„Das sind schmerzhafte Gespräche, auch für mich persönlich“
Interview mit Universitätspräsident Günter M. Ziegler zu den Haushaltskürzungen durch den Berliner Senat
21.07.2025
Bei einer Demonstration vor der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege wurde mit Plakaten und Texten ohne „E“ protestiert – als Zeichen gegen Kürzungen und fehlende „Euros“.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Es ist viel in Bewegung an der Freien Universität und in der Berliner Wissenschaftslandschaft: Im November geht es um die Verteidigung des Exzellenztitels für den Berliner Universitätsverbund BUA, der Berliner Senat hat massive Kürzungen in der Wissenschaft angekündigt, die Universitäten reagieren mit einem Strategieprozess. Wie ist der Stand, wie geht es weiter? Fragen an Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler.
Herr Professor Ziegler, die Vorlesungszeit ist zu Ende – was war dieses Sommersemester für ein Semester?
Das war ein übervolles, ein anstrengendes Semester: Erfolge, Herausforderungen, Schmerzhaftes – das lag alles ganz nah beieinander. Der Exzellenzcluster-Entscheid am 22. Mai ist dafür ein Beispiel: Wir hatten großartigen Erfolg mit dem neuen Physik-Cluster Center for Chiral Electronics und der Weiterbewilligung der Cluster MATH+ und SCRIPTS.
Auf der anderen Seite gab es große Enttäuschung, dass unser literaturwissenschaftlicher Cluster Temporal Communities nicht weitergefördert wird. Das ist schmerzhaft, da brauchen wir neue Perspektiven, damit dieses wichtige Forschungsfeld an der Freien Universität Berlin weitergeführt und exzellent weiterentwickelt werden kann – da glaube ich dran, wir schaffen das.
Ein neuer Sonderforschungsbereich in der Physik, zwei neue Graduiertenkollegs in der Veterinärmedizin, das und vieles mehr können wir als Erfolg feiern. Dazu gehört auch, dass die Berlin-Brandenburger Start-up-Plattform UNITE mit breiter Unterstützung von allen Seiten aufgebaut und vom Bund mit Millionen gefördert wird.
Einen großen Schatten auf das Semester haben die Sparmaßnahmen des Berliner Senats im Wissenschaftsbereich geworfen. Noch ist nichts final, aber sicher ist, dass die Kürzungen, vor allem aber die Geschwindigkeit, mit der wir an der Freien Universität einsparen müssen, massive Lücken reißen werden.
Da unsere Fächer und unsere Forschung eng vernetzt arbeiten, wird jeder Sparvorschlag starke Auswirkungen haben: auf unsere Forschung und Lehre mit ihren einzigartigen Angeboten, auf die Vielfalt unserer Studienfächer, auf die technische und bauliche Infrastruktur. Nicht zuletzt und vor allem aber sind Menschen betroffen, unsere Gemeinschaft auf dem Campus: unsere Studierenden und Beschäftigten in Forschung, Lehre und der Verwaltung – alle, die die Freie Universität ausmachen.
Wie ist die aktuelle Situation für die Freie Universität?
Im Raum stehen weiterhin 37 Millionen Euro, die allein in diesem Jahr an der FU eingespart werden müssen. Perspektivisch geht es um effektiv mindestens zehn Prozent weniger Mittel. Das ist brutal.
Ich bin gemeinsam mit meinen Präsidiumskolleg*innen seit Monaten in intensiven Gesprächen zu Strukturanpassungen mit den Kolleg*innen in den Fachbereichen, die wiederum im engen Austausch mit den Instituten und ihren Kolleg*innen stehen. Das sind schwere, anstrengende Verhandlungen, die an niemandem spurlos vorbeigehen, auch an mir nicht. Denn jede Kürzung nimmt der Freien Universität etwas von dem, was sie ausmacht.
Die Kürzungen werden über die nächsten Jahre zu einer Freien Universität führen, die deutlich kleiner wird. Viele Professuren werden wegfallen, wissenschaftliche und wissenschaftsunterstützende Stellen werden gestrichen oder nicht verlängert. Da hängen viele individuelle Schicksale dran. Das ist schwer erträglich.
Es werden auch bis zu 14 Prozent der Studienplätze und einige Studiengänge ganz wegfallen, das ist schlecht für viele, das raubt Chancen, das ist schlecht für Berlin.
Was erwarten Sie vom Bund, was vom Land? Und was tut die Freie Universität?
