzial chiraler Materialien für die Elektronik steckt sozusagen noch in den Kinderschuhen. Es gibt vielversprechende Experimente zur Wechselwirkung des Elektronenspins mit chiralen Molekülen, aber auch zu chiraler Supraleitung. Unser erstes Ziel ist, ein fundamentales Verständnis der Zusammenhänge zu entwickeln. Hierzu entwickeln wir Versuche und Modellvorstellungen in enger Zusammenarbeit zwischen Experiment und Theorie. Sobald wir die Mechanismen besser verstanden haben, werden wir neue Materialen und Bauelement-Architekturen entwickeln, um die Effekte für Anwendungen zugänglich zu machen. 

Inwiefern bereichert die Arbeit des Clusters die Forschungslandschaft in Berlin? Was ist einzigartig an dem Cluster?

Die Freie Universität Berlin, insbesondere aber auch die Berlin University Alliance (BUA) und Berlin Research 50 (BR 50) haben die Quantenphysik und Materialwissenschaften aufgrund ihrer besonderen Relevanz als Forschungsschwerpunkte identifiziert. Das Center for Chiral Electronics ist Teil dieser Säulen und wird somit die Berliner Forschungslandschaft entscheidend prägen.

Aber nicht nur die Grundlagenforschung wird vom CCE profitieren, sondern auch die in Berlin wieder an Bedeutung gewinnende Industrie. Berlin wird zunehmend attraktiv für Firmen im Hochtechnologie-Sektor, der auf gut ausgebildete Physiker*innen mit technologie-relevanter Expertise angewiesen ist. Dieser Arbeitsmarkt war in den vergangenen Jahren von Fachkräftemangel geprägt. Dem wirkt das CCE mit seinem Ausbildungsprogramm entgegen.

Die Verknüpfungen und das Wirken des CCE gehen aber über die Grenzen Berlins hinaus. Um die großen Herausforderungen an neue Technologien effizient zu erforschen, bedarf es eines perfekt abgestimmten und komplementär arbeitenden Teams. Das CCE vereint die Expertise von drei herausragenden Standorten: Halle, Berlin und Regensburg. Damit können die Anforderungen an moderne Technologien, die dringend benötigt werden, mit vereinten Kräften im nationalen Kontext bearbeitet werden.  

Hat die Forschung auch gesellschaftliche Relevanz?

Der Bedarf unserer Gesellschaft an immer schnellerer Datenverarbeitung verlangt dringend neue energieeffiziente Konzepte. In den USA sind bereits abgeschaltete Kern- und Kohlekraftwerke wieder ans Netz genommen worden, um zentrale Rechenzentren zu betreiben. Das ist nicht nachhaltig, und es bedarf dringend neuer Technologien, um diesem Trend entgegenzuwirken. 

Des Weiteren erleben wir in politisch turbulenten Zeiten, dass es für Europa immer dringender wird, sich von Asien und Amerika in der Chipindustrie unabhängig zu machen. Dies wurde bereits im Europäischen Chipgesetz verankert. Unser Cluster trägt nicht nur zu neuen Technologiekonzepten bei, sondern bildet auch die nächste Generation an Physiker*innen aus, die in der Chipindustrie händeringend benötigt werden. 

Dem gesellschaftlichen Anspruch an immer schnellere Computer steht aber leider ein wenig ausgeprägtes Interesse an Naturwissenschaften und Technik entgegen. Unser Cluster möchte verstehen, wo die Faszination für „Wie funktioniert das?“ im jugendlichen Alter verlorengeht. Deshalb haben wir auch eine Bildungsforscherin und Didaktiker*innen an Bord geholt, um diesen negativen Trend zu erforschen und Strategien dagegen zu entwickeln. Denn Europa braucht kreative Naturwissenschaftler*innen, um weiter ein erfolgreicher Industriestandort zu sein.  

Wie ist die Idee entstanden, in einem Forschungscluster zusammenzuarbeiten?

Die naturwissenschaftlich-technische Grundlagenforschung ist besonders effizient, wenn Teams mit komplementärer Expertise zusammenarbeiten. Solche Kooperationen haben sich bereits sehr positiv in von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichen bewährt.

Der Transregio-Sonderforschungsbereich zwischen Berlin und Halle (TRR 227) erforscht ultraschnelle Spindynamik und hat als Keim für das CCE gewirkt. Hier haben sich bereits Wissenschaftler*innen zusammengefunden, die an Konzepten für Spintransport und hohen Taktraten in magnetischen Materialien forschen. Die Idee, Chiralität als neues Konzept hinzuzunehmen, ist dann durch die aktuellen Durchbrüche einiger Gruppen, die nun in CCE vereint sind, entstanden – aber auch international motiviert.

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Freie Universität Berlin, die Universität Regensburg und das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle sind ideale Partner, um die notwendige Expertise in der Materialforschung, ultraschnellen Spektroskopie und Nanophysik abzudecken.

Die Fragen stellten Kerrin Zielke und Christine Boldt