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„Ich müsste mein gesamtes Weltbild revidieren“

24. Einstein Lecture Dahlem mit Markus Aspelmeyer

18.12.2025

Die moderne Physik steht vor einem Dilemma. Die Quanten- und die Gravitationstheorie können nicht gleichzeitig universell gültig sein. Markus Aspelmeyer diskutierte die Frage: Kann man testen, ob die Gravitation den Gesetzen der Quantenphysik folgt?

Die moderne Physik steht vor einem Dilemma. Die Quanten- und die Gravitationstheorie können nicht gleichzeitig universell gültig sein. Markus Aspelmeyer diskutierte die Frage: Kann man testen, ob die Gravitation den Gesetzen der Quantenphysik folgt?
Bildquelle: Max-Planck-Gesellschaft / Stefanie Loos

Im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin, mit seinem roten Teppich und den grünen Stoffstühlen, ist am Abend des 25. November 2025 kaum ein Platz mehr frei. Das Publikum ist bunt gemischt: ältere und jüngere Menschen, in Jeans und Sweatshirt, im Anzug und mit Hemd. Sie alle sind zur 24. Einstein Lecture Dahlem gekommen. Die Stimmung ist beinahe festlich.

Mit den Einstein Lectures würdigen die Freie Universität Berlin und die Max-Planck-Gesellschaft Albert Einstein als „Vordenker der Physik, Pazifisten und Impulsgeber dafür, dass Wissenschaft gesellschaftliche Verantwortung übernimmt.“ An diesem Abend lautet das Thema: Quantenphysik und Gravitation: Wie tickt die Uhr von Schrödingers Katze? Anstelle des Physik-Nobelpreisträgers Anton Zeilinger, der krankheitsbedingt ausgefallen ist, übernimmt sein Wiener Kollege Markus Aspelmeyer den Vortrag.

Markus Aspelmeyer ist Nachfolger von Anton Zeilinger als Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zudem hat er als Professor für Physik an der Universität Wien genau jenes Büro, aus dem heraus einst Erwin Schrödinger mit Albert Einstein korrespondierte. Seit Jahren arbeitet er an zwei Theorien, die beide mit Einsteins Namen verbunden sind und doch nicht miteinander vereinbar sind: der Quantentheorie und der Gravitationstheorie.

Ein intuitiver Sprung

Zum Auftakt der Einstein Lecture begrüßt der Präsident der Freien Universität, Günter M. Ziegler, das Publikum. „Veranstaltungen wie diese hier sind Höhepunkte in unserem akademischen Jahr“, sagt er. „Sie und wir alle sind nicht nur Konsumentinnen und Konsumenten von Wissenschaft. Wir haben die Chance, Reflektoren zu sein, zu verbreiten, zu multiplizieren.“ Danach ergreift Jürgen Renn, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie in Jena, das Wort: „Heute Abend geht es nicht nur um die eine, sondern um die zwei großen Revolutionen, die Einstein mit seinen Theorien angestoßen hat.“

Kaum ein Platz mehr frei im größten Veranstaltungsraum der Freien Universität: das Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau

Kaum ein Platz mehr frei im größten Veranstaltungsraum der Freien Universität: das Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau
Bildquelle: Max-Planck-Gesellschaft / Stefanie Loos

Diese beiden Theorien stehen im Mittelpunkt des Abends. „Physik beginnt mit der Beobachtung“, sagt Aspelmeyer. Aus Beobachtungen werden Vermutungen, aus Vermutungen Axiome und aus diesen schließlich Theorien. Albert Einstein habe betont, dass es keinen logisch zwingenden Weg von der Ebene der Phänomene zu diesen Axiomen gebe. Dazwischen stehe immer ein intuitiver Sprung. Deshalb könne sich unser physikalisches Weltbild ändern, sobald Experimente nicht mehr zu den Vorhersagen passen.