Vom Bund erwarten wir, dass der angekündigte Teil der vielen Infrastrukturmilliarden, der in den Hochschulbau fließen soll, rasch fließt. Der Bedarf ist dringend, das haben wir an der Freien Universität nicht zuletzt nach dem Ausfall unseres Stromnetzes mit großem Millionenschaden am 30. März gesehen.
Was das Land Berlin angeht, da müssen wir noch die massiven Kürzungen im Wissenschaftsbereich verdauen, die der Nachtragshaushalt 2025 mit sich bringt. Einsparmaßnahmen sind grundsätzlich verständlich angesichts der Finanzsituation in Berlin wie auch in vielen anderen Bundesländern. Aber in der Wissenschaft zu kürzen, ist eine falsche Weichenstellung und große Belastung für die Zukunft.
Gegen die Haushaltskürzungen protestieren wir: mit Erklärungen u.a. aus dem Akademischen Senat und dem Kuratorium; Wissenschaftler*innen haben offene Briefe gestartet; öffentlichkeits- und medienwirksam aufgetreten sind wir mit der „Woche ohne E“ – einer Kampagne, bei der sieben Tage lang der Buchstabe „E“ in Texten auf der FU-Webseite fehlte, um deutlich zu machen, was passiert, wenn Mittel fehlen. Gemeinsam mit den anderen Berliner Hochschulen waren wir bei Kundgebungen vor der Senatsverwaltung für Wissenschaft sichtbar und laut.
Die Nachverhandlungen mit dem Berliner Senat über Änderungen der Hochschulverträge sind im Wesentlichen abgeschlossen. Was wir brauchen, ist eine veränderte Planungsperspektive, mit der wir die offenbar unabwendbaren Verkleinerungen und Kürzungen der kommenden Jahre verlässlich und sinnvoll gestalten können. Zuletzt gab es durchaus noch positive Bewegung, wir müssen die Ergebnisse jetzt bewerten und dann entscheiden, ob wir das annehmen können.
Was wir jetzt an der Freien Universität tun? Wir gehen konstruktiv in den Strategieprozess für die nächsten Jahre und schärfen dabei unser Profil. Damit die Freie Universität bleibt, was sie ist: eine Volluniversität mit sehr starken Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, eine exzellente Universität in Forschung und Lehre und ihren Netzwerken, wertegeleitet, eine gute und attraktive Arbeitgeberin, eine diverse Gemeinschaft, selbstbewusst, aktiv vernetzt im Land, im Bund und international. Eine Universität, die auch für Berlin „einen großen Unterschied macht“.
Wo sehen Sie außerdem die größten Herausforderungen für die kommenden Jahre – im Bereich Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Internationalisierung?
Wir müssen uns an der Freien Universität letztlich in allem, was wir tun, einer „triple transformation“ stellen, die wir für unseren Strategieprozess mit den Begriffen „digital, demokratisch, grün/nachhaltig“ zusammengefasst haben.
Im Digitalen macht mir der enorme (und teure) Nachholbedarf bei der Infrastruktur große Sorgen – von den maroden Stromnetzen unter dem Naturwissenschafts-Teil des Campus über die Datensicherungssysteme bis zu den Systemen für das Hochleistungsrechnen und die KI, deren Sanierung bzw. Aufbau finanziert werden müssen.
Dann das große Thema Demokratie: Unsere freiheitlich-liberale Gesellschaft steht unter Druck und wird bedroht, in Berlin, in Deutschland, weltweit. Wie Wissenschaft funktioniert, ihren Wert und die Bedeutung von Wissenschaftsfreiheit für unsere Demokratie immer wieder deutlich zu machen, wird zunehmend unsere Aufgabe sein.
Nachhaltigkeit gerät weltweit aus dem Blick angesichts der globalen Krisen. Das wird hier an der Freien Universität nicht passieren, der Nachhaltigkeitsgedanke wird unsere Strukturprozesse, insbesondere die Campus-Entwicklung, leiten.
Ein persönliches Wort zum Ende?
Ein Wort? Danke! Danke an alle, die die Freie Universität in diesen herausfordernden Zeiten unterstützen, von außen, vor allem aber innerhalb der Universität: Ich sehe jeden Tag, wie viel großartige Teamarbeit auf dem Campus stattfindet, wie unsere Gemeinschaft zusammenhält.
Ich wünsche allen erholsame und produktive Semesterferien!
Die Fragen stellte Sotirios Agrofylax, Mitarbeit: Christine Boldt