Springe direkt zu Inhalt

Vier auf einen Streich

Die Professorinnen Gülay Çağlar und Miriam Hartlapp und die Professoren Thorsten Faas und Christian Volk verstärken das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft

10.03.2019

Das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften der Freien Universität Berlin.

Das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Stefan Wolf Lucks

Es war eine Antrittsvorlesung der etwas anderen Art: Nicht nur durch den Titel „Angetreten sind…“ hatte die Veranstaltung, in der sich zwei Wissenschaftlerinnen und zwei Wissenschaftler vorstellten, etwas Sportliches; auch die jeweils etwa zwanzigminütigen Vorträge glichen einem Kurzmarathon durch die politikwissenschaftliche Forschung an der Freien Universität. Gülay Çağlar ist seit Sommer 2016 Professorin am Arbeitsbereich Gender and Diversity und Miriam Hartlapp seit Frühjahr 2017 am Arbeitsbereich Deutschland und Frankreich im Vergleich. Christian Volk kam im Sommer 2016 an die Freie Universität, er ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Recht. Thorsten Faas leitet seit Oktober 2017 die Arbeitsstelle Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland.

Anders als bei Sportveranstaltungen war die Stimmung aber keineswegs von Konkurrenz geprägt, sondern freundschaftlich und humorvoll: „Eine vierfache Antrittsvorlesung ist auch für uns ein Novum“, sagte Bernd Ladwig, Professor für politische Theorie und Philosophie am Otto-Suhr-Institut und dessen Geschäftsführender Direktor. Es sei eine willkommene Gelegenheit, gleich mehrere Kolleginnen und Kollegen über deren Inhalte kennenzulernen und damit etwas über ihre Arbeit und rhetorischen Besonderheiten zu erfahren.

Der Abend war nicht nur ein Beispiel für die thematische Vielfalt des Otto-Suhr-Instituts, er spiegelte auch Geschlechterparität auf höchster akademischer Ebene. Und er war ein „Multigenerationentreffen“, wie Bernd Ladwig bemerkte: Im Publikum fanden sich die Kinder der Angetretenen, Eltern, interessierte Institutsangehörige sowie Freundinnen und Freunde.

Diversität untersuchen

Gülay Çağlar, als Leiterin des Arbeitsbereiches Gender und Vielfalt ausgewiesene Expertin für Diversität, erläuterte etwa die Bedeutung einer intersektionalen Perspektive für die politikwissenschaftliche Forschung. Der Begriff der Intersektionalität – gemeint ist die Überschneidung von mehreren Diskriminierungsformen in einer Person – sei von der Politikwissenschaft erst spät aufgegriffen worden. Für die Erforschung von Diskriminierung sei er aber elementar: Schließlich beziehe sich Diskriminierung nicht immer auf nur eine Kategorie wie Ethnie, Geschlecht, Klasse oder Hautfarbe. Oft seien mehrere Kategorien miteinander verwoben.

„Gülay Çağlar wird uns untersuchen“, stellte Marianne Braig, Professorin für Politikwissenschaft am Lateinamerikainstitut,  ihre Kollegin augenzwinkernd vor: Sie werde bei der Erforschung von Vielfalt „auch vor einer Universität nicht haltmachen“.

Offen für Experimente

Thorsten Faas vermittelte mit seinem Vortrag „Experimente in der Politik(wissenschaft)?!“, dass die Freie Universität einen unterhaltsamen Redner und experimentierfreudigen Professor für den Schwerpunkt „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ gewonnen hat.

Seine Offenheit für Experimente begründete er mit der politischen Situation: Auch Wählerinnen und Wähler seien in den vergangenen Jahren experimentierfreudiger geworden: So hätte sich bei der Hessischen Landtagswahl etwa nahezu die Hälfte erst kurz vor der Wahl entschieden, welcher Partei sie ihre Stimme gab.

Auch im Parteiensystem liefen Experimente: mit neuen Parteien und neuen Koalitionen; aktuell bestünden 13 verschiedene Regierungsmodelle in 16 Bundesländern.

Schließlich würden auch Informationen experimenteller verbreitet, wenn beispielsweise Donald Trump Regierungsmeldungen über Twitter verbreite. „Die Politische Soziologie fragt, was wir in einer Umgebung tun sollen, in der nichts mehr selbstverständlich ist. Meine Antwort darauf: Experimente!“.

