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„Es geht um die gezielte Erniedrigung des politischen Gegners“

Semesterschwerpunkt Wissenschaftsfreiheit: An der Freien Universität Berlin fand die SCRIPTS-Podiumsveranstaltung „Brennpunkt USA“ statt

10.06.2025

Zur Situation an US-Hochschulen: (v. l. n. r.) Moderatorin Katja Weber im Gespräch mit Lora Anne Viola, Kathrin Zippel, Rachel Tausendfreund, Mattias Kumm und Tanja Börzel.

Zur Situation an US-Hochschulen: (v. l. n. r.) Moderatorin Katja Weber im Gespräch mit Lora Anne Viola, Kathrin Zippel, Rachel Tausendfreund, Mattias Kumm und Tanja Börzel.
Bildquelle: Christian Demarco

Die Trump-Regierung geht derzeit unverhohlen gegen amerikanische Universitäten vor. Im Rahmen des Semesterschwerpunkts Wissenschaftsfreiheit – einer Kooperation von Freier Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und SCRIPTS – diskutierten Wissenschaftler*innen des Exzellenzclusters „Contestations of the Liberal Script“ (SCRIPTS) am 4. Juni 2025 an der Freien Universität Berlin darüber, wie es um die Wissenschaftsfreiheit in den USA bestellt ist. Und welche Gefahren auch hierzulande drohen.

Auf dem Podium saßen die Politikwissenschaftlerin und SCRIPTS-Sprecherin Professorin Tanja Börzel vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, die FU-SCRIPTS-Mitglieder Kathrin Zippel (Soziologieprofessorin) und Professorin Lora Anne Viola (Politikwissenschaftlerin am John-F.-Kennedy-Institut) sowie Professor Mattias Kumm (Wissenschaftszentrum Berlin, SCRIPTS) und Rachel Tausendfreund (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik).

„Die Universitäten sind der Feind“ – das sagte der heutige amerikanische Vizepräsident J. D. Vance bereits im Jahr 2021. Heute, wenige Monate nach dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump, setzt die amerikanische Regierung zum Kampf gegen diesen erklärten Feind an. Selbst Spitzeninstitutionen wie Harvard werden politisch massiv unter Druck gesetzt, damit sie etwa Programme zur Förderung von Diversität, Inklusion und Gleichstellung einstellen. Öffentliche Forschungsgelder werden gekürzt, rechtliche Schikanen etwa gegenüber ausländischen Studierenden lanciert. Die politische Einflussnahme auf die Forschung hat ein Klima der Angst geschaffen.

Prof. Dr. Tanja Börzel, Politikwissenschaftlerin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, ist Sprecherin des Exzellenzclusters SCRIPTS.

Prof. Dr. Tanja Börzel, Politikwissenschaftlerin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, ist Sprecherin des Exzellenzclusters SCRIPTS.
Bildquelle: Christian Demarco

„An Universitäten wird kritisches Denken und pluralistische Streitkultur gelehrt, und wissenschaftliche Arbeit bringt oft unbequeme Wahrheiten zu Tage. Das steht dem Gesellschaftsbild von autoritären Populisten diametral entgegen“, sagte Tanja Börzel. „Wissenschaftsfreiheit ist eine zentrale Säule liberaler Gesellschaften – und sie gerät in diesen Tagen massiv unter Druck.“

Die Politikwissenschaftsprofessorin und Cluster-Sprecherin begrüßte zu der Podiumsdiskussion im Rahmen des Semesterschwerpunkts Wissenschaftsfreiheit und skizzierte die Arbeit von SCRIPTS. Der Exzellenzcluster, in dem dazu geforscht wird, wie und warum liberale Demokratien unter Druck stehen und angegriffen worden, wird im Rahmen der Exzellenzstrategie für sieben weitere Jahre gefördert, das hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft am 22. Mai bekanntgegeben. In der zweiten Förderphase wird es vor allem darum gehen, was Demokratien resilient macht.

Prof. Dr. Lora Anne Viola, Politikwissenschaftsprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin und SCRIPTS-Mitglied.

Prof. Dr. Lora Anne Viola, Politikwissenschaftsprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin und SCRIPTS-Mitglied.
Bildquelle: Christian Demarco

„Die Stimmung auf vielen amerikanischen Campussen ist düster“, berichtete Lora Anne Viola, Professorin für Außen- und Sicherheitspolitik am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität und selbst Amerikanerin. „Man spürt nicht nur den politischen Druck – auf den Campussen sind Beamte der Einwanderungspolizei ICE vor Ort.“

Kathrin Zippel, Professorin für Gender Studies am Institut für Soziologie der Freien Universität, hat den Druck der amerikanischen Regierung selbst erlebt, sie hat, bevor sie 2022 als Einstein-Professorin an die Freie Universität kam, 20 Jahre lang an der Northeastern University in Boston unterrichtet und geforscht.

Prof. Dr. Kathrin Zippel, Einstein-Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Gender Studies am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin und Mitglied des Exzellenzclusters SCRIPTS.

