Wilder Mix Slowenien
Post aus Ljubljana: Sonja Poschenrieder genießt Trubel in der Stadt und Ruhe in der Natur
14.01.2020
In Ljubljana lerne ich nicht nur viele andere Erasmus-Menschen kennen, sondern vor allem mich selbst. In der Stadt kann ich einsamer sein als allein in der Natur. Gerade deshalb gefällt mir sehr, dass Ljubljana beides verbindet: eine lebendige alternative Kulturszene mit wunderschöner Natur, wie etwa der 899 Meter hohe Berg Grmada mit der Holy St. Mary-Kirche.
An der Ljubljanica reihen sich schicke Cafés aneinander und trotz Minusgraden wird hier der Kava, slowenisch für Kaffee, noch draußen geschlürft.
Im alternativen Zentrum Metelkova trinken wir den berüchtigten Bärenschnaps und schauen uns animierte Virtual-Reality-Filme an. „Don’t take photos of people. We're not a zoo“, warnt ein Schild tagsüber Touris.
Bei einer Migrant-Tour lerne ich das „Rog“ kennen, eine ehemalige Fahrradfabrik, die von Künstlern und Künstlerinnen besetzt wurde. Wir werden zum Kabarett eingeladen und bekommen selbstgebrautes Bier zum Soli-Preis serviert. Einmal im Monat gibt es hier auch einen Basar von „no-border-craft“: Frauen aller Nationalitäten bieten allerlei feministisches Zeug an – von der gehäkelten Vulva bis zum Symbol des Kleiderbügels, der an illegale Abtreibung erinnern soll.
Früher war Metelkova eine Kaserne der Jugoslavischen Volksarmee. Seit 1993 besetzt, ist das Gebiet heute ein autonomes Kulturzentrum, dessen Nachtleben und Street Art auch viele Touristen anzieht.
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Bietet eine schöne Aussicht: Der Hügel Grmada im Norden von Ljubljana.
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Das pittoreske Städtchen Piran an der slowenischen Adriaküste ist ein beliebtes Ausflugsziel.
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Das „Daktari“ wird meine neue Stammkneipe. Direkt daneben liegt der Central Market, auf dem ich Obst und Gemüse für die Woche kaufe.
Ansonsten besteht mein Alltag aus ein paar wenigen Seminaren über „Gender & Violence“ oder „Ethnically Sensitive Work“. Ich bin froh, dass sie auf Englisch gehalten werden, denn mein Slowenisch hat sich leider noch nicht sehr bewährt.
Erasmus erinnert mich manchmal an Klassenfahrten. Jeden Abend ist Party, Pub-Quiz oder International Dinner angesagt. Es werden Ausflüge ans Meer, auf eine Bienenfarm oder in ein Frauengefängnis organisiert. Ich schätze dieses Angebot – und gleichzeitig fühle ich mich erschöpft. Der Grund für meine Reise war, Slowenien kennenzulernen, den Alltag, die Sprache, die Menschen. Das versuche ich mir selbst immer wieder vor Augen zu führen.
Mit der Erasmus-WG am Wochenende in die Natur: Der See Podpeško Jezero ist nicht nur im Sommer...
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...sondern auch im Winter ein malerischer Ruhepol.
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Am nahesten komme ich den Menschen während eines Praktikums in der NGO Slovenska Filantropia. Hier darf ich die Zeit mit Menschen mit Fluchthintergrund bei Kaffee und Tee verbringen. Ich lerne etwas Arabisch und bessere mein Französisch auf. Ich trage zum ersten Mal selbst einen Hijab und mache mich vertraut mit den Herkunftskulturen der nach Slowenien immigrierten Menschen, wie beispielsweise palästinensischem Tanz oder iranischem Essen. Das Praktikum ist Teil eines Uni-Seminars.
Ausflüge an den See Podpeško Jezero mit meiner WG sind Teil des Wochenendprogramms. Ich lebe in einer Erasmus-Blase mit sieben anderen Nationen im Haus. Etwas außerhalb im Stadtteil Vič höre ich Pferdewiehern vor dem Einschlafen.
Weitere Informationen
Sonja Poschenrieder ist eine von elf Autorinnen und Autoren, die von ihren Auslandsstudienaufenthalten für campus.leben berichten. Die Artikel aller Autorinnen und Autoren finden Sie hier. Sonja Poschenrieders erste Post finden Sie hier – und auch in englischer Sprache.