Was Dinozähne über das Leben vor 150 Millionen Jahren verraten
Studie zu Ernährung und Verhalten von Dinosauriern in der Jurazeit erschienen / Forschende untersuchten Abnutzungsspuren auf fossilen Zähnen
Nr. 123/2025 vom 18.07.2025
Was fraßen Langhalsdinosaurier – und wohin zogen sie, um satt zu werden? Ein Forschungsteam hat mithilfe modernster Zahnschmelzanalysen das Fressverhalten von Sauropoden rekonstruiert. Ihre Ergebnisse in „Nature Ecology and Evolution“ zeigen: Mikroskopisch kleine Abnutzungsspuren liefern überraschende Hinweise auf Migration, Umweltbedingungen und Nischenverteilung in Ökosystemen vor 150 Millionen Jahren.
Foto von Zähnen in einem Kieferteil von Giraffatitan aus Tanzania (Museum für Naturkunde Berlin, MB.R.2180.20.5). Die helle Fläche ist das Dentin, welches durch die Zahnabnutzung freigelegt wurde.
Bildquelle: Jan Kersten, Freie Universität Berlin, Fachrichtung Paläontologie
Wie lebten riesige Dinosaurier in der Jurazeit? Was fraßen sie, wie teilten sie sich ihren Lebensraum – und zogen sie vielleicht sogar saisonal durchs Land? Antworten auf diese Fragen liefert ein internationales Forschungsteam um Dr. Daniela E. Winkler, Post Doc an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), Dr. Emanuel Tschopp, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und zugleich Gastwissenschaftler am LIB, und André Saleiro, Doktorand an der Universität NOVA Lissabon. Ihre neue Studie nutzt eine ungewöhnliche Methode: Abnutzungsspuren auf fossilen Zähnen als Fenster in die Vergangenheit.
„Dass sich aus mikroskopisch kleinen Kratzern auf fossilen Zähnen Rückschlüsse auf Ernährung und sogar Verhalten ziehen lassen, ist für mich immer wieder faszinierend“, sagt Daniela Winkler, Expertin für die angewandte Methodik. Die sogenannte „Dental Microwear Texture Analysis“ (DMTA) wurde ursprünglich von einer Arbeitsgruppe um LIB-Forscher Prof. Dr. Thomas Kaiser für Säugetiere entwickelt – innerhalb dieser Studie in „Nature Ecology and Evolution“ kam sie erstmals systematisch auf Sauropoden angewendet zum Einsatz. Die Untersuchungen wurden in den Laboren des LIB durchgeführt.
Zahnschmelz als Umweltarchiv
Das Team analysierte 322 hochaufgelöste 3D-Scans von Zahnoberflächen aus drei bedeutenden Dinosaurier-Fundstätten: Portugal (Lourinhã-Formation), USA (Morrison-Formation) und Tansania (Tendaguru-Formation). Alle Zähne stammten von insgesamt 39 Individuen. Die Proben wurden direkt von Originalzähnen oder von hochauflösenden Silikonabformungen genommen. „Wir sprechen hier von Strukturen im Mikrometerbereich“, so Winkler. „Diese winzigen Abnutzungsspuren entstehen durch den Kontakt zwischen Zahn und Nahrung – sie zeigen, was die Tiere in den letzten Tagen oder Wochen ihres Lebens gefressen haben.“
Überraschende Unterschiede zwischen Arten und Regionen
Die statistischen Auswertungen offenbaren teilweise deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Sauropodengruppen und ihren Fundorten. Besonders auffällig war die große Variabilität in den Abnutzungsmustern bei den Flagellicaudaten, einer Gruppe besonders langschwänziger Sauropoden, zu denen der bekannte Diplodocus zählt. Diese Heterogenität lässt vermuten, dass diese Tiere über wechselnde Nahrungsquellen verfügten und ein wenig spezialisiertes Fressverhalten zeigten.
