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„Kein Problem ist zu klein"

Interview: An der Freien Universität werden acht support.points eingerichtet – Anlaufstellen bei Problemen und Fragen zur mentalen Gesundheit

07.12.2022

Psychologin Johanna Lubig betreut den support.point in der Holzlaube, am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften.

Psychologin Johanna Lubig betreut den support.point in der Holzlaube, am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften.
Bildquelle: Annika MIddeldorf

Studien und Umfragen haben es gezeigt: Unter den Einschränkungen während der Corona-Pandemie haben viele Studierende gelitten. Der Bedarf an Beratung und Hilfsangeboten ist seitdem deutlich gestiegen. Darauf hat die Freie Universität Berlin reagiert und richtet seit dem laufenden Wintersemester sogenannte support.points ein – Anlaufstellen auf dem Campus, an denen Studierende und Promovierende bei Problemen und bei Fragen zur mentalen Gesundheit sofort auf professionelle Ansprechpersonen treffen. Johanna Lubig, Psychologin an der Freien Universität Berlin, und Stefan Petri, Leiter der Studienberatung und Psychologischen Beratung, erläutern das Projekt. Hier lesen Sie das Interview auf Englisch.

Frau Lubig, Herr Petri, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den ersten drei support.points haben ihre Arbeit bereits aufgenommen – was genau ist ein support.point?

Stefan Petri: So nennen wir die neuen Anlaufstellen an der Freien Universität für Studierende und Promovierende für alle Anliegen rund um mentale Gesundheit. Wir wollen damit ein zusätzliches Beratungs- und Hilfsangebot schaffen zu dem schon bestehenden der Psychologischen Beratung. Insgesamt richten wir acht support.points auf dem Campus ein: Räume mit offenen Türen für Studierende, die Unterstützung oder Rat brauchen.

Wer berät dort?

Dr. Stefan Petri leitet die Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung der Freien Universität Berlin.

Dr. Stefan Petri leitet die Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: privat

Stefan Petri: Psychologinnen und Psychologen, die eine Weiterbildung durchlaufen haben, entweder in der Psychotherapie oder im Coaching. Alle haben einen starken Bezug zur Freien Universität, weil sie hier studiert haben oder durch ihre vorherige Arbeit. Die Beratungen finden vertraulich und auf Wunsch auch anonym statt, alle support.points sind geschützte Bereiche.

An wen richten sich die support.points?

Johanna Lubig: Das Angebot richtet sich hauptsächlich an Studierende und Promovierende. Aber die Türen stehen allen Angehörigen der Freien Universität offen. Bei Bedarf finden die Gespräche auch auf Englisch statt. Ratsuchende können sich natürlich auch über die Mailadresse support.point@studienberatung.fu-berlin.de an uns wenden. Wir bieten regelmäßig eine Online-Sprechstunde an, auch zwischen Weihnachten und Neujahr.

Warum starten die support.points gerade jetzt?

Johanna Lubig: Die Studierenden sind nach der Pandemie wieder auf dem Campus. Hauptsächlich für sie wollen wir da sein. Ein Start im Wintersemester bietet sich außerdem an, weil dann die meisten Studierenden ihr Studium beginnen. Auch sie haben zwei Jahre Schulzeit hinter sich, die durch die Pandemie geprägt wurde und beschwerlich war.

Wir denken aber auch an diejenigen, die beispielsweise schon im 4. Semester sind und den Campus oder ihren Fachbereich bisher hauptsächlich über Videokonferenzen kennenlernen konnten.

Die support.points sind ein Zusatzangebot – reicht das Angebot der Psychologischen Beratung nicht aus?

Stefan Petri: Tatsächlich sind unsere Beratungskapazitäten dort sehr gut ausgelastet. Das heißt, die Studierenden finden uns bereits. Wir wissen aus dem University Health Report, dass ca. 30 Prozent der Studierenden die Corona-Zeit als belastend empfunden haben, und somit ist der Anteil derer, die zur Psychologischen Beratung kommen, relativ klein. Vielleicht spielt die relativ hohe Anonymität an einer großen Uni eine Rolle. Das ist allerdings Mutmaßung. Was wir wissen, ist, dass die Studierenden der Freien Universität sich leichter zugängliche Beratung und Angebote bei psychischer Belastung wünschen.

Woher haben Sie diese Information?

Stefan Petri: Von den Studierenden selbst; von ihnen kam auch die Idee der support.points. Diese Idee hat Professor Jan Lazardzig, Studiendekan des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften, uns weitergegeben. Auch die Ergebnisse der FUCSI-Umfragen, bei der Studierende des Fachbereichs ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen gefragt haben, wie es ihnen in der Pandemie ergangen ist, sind in das Konzept eingeflossen. Sie waren ein wichtiges Argument bei der Einrichtung der support.points. Die Universitätsleitung hat den Wunsch nach zusätzlicher Unterstützung aufgegriffen und ermöglicht.

