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Neue Umfrage analysiert große Pro-Palästina-Demonstration

Forschende der Freien Universität Berlin und des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung legen erstmals repräsentative Daten zur Zusammensetzung und Motivation der Teilnehmenden der Proteste am 27. September vor

Nr. 163/2025 vom 21.10.2025

Ein Forschungsteam um Dr. Jannis Julien Grimm (Freie Universität Berlin und Institut für Protest- und Bewegungsforschung) hat die bislang größten pro-palästinensische Solidaritätsdemonstrationen in Deutschland untersucht. An den am 27. September 2025 in Berlin stattgefundenen Kundgebungen unter den Mottos „All Eyes on Gaza – Stoppt den Genozid“ und „Zusammen für Gaza“ nahmen Schätzungen zufolge zwischen 60.000 bis 100.000 Menschen teil. Die nun erschienene Untersuchung „All Eyes on Gaza / Zusammen für Gaza: Profil der Solidaritätsproteste am 27. September 2025“ bietet erstmals empirisch belastbare Daten zu Zusammensetzung, Motiven und Einstellungen der Teilnehmenden.

Bild einer Demonstration vom 27. September 2025.

Bild einer Demonstration vom 27. September 2025.
Bildquelle: Jannis Grimm

Für die Erhebung wurden über 1000 Personen nach einem standardisierten europäischen Verfahren für Protestumfragen befragt, das eine Zufallsauswahl der Beteiligten vor Ort sicherstellt; 30 Prozent von ihnen beteiligten sich im Anschluss an die Demonstration an der personalisierten Online-Umfrage. Ergänzend führten die Forschenden vor Ort mit einer Zufallsauswahl der angesprochenen Personen Kurzinterviews zur Stichprobenkontrolle durch.

„Wir wollten verstehen, wer auf diesen Protesten tatsächlich auf die Straße geht – jenseits von pauschalen Zuschreibungen“, erklärt Dr. Jannis Julien Grimm, Leiter der Untersuchung und Forscher am Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung (INTERACT) an der Freien Universität Berlin und Mitglied des Netzwerkinstituts Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb). Die Ergebnisse zeichneten, so Grimm, „ein deutlich heterogeneres und demokratisch verankertes Bild der Teilnehmenden, als es die öffentliche Debatte häufig vermuten lässt“.

Zentrale Ergebnisse der Befragung

Laut den Auswertungen ordnete sich die Mehrheit der Befragten dem linken politischen Spektrum zu. Fast zwei Drittel gaben an, sie würden die Partei Die Linke wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. 86 Prozent verfügten über die deutsche Staatsbürgerschaft, mehr als 90 Prozent über einen höheren Bildungsabschluss (Abitur und höher).

Eine Mehrheit der Teilnehmenden äußerte Unzufriedenheit mit der aktuellen Demokratiepraxis, ohne jedoch die Demokratie als solche abzulehnen. „Es handelt sich nicht um Anti-System-Proteste“, betont Grimm. Vielmehr hätten die Befragten „ein hohes politisches Bewusstsein und ein starkes Bedürfnis nach Mitgestaltung“. Als vorrangiges Ziel gaben die Befragten an, die deutsche Politik beeinflussen zu wollen; gleichzeitig äußerten sie wenig Vertrauen in staatliche Institutionen.

Rund 80 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass jüdisches Leben in Deutschland besonders geschützt werden müsse. Eine Mehrheit beklagte gleichzeitig fehlende Räume für Trauer um palästinensische Opfer. Grimm interpretiert dies als Ausdruck „eines reflektierten Verhältnisses zur deutschen historischen Verantwortung“ und als eine Positionierung jenseits der Zweilagerlogik, welche den öffentlichen Diskurs dominiert. Informationen zur Lage in Gaza bezögen die meisten Demonstrierenden vor allem aus sozialen Medien, denen sie jedoch kritisch gegenüberstehen.

Einordnung und Relevanz

Die Forschenden sehen ihre Ergebnisse als wichtigen Beitrag zu einer evidenzbasierten und differenzierten Debatte.„Die öffentliche Auseinandersetzung über die Palästina-Solidaritätsproteste ist stark polarisiert und von Generalisierungen geprägt“, so Grimm. „Unsere Daten zeigen, dass die Teilnehmenden keineswegs homogen oder extremistisch motiviert sind, sondern vielfältig, reflektiert und überwiegend in zivilgesellschaftlichen Strukturen verankert.“

Die Analyse leiste damit einen Beitrag zur Versachlichung des Diskurses, insbesondere in einem Moment, in dem „gesellschaftliche Spannungen hoch sind und Debattenräume unter Druck geraten“, so Grimm weiter.

Hintergrund zur Untersuchung

In ihrer Analyse haben die Forschenden folgende Schwerpunkte untersucht:

  • Kontext, Ablauf und Zusammensetzung der Demonstrationen am 27. September 2025 sowie parallel stattfindende Gegenproteste
  • Soziodemografisches Profil der Teilnehmenden und deren Vernetzung in zivilgesellschaftlichen Strukturen
  • Motive, strategische Ziele und Einschätzung der Wirksamkeit der Proteste
  • Vertrauen in demokratische Institutionen und Wahrnehmung des gesellschaftlichen Klimas
  • Protesterfahrung und Erfahrungen mit Repression im Kontext Gaza-bezogenen Engagements
  • An der Untersuchung beteiligt waren neben Dr. Jannis Grimm auch Dr. Felix Anderl und Dr. Tareq Sydiq (Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg), Nina Moya Schreieder (INTERACT, Freie Universität Berlin) und Dr. Elias Steinhilper (DeZIM-Institut).

Weitere Informationen

Kontakt

  • Dr. Jannis Grimm, Freie Universität Berlin, Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung (INTERACT), E-Mail: jannis.grimm@fu-berlin.de