Für besondere Überraschung sorgten die sehr gleichförmigen Abnutzungsspuren bei den Camarasauriern aus Portugal und den USA. Die Konsistenz der Mikromuster lässt sich kaum allein durch gleichbleibende Pflanzenarten erklären – vielmehr deutet sie darauf hin, dass diese Tiere ihre bevorzugten Nahrungsressourcen im Jahresverlauf gezielt aufsuchten. „Das Klima damals war sehr saisonal in Portugal und den USA, so dass gewisse Pflanzen wahrscheinlich nicht das ganze Jahr hindurch verfügbar waren“, erklärt Emanuel Tschopp von der Freien Universität Berlin. „Die Konsistenz in der Zahnabnutzung bei Camarasauriern deutet darauf hin, dass diese Tiere wahrscheinlich saisonal wanderten, um immer auf dieselben Nahrungsressourcen zugreifen zu können.“
Anders verhielt es sich bei den Titanosauriformen aus Tansania, die in der Studie eine deutlich stärkere und komplexere Abnutzung zeigten. Die Forschenden interpretieren dies als Folge der besonderen Umweltbedingungen: In der Tendaguru-Formation herrschten tropische bis halbtrockene Klimabedingungen und gab es einen großen Wüstengürtel, sodass die Pflanzen vermutlich häufig mit Quartzsand überzogen waren. Dieses mit Sand kontaminierte Futter dürfte für die stark abrasiven Spuren auf den Zähnen verantwortlich sein.
Klima statt Pflanzenvielfalt als Schlüsselfaktor
Auch zwischen den Regionen selbst zeigten sich deutliche Unterschiede: So waren Zähne aus Tansania durchweg stärker abgenutzt als solche aus Portugal oder den USA. Der entscheidende Einflussfaktor? Das Klima.
„Einer der interessantesten Aspekte dieser Arbeit ist für mich, dass es uns gelungen ist, die Unterschiede in den Mustern der dentalen Abnutzungen mit der Paläogeografie und den Habitatpräferenzen der verschiedenen Sauropoden-Faunen in Beziehung zu setzen“, resümiert André Saleiro. Die gewonnenen Erkenntnisse helfen ihm auch bei seiner weiteren Tätigkeit: „Die Studie hat mir aufgezeigt, wie ich meine zukünftige Forschung zur Nischenaufteilung unter pflanzenfressenden Dinosauriern angehen kann – indem ich mich gezielt auf bestimmte Paläo-Umwelten konzentriere, um die ökologischen Beziehungen zwischen verschiedenen Tieren derselben Gruppe zu verstehen. Und um nachzuvollziehen, wie sich diese Unterschiede innerhalb der Ökosysteme entwickelt haben.“
Auch für Emanuel Tschopp ist das einer der spannendsten Aspekte der Studie: „Wir können mit diesen mikroskopisch kleinen Spuren auf einmal Aussagen über das Verhalten riesiger Tiere treffen. Migration, Spezialisierung, Nischennutzung – das wird greifbar.“ Eine weitere Besonderheit: Die Zahnoberflächen unterschieden sich auch in ihrer Abnutzung je nach Stelle – außen an der Zahnwand (buccal) oder oben auf der Kaufläche (occlusal). Diese Unterschiede wurden in der Analyse gesondert berücksichtigt, um verfälschende Effekte zu vermeiden.
Bedeutung für die Biodiversitätsforschung
Mit ihrer Arbeit liefern die Forschenden nicht nur neue Einblicke in das Leben einzelner Dinosaurierarten – sie tragen zum grundlegenden Verständnis paläoökologischer Zusammenhänge bei. Nischenaufteilung, klimabedingte Anpassungen und potenzielle Konkurrenzvermeidung lassen sich damit auch in fossilen Lebensgemeinschaften nachweisen.
