„Positionen historisch einordnen, verschiedene Perspektiven befragen und miteinander ins Gespräch bringen“
campus.leben-Reihe: Wie haben sich Forschung und Lehre seit dem 7. Oktober 2023 verändert? / Islamwissenschaftler Florian Zemmin
02.10.2024
Am 7. Oktober 2024 jährt sich der Terrorangriff der Hamas auf Israel. Wir haben Wissenschaftler*innen der Freien Universität Berlin aus Bereichen, die zur Region und zum Konflikt Naher und Mittlerer Osten lehren und forschen, gefragt: Wie blicken sie aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive auf die Situation im Nahen und Mittleren Osten?
Ein Beitrag des Islamwissenschaftlers Professor Florian Zemmin
Man könnte verzweifeln. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Eine Lösung des Nahostkonflikts erscheint ferner denn je. Dafür wäre es nötig, dass die maßgeblichen Akteure auf beiden Seiten das Recht auf Sicherheit und Selbstbestimmung der jeweils anderen Seite anerkennen. Tatsächlich wird diesen „Anderen“ teils gar die Menschlichkeit abgesprochen.
Man muss Hoffnung bewahren. Den größten Respekt haben jene Israelis und Palästinenser*innen verdient, die trotz des eigenen erfahrenen Leids auch das Leid der anderen Seite sehen; die in zivilgesellschaftlichen Projekten auf Aussöhnung hinarbeiten; die wissen, dass die eigene Sicherheit nicht ohne die Sicherheit der anderen erlangt werden kann. Darin zeigt sich neben Menschlichkeit auch ein langfristiger politischer Realismus.
Man kann versuchen, einen kleinen Beitrag zu leisten. Wie soll man von den unmittelbar von Gewalt Betroffenen erwarten, dass sie miteinander reden, wenn uns das hier nicht gelingt? In wissenschaftliche Arbeit übersetzt, heißt das für mich als Professor für Islamwissenschaft mit Schwerpunkt auf der neuzeitlichen und gegenwärtigen arabischen Welt: vorhandene Positionen historisch einordnen, verschiedene Perspektiven befragen und miteinander ins Gespräch bringen. In der Lehre haben wir in den vergangenen Monaten dabei am Institut für Islamwissenschaft überaus positive Erfahrungen gemacht.
Unter anderem setzten wir uns in einem Bachelor-Seminar mit verschiedenen historischen Darstellungen des Nahostkonflikts auseinander und fragten, mit welchen gegenwärtigen politischen Positionen die jeweilige Darstellung verknüpft war. Neben historischem Wissen lernten die Teilnehmenden, ihre eigenen Positionen im Lichte anderer Perspektiven zu befragen und anzupassen oder näher zu begründen. Für die maßgeblichen Beiträge bleiben politisch Handelnde verantwortlich.
Über den AutorProf. Dr. Florian Zemmin ist Islamwissenschaftler und geschäftsführender Direktor des Instituts für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Weitere Informationen
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