Prof. Dr. Kathrin Zippel, Einstein-Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Gender Studies am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin und Mitglied des Exzellenzclusters SCRIPTS.
Bildquelle: Christian Demarco

Auf dem Podium berichtete sie von ihren Erfahrungen in einem von der National Science Foundation finanzierten Forschungsprojekt in den USA. „Die National Science Foundation teilte uns per E-Mail mit, dass wir bereits zugesagte Mittel nicht mehr verwenden dürfen, dies wurde kurze Zeit später zurück genommen“, sagte Zippel. „Einige Universititäten haben eine Art Bekenntnisschreiben eingefordert, künftig keine Maßnahmen und Aktionen mehr im Bereich Diversität und Gleichstellung durchzuführen.“

Politischer, kultureller und ökonomischer Riss in der amerikanischen Gesellschaft

Rachel Tausendfreund, Senior Research Fellow in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Rachel Tausendfreund, Senior Research Fellow in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Bildquelle: Christian Demarco

Weitgehend einig waren sich die Wissenschaftler*innen an diesem Abend darüber, dass sich in der amerikanischen Gesellschaft ein politischer, kultureller und ökonomischer Riss auftut. „Universitäten wie Harvard oder Columbia sind in der Tat Machtzentren des linksliberalen Amerikas“, sagte Rachel Tausendfreund, Senior Research Fellow in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Die Trump-Regierung wirft den liberalen Eliten vor, dass sie wenig Ahnung vom Leben außerhalb der Großstädte an den Küsten hätten. Das erscheint nicht ganz ungerechtfertigt.“

Lora Anne Viola betonte zudem, dass nur rund ein Prozent der amerikanischen Bevölkerung an den Elite-Hochschulen studiert. „Ein Bachelorstudium in Harvard kostet bis zu 100.000 US-Dollar pro Jahr“, sagt sie. „Für den weitaus größten Teil der Bevölkerung ist das nicht ansatzweise finanzierbar – und die demokratischen Eliten haben in den vergangenen Jahrzehnten versagt, mehr Bildungsgerechtigkeit herzustellen.“

Prof. Dr. Mattias Kumm, Verfassungsrechtler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und SCRIPTS-Mitglied.

Prof. Dr. Mattias Kumm, Verfassungsrechtler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und SCRIPTS-Mitglied.
Bildquelle: Christian Demarco

Der Rechtswissenschaftler Mattias Kumm, Professor am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin sowie an der New York University und SCRIPTS-Mitglied, betonte jedoch, dass die Debatten über den Zustand der Universitäten und das aggressive Vorgehen der Trump-Regierung getrennt analysiert werden müssten: „Selbstkritik gehört dazu, und gerade Universitäten sollten ein Ort sein, an dem diskutiert werden kann, ob beispielsweise Antidiskriminierungsmaßnahmen zu weit oder im Gegenteil nicht weit genug gehen“, sagt er. „Aber das gegenwärtige rechtlose Handeln der amerikanischen Regierung, die die gezielte Erniedrigung des politischen Gegners zum Ziel hat, hat weder etwas mit einer ernsthaften Debatte noch mit Konservatismus zu tun.“

Ist ein ähnliches Szenario in Deutschland denkbar?

Und wie ist die Situation in Deutschland? Ist ein ähnliches Szenario denkbar? Mattias Kumm warnte, dass die Hochschulgesetze einiger Bundesländer Einfallstore für politische Einflussnahme böten. „In einigen Ländern kann die Landesregierung etwa bei der Berufung von Professorinnen und Professoren mitbestimmen“, sagte er.

Auch im Land Berlin sei politische Einflussnahme auf Berufungen rechtlich möglich. „Wir sind daher gerade im Austausch mit dem Berliner Senat, um das Berliner Berufsrecht zu modernisieren“, sagte Tanja Börzel. „Insgesamt profitieren wir jedoch davon, dass in Deutschland ein Vertrauensverhältnis zur Wissenschaft besteht – sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung.“

Wissenschaftskommunikation stärken

Damit das so bleibt und das Vertrauen weiter gestärkt wird, ist gute laienverständliche Wissenschaftskommunikation wichtig, die die Brücke von der Forschung in die Gesellschaft schlägt: Wissenschaftler*innen dürften nicht müde werden zu erklären, wozu sie forschen und ganz grundsätzlich, wie Wissenschaft funktioniert.

Die Aussicht, dass aufgrund des politischen Drucks in den USA nun vermehrt internationale Spitzenkräfte in die deutsche Forschung kommen, wie viele deutsche Politiker*innen hoffen, hielten viele Teilnehmer*innen auf dem Panel allerdings für eine Illusion. Nach wie vor seien deutsche Universitäten gerade angesichts aktueller Sparmaßnahmen nicht in der Lage, vergleichbare Forschungsbedingungen und Gehälter für Spitzenpersonal zu leisten.

„Es geht aber auch gar nicht so sehr darum, dass Deutschland jetzt einen sicheren Hafen für internationale Stars bereithält“, sagt Lora Viola. „Bedroht ist vor allem die nachfolgende Generation, der internationale Nachwuchs. Sie sind vor allem auf unsere Solidarität angewiesen.“

Weitere Informationen

Wissenschaft braucht Freiheit. Der Semesterschwerpunkt ist eine Kooperation der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und des Exzellenzclusters SCRIPTS. In Kurzbeiträgen beleuchten Wissenschaftler*innen beider Hochschulen mit ihrer jeweiligen Expertise Aspekte von Wissenschaftsfreiheit; im Rahmen von Podiumsdiskussionen werden unterschiedliche Themen verhandelt.