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„Emotionen sind bei US-Wahlen seit mehr als 200 Jahren immer zentral“

Jessica Gienow-Hecht, Professorin für die Geschichte Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut

25.10.2024

Jessica Gienow-Hecht,    Professorin für die  Geschichte Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut

Jessica Gienow-Hecht, Professorin für die Geschichte Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut
Bildquelle: Martin Funck

„Haben Sie Wahlangst?”. „12 Wege, um Wahlstress zu managen.” „Wahlangst nimmt zu.” So titelten kürzlich US-amerikanische Publikationen. In einer Umfrage der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft geben 73 Prozent an, dass die Wahlen sie „ängstlich“ stimmen. 86 Prozent aller jungen LGBTQ+-Personen sagen, ihre Lebensqualität sei dadurch beeinträchtigt. Psychologinnen empfehlen Betroffenen, mehr Sport zu treiben und den Medienkonsum zu minimieren –vor allem vor der Nachtruhe. 

„Election-xiety” ist die Angst vor dem Verlauf und Ausgang von Wahlen. Da viele Menschen Parteien und deren Kandidatin oder Kandidaten immer intensiver mit einem bestimmten way of life verbinden, sagt die Psychologin Erica Komisar, hätten diese Menschen Verlustängste: dass es in den USA nach dem 5. November keinen Platz mehr für sie gebe. 

Die Strategien von Kamala Harris und Donald Trump entsprechen dieser Diagnose: Harris setzt auf unklare Positionen wie Hoffnung, Inklusion, bloß kein Stress. Trump dagegen auf Untergangsszenarien, Vergeltung und Erlösung. Harris will eine „Präsidentin für alle Amerikanerinnen und Amerikaner” sein, Trump der Messias, der das Volk vor der Katastrophe rettet.

Emotionen sind bei US-Wahlen seit mehr als 200 Jahren immer zentral und werden es auch am 5. November sein. Auffällig ist indes, dass Themen wie Arbeitslosigkeit, Migration, Abtreibung, Außenpolitik inzwischen zunehmend rhetorische Übungen sind, die die Kandidatinnen nutzen, um die eigentliche Botschaft zu vermitteln: „Ich bin die Richtige für dich”. Am Ende wird alles davon abhängen, wie einige tausend Wähler in sieben Swing-Staaten sich am Tag der Wahl gerade so fühlen. Genau das macht die Meinungsumfragen so fragwürdig, die Prognosen so ungewiss und die Angst vor dem Ausgang so groß.