Jonathan Bär betreut den support.point am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften. An jeder Anlaufstelle sind Studierende und Promovierende aller Fachbereiche willkommen.

Jonathan Bär betreut den support.point am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften. An jeder Anlaufstelle sind Studierende und Promovierende aller Fachbereiche willkommen.
Bildquelle: Annika Middeldorf

Wie viele support.points gibt es, und wo sind sie zu finden?

Stefan Petri: Insgesamt werden acht support.points auf dem Campus eingerichtet, drei haben ihre Arbeit schon aufgenommen: am Fachbereich Veterinärmedizin in der Koserstraße, am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften in der Rostlaube und am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften in der Holzlaube. Im Januar kommt der support.point am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie dazu, ab März vier weitere Orte, sodass zu Beginn des Sommersemesters 2023 alle Anlaufstellen geöffnet sein werden, inklusive des gesamten Angebots an Workshops und Veranstaltungen im Rahmen des psychosozialen Unterstützungsnetzwerks Mental Wellbeing.

Wohin wendet sich jemand, der Hilfe braucht und an dessen Fachbereich noch kein support.point eröffnet hat?

Johanna Lubig: Die support.points sind für alle da, niemand muss warten, bis die Anlaufstelle am entsprechenden Fachbereich geöffnet hat.

Stefan Petri: Und wenn man etwa nicht möchte, dass andere mitbekommen, dass man eine Beratung aufsucht, kann man zu einem support.point gehen, der nicht am eigenen Fachbereich ist.

Grundsätzlich sind die support.points Fachbereichen zugeordnet – manchmal ist ein support.point aber auch für zwei Fachbereiche zuständig, das hängt von deren Größe ab. Die Anbindung an die Fachbereiche und unsere Vernetzung dort sind wichtig: Mit dem Ohr am Fachbereich bekommen wir rasch mit, wenn es irgendwo Schwierigkeiten gibt. Wir können wiederum weitergeben, wenn wir über die Ratsuchenden auf fachbereichsbezogene Probleme aufmerksam werden. Aber auch das passiert natürlich alles anonym und vertraulich.

Johanna Lubig: Ich betreue den support.point in der Holzlaube, am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften. Ich gehe davon aus, dass die offenen Sprechstunden überwiegend von Personen aus dem Fachbereich genutzt werden. Uns geht es auch darum, eine Bindung zum jeweiligen Fachbereich aufzubauen. Denn neben dem persönlichen Gespräch werden wir Veranstaltungen, Workshops, und Gruppenangebote anbieten. Dafür fragen wir Bedarfe und Wünsche ab. Das kann sich von Fach zu Fach und Fachbereich zu Fachbereich unterscheiden. Für Themen, die „universeller“ sind, können wir Psychologinnen und Psychologen der verschiedenen support.points uns aber auch gemeinsame Angebote vorstellen.

Was erwartet Studierende, wenn sie an einer support.point-Tür klopfen?

Johanna Lubig: Sie treffen dort auf Psychologinnen und Psychologen, die ihnen eine erste Beratung anbieten, die etwa zehn Minuten bis eine halbe Stunde dauert und dazu dient, das Anliegen zu klären, vielleicht geht es auch schon um die Suche nach ersten Lösungsansätzen. Bei Bedarf nennen wir weitere Anlaufstellen innerhalb der Freien Universität oder außerhalb.

Die Gespräche im support.point sind kürzer als in der Psychologischen Beratung, bei der häufiger gleich Folge-Termine angesetzt werden.

Mit welchen Problemen kann man sich an Sie wenden?

Johanna Lubig: Mit jedem Problem. Das ist uns ganz wichtig: Kein Problem ist zu klein, um damit zu uns zu kommen. Niemand soll sich fragen: Ist mein Problem wichtig genug? Geht es mir schlecht genug? Auch wenn jemand über ein Referat sprechen möchte, das schlecht gelaufen ist, sind wir da. Manchmal reicht eine Viertelstunde Austausch, und danach geht’s schon wieder besser.

Stefan Petri: Wenn Probleme frühzeitig angesprochen werden, lassen sie sich oft leichter lösen. Später verhärten sie sich, dann wird es schwieriger.

Gibt es ein solches Angebot auch an anderen Unis?

Stefan Petri: In Deutschland ist mir keines bekannt. Wir wissen aber, dass zum Beispiel an der Universität Amsterdam in allen Fakultäten Psychologinnen und Psychologen angesiedelt sind.

Und wir haben uns im Rahmen des Netzwerks UNA Europa ausgetauscht. Die Erfahrungen, die wir im Rahmen einer Staff Week an der Universität Leuven und der Universität Helsinki gesammelt haben, haben uns sehr geholfen. Dort gibt es solch niederschwellige Angebote zu Mental Health, daran konnten wir uns gut orientieren.

Die Fragen stellte Christine Boldt