Das Muh-sik-Instrument
LANGE NACHT DER WISSENSCHAFTEN Unterwegs auf dem Campus Düppel
Wenn Kühe sich wie Trommeln anhören, sind sie ein Fall für den Tierarzt. Besucher der „Langen Nacht“ erfahren, warum
Von Oliver Trenkamp
Wenn sie von ihrem Musikinstrument spricht, gerät Kerstin Müller ins Schwärmen. „Der Steelband-Effekt hört sich richtig toll an“, sagt sie, „der Ton erinnert an eine Band aus der Karibik.“ Nur: Kerstin Müller ist keine Musikwissenschaftlerin, sie ist Veterinärmedizinerin. Und das Instrument, von dem sie spricht, ist eine Kuh.
Die Kuh macht nicht nur Muh, sondern auch Musik. Der Ton kommt zustande, wenn man gegen die Bauchwand des Tieres schnippt.Tierärzte erkennen daran, ob die Kuh an einem verschobenen Magen leidet. Foto:Pixelio |
Der Ton kommt zustande, indem Kerstin Müller gegen die Bauchwand des Tieres schnippt. „Daran erkennt man, dass die Kuh an einem verschobenen Magen leidet“, sagt sie. Das gebe es bei Milchkühen recht häufig und sei fast so etwas wie deren Berufskrankheit. Normalerweise haben die Tiere dann Schmerzen und müssen sofort operiert werden, damit der Magen wieder an seinen Platz gelangt. Doch nicht bei dieser Kuh. „Ich habe sie wegen ihrer speziellen Eigenschaft gekauft. Sie hat diese Fehlbildung, aber keine Schmerzen“, so Müller. An dem Tier demonstriert die Direktorin der Klinik für Klauentiere ihren Studierenden, woran sie die Krankheit erkennen können.
Der Fachbereich Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin ist eine von nur fünf Ausbildungsstätten für Tierärzte in Deutschland. Jedes Jahr werden hier knapp 500 Kühe behandelt. Zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ können auch Besucher des Campus in Düppel die Kuh als Instrument erproben. „Wenn das Wetter so gut bleibt, werden wir mit vier Kühen vor Ort sein“, verspricht Müller. Ausgerüstet mit Stethoskopen, den ärztlichen Hör-Rohren, können Neugierige den Klängen aus dem Kuh-Inneren lauschen. Auf Musikkassetten werden außerdem Töne vorgespielt, die durch andere Rinderleiden verursacht werden können – zum Beispiel Lungen- und Herzerkrankungen.
Was normalerweise beim verschobenen Labmagen passiert, sehen Besucher in einem Film: Die Kuh kommt in den OP und wird betäubt, auf einen speziellen Operationstisch geschnallt und schließlich auf den Rücken gedreht. Ohne den Tisch bräuchte man vier Mann für die Behandlung, so reicht einer. Durch die Bauchwand führt der Tierarzt eine Kamera ein. Es folgt eine endoskopische Operation, auch Schlüsselloch-Chirurgie genannt – ganz ähnlich wie beim Menschen. „So gibt es keine größeren Wunden“, sagt Kerstin Müller. „Die Operation sieht sehr aufwändig aus, ist aber mittlerweile Routine.“ Sie dauert gerade mal 20 Minuten.
Die Wissenschaftler zeigen bei der „Langen Nacht“ außerdem, dass Kühe noch viel mehr können als Musik erzeugen – Milch geben zum Beispiel. Was sich banal anhört, ist ein kleines Wunder der Biologie. Und funktioniert, stark vereinfacht, so: Im ersten der vier Mägen der Kuh, im so genannten Pansen, zersetzen Millionen kleiner Mikroorganismen den Mageninhalt. Jeder dieser Einzeller ist ein Experte auf seinem Gebiet und hat eine spezielle Aufgabe. Einige produzieren Fettsäuren. „Der Pansen ist im Grunde ein Fermentationsgefäß“, sagt die Direktorin der Klauentier-Klinik. Bei der „Langen Nacht“ können Besucher die lebenden Einzeller unter dem Mikroskop betrachten, beispielsweise Pantoffeltierchen.
Über die Pansenwand gelangen die Fettsäuren ins Blut der Kuh und dann in die Leber. Dort werden sie umgewandelt in Traubenzucker, Eiweiße und Fett, die wiederum in das stark durchblutete Euter gelangen. Eine „Blut-Euter-Schranke“ filtert die Nährstoffe heraus, die für die Milchproduktion benötigt werden. „Eine einzige Kuh kann bis zu 50 Liter Milch am Tag geben“, sagt Kerstin Müller.
Das Ergebnis ist eines der gesündesten Lebensmittel überhaupt. Vieles, was der Mensch zum Leben braucht, ist in der Milch enthalten: Fett vor allem, aber auch Kohlenhydrate und Milchzucker; außerdem Eiweiß, Vitamine und Kalzium. Negativer Nebeneffekt der Vorgänge im Kuhmagen: Es entstehen Wärme und Methan. Beide gelten als Klima-Killer. „Der Rindermagen ist ein Biogaskraftwerk“, sagt Müller. Die Tiere rülpsen das Methan heraus und so gelangt es in die Atmosphäre. Bei ein paar wenigen Kühen wäre das nicht weiter schlimm. Doch allein in Deutschland leben knapp 14 Millionen Rinder, in den USA knapp 100 Millionen und in Indien sind es sogar 220 Millionen. Damit ist der Subkontinent das Land mit den meisten Kühen. Wegen ihrer Anzahl sind die Tiere zu einem viel diskutierten Faktor des Klimawandels geworden.
Bei der „Langen Nacht“ wird es aber nicht nur um die ernsten Themen gehen. Für Kinder gibt es ein eigenes Programm: Auf dem Gelände der Tiermedizin findet eine Nachtwanderung statt, bei der kleine Schatzsucher auf „Entdeckungsreise zwischen Kuhstall und Misthaufen“ gehen können. Mitten in der Nacht schnuppern sie dann Landluft, lauschen Pferdegetrappel und Hundegebell. Und wenn sie ganz genau hinhören, dann erkennen sie vielleicht auch die Kuh, die sich anhört wie eine Trommel aus der Karibik.
Mit ihrem Programm „Wo geht’s denn hier zum Kuhdamm? Reise in das Innere der Kuh“ präsentiert die Klinik für Klauentiere auf dem Campus Düppel (Herrenhaus, Haus 7) die Kuh – lebendig und zum Anfassen. An den einzelnen Stationen werden Ausschnitte aus dem Klinikalltag, interessante Patienten, Einblick in Forschungsaktivitäten und Beispiele aus der Lehre vorgestellt. Genaue Angaben zu Veranstaltungszeiten sowie weitere Infos gibt es unter www.fu-berlin.de/langenacht oder www.vetmed.fu-berlin.de/einrichtungen/kliniken/we18