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Geschichte neu schreiben

Die Globalisierung betrachtet aus der Perspektive Lateinamerikas / Internationaler Kongress vom 9. bis 13. September an der Freien Universität

13.08.2014

Kinder der Zeitgeschichte: Eine Schulklasse besucht das Museum der Revolution in Havanna, Kuba.

Kinder der Zeitgeschichte: Eine Schulklasse besucht das Museum der Revolution in Havanna, Kuba.
Bildquelle: Stefan Rinke

Professor Stefan Rinke, Organisator des Kongresses und Historiker am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin.

Professor Stefan Rinke, Organisator des Kongresses und Historiker am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: privat

Mehr als 100 Symposien erwarten die Teilnehmer beim 17. Kongress der Vereinigung der europäischen Lateinamerika-Historiker AHILA (Asociación de Historiadores Latinoamericanistas Europeos) an der Freien Universität. Ziel der internationalen Tagung ist es, über neue Forschungsergebnisse zu diskutieren und die Beziehungen zwischen Lateinamerika und Europa zu vertiefen. Besondere Aspekte des Programms erläutert Professor Stefan Rinke, Organisator des Kongresses und Historiker am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, im Interview mit campus.leben.

Professor Rinke, worum wird es bei der Konferenz des Verbands der Lateinamerika-Historiker im September gehen?

Thema ist die lateinamerikanische Geschichte im Kontext der Globalisierung. Wir werden über die geschichtlichen und aktuellen Phasen der Globalisierung und ihren Einfluss auf die lateinamerikanische Geschichte diskutieren.

Gibt es dabei bestimmte Schwerpunkte?

Nein, unsere Mitglieder sind in der Themenwahl frei, deshalb ist die Bandbreite der Themen sehr groß. Ein wichtiges Thema ist aber beispielsweise Migration. Bei der Tagung liegt das Interesse besonders auf Migrationsdynamiken im 19. und 20. Jahrhundert im transatlantischen und transpazifischen Raum. Uns ist es ein Anliegen, die Prozesse der Migration historisch zu untersuchen, gleichzeitig aber auch darauf hinzuweisen, dass Lateinamerika während der vergangenen 50 Jahre kein Kontinent der Einwanderung, sondern der Auswanderung war. Gegenwärtig wandeln sich einige Länder aber wieder zum Einwanderungsland. Angesichts dieser Entwicklung fragen wir nach dem Warum und diskutieren über die globalen Auswirkungen.

Im Verbund der Lateinamerika-Historiker arbeiten Wissenschaftler verschiedener Kontinente zusammen, ergibt sich daraus eine neue Perspektive?

Selbstverständlich. Uns war es von Anfang an wichtig, die Geschichte Lateinamerikas polizentrisch zu betrachten, also mehrere Regionen ins Zentrum zu rücken. Mit Historikern aus Lateinamerika zusammenzuarbeiten ist dabei nicht nur selbstverständlich, sondern notwendig. Mittlerweile gehen die Beziehungen sogar über Europa und Lateinamerika hinaus: im September werden wir erstmals auch mit Lateinamerika-Historikern aus Asien, Afrika und Australien zusammenarbeiten.

Bewirkt die Globalisierung auch Veränderungen in der Geschichtswissenschaft?

Ja. Bislang haben wir als Untersuchungsgegenstand besonders intensiv die Nation betrachtet. Vor dem Hintergrund der Globalisierung müssen wir uns aber von der Vorstellung lösen, dass die Nation der wichtigste Bezugsrahmen der Geschichtswissenschaft sei. Vielmehr geht es nun darum zu untersuchen, wie sich die Entwicklungen in Europa auf andere Weltregionen ausgewirkt haben und umgekehrt. Wir versuchen zu analysieren, welche neuen Interaktionsräume entstehen, wenn sich Menschen, Waren und Ideen zwischen den Nationen relativ frei bewegen. In diesen neuen Räumen bilden sich wiederum autonome Dynamiken. Wir erkennen langsam, dass es in der Geschichte durchaus ähnlich gelagerte Prozesse gab, diese uns aber entgangen sind, weil wir auf die Nation fixiert waren. Der Input aus anderen Weltregionen ist für diesen Wandel besonders wichtig. Die Konferenz im September ist ein Anfang, unsere Forschungsfelder neu zu fassen und eine dem Gegenstand entsprechende Betrachtungsweise zu entwickeln.

Könnten Sie ein Beispiel für einen neuen Interaktionsraum geben?

Da bietet sich das Beispiel der Migration an: Angenommen, der Hauptverdiener einer Familie arbeitet über Jahre hinweg im Ausland, steht aber weiterhin mit seinem Herkunftsumfeld in Kontakt, unterstützt seine Familie finanziell und bringt neue kulturelle Vorstellungen in seinen Herkunftsort. Durch diese Interaktion entstehen neue Räume, in denen sich Gesellschaften neu konstituieren und neue Fragen aufgeworfen werden. Diese heute offensichtlichen Dynamiken haben tiefe historische Wurzeln, die noch kaum bekannt sind.

Wird es auf der Konferenz einen besonderen Gast geben?

Ja, sogar zwei. Den US-amerikanischen Lateinamerika-Historiker Jeremy Adelman von der Universität Princeton, er ist eine der führenden Stimmen in der Globalgeschichte. Und die argentinische Historikerin Hilda Sabato, die in diesem Jahr mit dem Humboldt-Forschungspreis ausgezeichnet wurde und ihr Projekt an der Abteilung Geschichte des Lateinamerika-Instituts durchführt. Als führendes Mitglied im Weltverband der Historiker hat Frau Sabato in ihrer Forschung seit Jahrzehnten immer den Vergleich mit anderen Weltregionen gesucht.

Die Fragen stellte Lena Pflüger

Weitere Informationen

17. Kongress der Vereinigung der europäischen Lateinamerika-Historiker AHILA (Asociación de Historiadores Latinoamericanistas Europeos).

Die Tagung mit dem Titel „Entre Espacios: La historia latinoamericana en el contexto global“ („Zwischen Räumen: Lateinamerikanische Geschichte im globalen Kontext“) wird organisiert vom Internationalen Graduiertenkolleg Zwischen Räumen des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität.

Mit 104 Symposien und um die 850 Teilnehmer aus aller Welt ist dies der größte Kongress in der Geschichte der Vereinigung.

  • Die Veranstaltung findet in spanischer und portugiesischer Sprache statt
  • Anmeldungen sind noch bis 20. August möglich.