„Der zunehmende Zerfall einer gemeinsam geteilten Realität zerstört die Demokratie“
Prof. Dr. Harald Wenzel (i.R.), Abteilung Soziologie, John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien
24.10.2024
Fragt man sich, warum die grotesken Lügen und Beschimpfungen, die Donald Trump im Wahlkampf äußert, ihn für seine Wählerschaft nicht disqualifizieren, muss man zu dem Schluss kommen, dass diese Wählerschaft in einer eigenen Realität lebt, die ihre eigenen Gesetze – und damit Wahrheiten – hat. Mit der Aufhebung der Fairness-Doktrin unter Ronald Reagan im Jahr 1985 konnten Medien polarisierte Meinungen verbreiten, ohne wie zuvor auch die Sicht der „anderen Seite“ berücksichtigen zu müssen. Das war der Startschuss für neue „Realitätsunternehmer“ wie den Radio-Talkshow-Gastgeber Rush Limbaugh, die für ihr breites Stammpublikum eine Echokammer einrichteten, in der das ultrakonservative Meinungsgut immer wieder bestätigt und bekräftigt wurde – und alle Gegenevidenzen und -argumente als Fälschungen der gegnerischen Propaganda entlarvt wurden.
Im jetzigen Präsidentschaftswahlkampf sind viele Realitätsunternehmer für die MAGA-Echokammer tätig, an erster Stelle Donald Trump selbst und sein „Truth Social“-Medienauftritt – wenngleich die konservative, ins ultrarechte Lager reichende Front einige Risse hat. Dass haitianische (legale) Einwanderer in Springfield die Hunde und Katzen ihrer Nachbarn essen, ist dann wieder eine der grotesken Lügennachrichten (J. D. Vance hat den „fiktionalen“ Charakter dieser Nachricht zugestanden), die die Aufmerksamkeit der Medien viel zu lange beschäftigen; und wenn auch noch der Hurrikan (gleich ob „Helene“ oder „Milton“) von der Regierung gesteuert sein soll, dann ist der Unterschied zwischen „fiktionalen“ Nachrichten und Verschwörungstheorien doch nur graduell.
Verschwörungstheoretiker*innen wie Marjorie Taylor Green sind deshalb selbst in der MAGA-Echokammer nicht ganz unumstritten, aber sie stellen nur eine logische Weiterentwicklung des MAGA-Realitätsunternehmertums dar, dessen nicht unwichtige Teilaufgabe ist, die Aufmerksamkeit von den großen Problemen der Gegenwart abzulenken, für deren Lösung der politischen Gegenseite Kompetenz zugesprochen wird. Seit Steve Bannon wird diese Medienstrategie „bullshitting“ genannt.