Ein Beispiel dafür ist auch das neue Veranstaltungsformat „Debatte Dahlem“ das Thorsten Faas mit seiner Kollegin, Politikwissenschaftsprofessorin Sabine Kropp, zu Beginn des Jahres ins Leben gerufen hat: eine Diskussionsreihe, die im Februar ihren Auftakt feierte und dessen zweite Veranstaltung im Juni stattfinden wird.

Miriam Hartlapp ist Professorin am Arbeitsbereich Deutschland und Frankreich im Vergleich. Bei ihrer Kurzvorstellung stellte sie die Repräsentation von Frauen in der Politik in Deutschland und Frankreich gegenüber.

Miriam Hartlapp ist Professorin am Arbeitsbereich Deutschland und Frankreich im Vergleich. Bei ihrer Kurzvorstellung stellte sie die Repräsentation von Frauen in der Politik in Deutschland und Frankreich gegenüber.
Bildquelle: Anne-Sophie Schmidt

Blick ins Nachbarland Frankreich

Während Thorsten Faas in seiner Arbeit vor allem auf Deutschland blickt, interessiert seine Kollegin Miriam Hartlapp der Vergleich mit Frankreich. Die Professur für „Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Deutschland und Frankreich“ sei im Grunde für Miriam Hartlapp gemacht worden, sagte ihre Kollegin am Otto-Suhr-Institut Tanja Börzel, die sie vorstellte.

Hartlapp sei eine „exzellente Forscherin, extrem engagiert in der Lehre und breit aufgestellt in der Europa-Forschung“. Am Beispiel der Repräsentation von Frauen in der Politik in Deutschland und Frankreich demonstrierte Hartlapp, wie sie arbeitet: Zwar sei das Ministerkabinett von Emmanuel Macron sehr viel diverser besetzt als beispielsweise das rein männliche Innenministerium von Horst Seehofer. Dennoch stehe Frankreich derzeit vor ähnlichen Fragen und Herausforderungen wie Deutschland: In beiden Ländern fühle sich ein großer Teil der Bevölkerung in der Politik nicht repräsentiert, populistische Parteien seien im Aufschwung. Ein Länder-Vergleich erlaube ein differenzierteres Bild sowohl der nationalen Politik als auch von deren Einfluss auf die EU-Politik.

Christian Volk, Professor am Arbeitsbereich Politik und Recht, untersucht Protestformen in der Politik – das Thema könnte angesichts der Gelbwestenproteste in Frankreich etwa und der Fridays-for-Future-Demonstrationen aktueller nicht sein.

Christian Volk, Professor am Arbeitsbereich Politik und Recht, untersucht Protestformen in der Politik – das Thema könnte angesichts der Gelbwestenproteste in Frankreich etwa und der Fridays-for-Future-Demonstrationen aktueller nicht sein.
Bildquelle: Anne-Sophie Schmidt

Hochaktuell: Protestforschung

Zuletzt stieg Christian Volk in den Ring; seit knapp zweieinhalb Jahren lehrt und forscht der Professor mit Arbeitsschwerpunkt Politik und Recht am Otto-Suhr-Institut. „Wir mussten ihn in harten Verhandlungen der Uni Trier abluchsen“, verriet Bernd Ladwig in seiner Einführung.

Volk arbeitet an einer politischen Theorie des Protests, in seinem Vortrag reflektierte er das Konzept des zivilen Ungehorsams. Rein definitorisch sei ziviler Ungehorsam ein politisch motivierter Gesetzesbruch. Umstritten seien aber die Details: Ein terroristischer Anschlag werde nicht als ziviler Ungehorsam verstanden, eine Sitzblockade oder Proteste gegen rassistisch segregierte Busse jedoch schon.

Wie radikal darf also ziviler Ungehorsam sein, um noch als solcher zu gelten? Volk stellte die These auf, dass es in den letzten Jahren zu einer Liberalisierung des Versammlungsrechts gekommen sei und bestimmte Praktiken des Protests entkriminalisiert worden seien. Mit seinem Vortrag bewies der Politikwissenschaftler zum einen die Aktualität seiner Forschung – genannt seien nur die Gelbwesten-Proteste in Frankreich und die Schülerproteste gegen den Klimawandel. Zum anderen ließ er anklingen, wie sich die vier „Neuen“ auch gegenseitig durch sich überschneidende Themen bereichern, beispielsweise seine Protest- und Miriam Hartlapps Frankreichforschung.