„Wir zeigen, dass ökologische Prinzipien wie Nischenbildung und Migrationsverhalten nicht nur heute, sondern auch schon vor 150 Millionen Jahren bedeutend waren“, so Winkler. Tschopp ergänzt: „Die Sauropoden in der Morrison-Formation zeigen eine enorme Artenvielfalt – diese Vielfalt war nur möglich, weil sich die Arten unterschiedlich verhielten und verschiedene Nahrungsnischen besetzten.“
Ausblick: Mehr Zähne, mehr Wissen
Die Arbeit ist längst nicht abgeschlossen. Weitere Untersuchungen sollen zeigen, ob sich etwa Jungtiere und erwachsene Sauropoden in ihrer Ernährung unterschieden oder wie Zwergformen wie Europasaurus aus Niedersachsen angepasst waren. Saleiro arbeitet schon an einem erweiterten Datensatz für die portugiesische Fauna, die auch andere pflanzenfressende Dinosaurier miteinbezieht.
„Für mich ist das Spannende, dass wir diese Methodik immer weiter verfeinern können – und jedes neue Sample gibt uns wieder ein Puzzlestück mehr“, sagt Daniela Winkler. „Unsere Werkzeuge werden besser – und damit auch unser Bild davon, wie das Leben damals wirklich war.“ „Wir stehen mit dieser Methodik noch am Anfang“, ergänzt Tschopp. „Aber die Kombination aus Paläontologie, moderner Technik und interdisziplinärer Zusammenarbeit eröffnet faszinierende Einblicke in vergangene Welten.“
Über das LIB
Das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) widmet sich der Erforschung der biologischen Vielfalt und ihrer Veränderung. Seit dem 1. Juli 2021 arbeiten unsere Forschenden an zwei Standorten: dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn sowie dem ehemaligen Centrum für Naturkunde in Hamburg. Generaldirektor ist Prof. Dr. Bernhard Misof, der das LIB standortübergreifend leitet.
Über die Leibniz-Gemeinschaft
Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 96 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam.
Über die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) wurde im Jahr 1665 gegründet. Mit 27.000 Studierenden und rund 3.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist sie die älteste, größte und bekannteste Universität im Land zwischen den Meeren und die einzige Volluniversität Schleswig-Holsteins. Sieben Nobelpreisträger wirkten hier. Seit 2006 nimmt die CAU erfolgreich am Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder teil.
Über die Freie Universität Berlin
Die Freie Universität Berlin wurde 1948 gegründet. Sie ist eine international ausgerichtete Universität mit über 36.000 Studierenden und mehr als 4.000 Beschäftigten, darunter rund 500 Professor*innen und etwa 2.300 Wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Die Freie Universität Berlin zählt zu den forschungsstärksten und renommiertesten Hochschulen Deutschlands. Im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern wird sie als Teil des Exzellenzverbunds Berlin University Alliance gefördert. An der Freien Universität Berlin wirken oder wirkten zahlreiche Preisträger*innen renommierter internationaler und nationaler Wissenschaftspreise u.a. mehrere Nobelpreisträger*innen und Preisträger*innen des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises sowie zahlreiche Forschende, die vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem ERC-Grant gefördert werden.
(Gemeinsame Pressemitteilung des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels und der Freien Universität Berlin)
Weitere Informationen
Originalpublikation:
- Nature Ecology and Evolution: “Dental microwear texture analysis reveals behavioural, ecological, and habitat signals in Late Jurassic sauropod dinosaur faunas”, ist hier erschienen: https://www.nature.com/articles/s41559-025-02794-5
Wissenschaftlicher Kontakt:
- Dr. Daniela E. Winkler, Post Doc, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), Tel.: +49 431 880-1603, E-Mail: dwinkler@zoologie.uni-kiel.de
- Dr. Emanuel Tschopp, Gastwissenschaftler, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Freie Universität Berlin, Tel.: +49 30 838 65068, E-Mail:e.tschopp@fu-berlin.de
Pressekontakt:
- Florian Steinkröger, Medienredaktion, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Museum der Natur Hamburg, Tel.: +49 40 238317 920, E-Mail: f.steinkroeger@leibniz-lib.de