Genau das geschehe in der Quantenphysik. Aspelmeyer illustriert es mit einem einzelnen Lichtteilchen, einem Photon, das auf eine halbdurchlässige Glasplatte trifft. Klassisch würde man denken: Entweder das Photon wird reflektiert oder es geht hindurch. In einem Interferometeraufbau, in dem sich die beiden möglichen Wege später wieder treffen, zeigt der Versuch jedoch etwas anderes: Das Ergebnis widerspricht der Annahme, das Photon habe sich eindeutig für Weg A oder Weg B entschieden. Die Theorie beschreibt diesen Zustand als Superposition – eine Überlagerung, in der mehrere Möglichkeiten gleichzeitig existieren, solange nicht gemessen wird.

Quantensystem im Gravitationsfeld

Schrödingers berühmte Katze, die zugleich tot und lebendig sein soll, ist die zugespitzte Version dieses Gedankens. Moderne Experimente mit immer größeren Molekülen und sogar Festkörpersystemen zeigen, dass solche Überlagerungszustände keine Spielerei sind, sondern real messbare Konsequenzen haben. „Es ist, um es mal salopp zu sagen, einfach der Wahnsinn, was mittlerweile möglich ist“, sagt Aspelmeyer. Die Quantenmechanik ist äußerst erfolgreich, auch wenn sie unseren Alltagsvorstellungen von Wirklichkeit widerspricht.

Ebenso bewährt ist die Allgemeine Relativitätstheorie. Aspelmeyer erinnert an die Ablenkung des Sternenlichts bei einer Sonnenfinsternis, an die Bilder von schwarzen Löchern und an den direkten Nachweis von Gravitationswellen. Sogar hochpräzise Uhren gehen messbar anders, wenn man sie nur um einige Dezimeter anhebt. Experimente mit Neutronen und Atomen zeigen, dass auch Quantensysteme der Erdgravitation folgen.

Von links: Prof. Dr. Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena, Prof. Dr. Markus Aspelmeyer von der Universität Wien und Prof. Dr. Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität

Von links: Prof. Dr. Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena, Prof. Dr. Markus Aspelmeyer von der Universität Wien und Prof. Dr. Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität
Bildquelle: Max-Planck-Gesellschaft / Stefanie Loos

Trotzdem bauen beide Theorien auf Weltbildern auf, die sich nicht vertragen. Die Gravitationstheorie weiß, wie Aspelmeyer es formuliert, „mit dem Superpositionsprinzip nichts anzufangen“. Sie beschreibe eher eine feste Geometrie, in der sich Massen bewegen. Die Quantenmechanik dagegen lebe davon, dass Zustände nicht eindeutig festgelegt sind, bevor gemessen wird. „Beide zusammen, Quantenphysik und Allgemeine Relativitätstheorie, können nicht gleichzeitig in ihrer jetzigen Form gültig sein“, sagt Aspelmeyer. Entweder müssten wir unser Verständnis von Raum und Zeit radikal überdenken oder unser Verständnis der Quantentheorie.

Glaskügelchen im Laserlicht

Entscheidend ist: Diese Frage ist keine reine Philosophie mehr, sondern wird experimentell greifbar. Inspiriert von einem Vorschlag Richard Feynmans fragt Aspelmeyer, was passieren könnte, wenn ein Objekt, das selbst ein messbares Gravitationsfeld erzeugt, in einem Quantenzustand der Überlagerung ist. Bildhaft gesprochen: Wenn eine Masse an zwei Orten zugleich ist – muss dann nicht auch ihr Gravitationsfeld in einer Art Superposition vorliegen? Lässt sich eine entsprechende Interferenz beobachten, wäre das ein starkes Indiz dafür, dass die Gravitation quantisiert sein muss. Bleibt sie aus, hätte die Quantenmechanik in dieser Form Grenzen.

Um sich dieser Frage zu nähern, arbeitet die Gruppe von Aspelmeyer in Wien an extrem präzisen Versuchen. Das Gravitationsfeld einer Goldkugel von einem Millimeter Durchmesser, etwa so schwer wie ein Marienkäfer, wurde vermessen. Parallel entwickeln die Forschenden Techniken, um winzige Festkörper – etwa schwebende Glaskügelchen im Laserlicht – so weit zu kühlen und zu kontrollieren, dass ihre Bewegung nur noch mit Quantenphysik beschrieben werden kann. Langfristig sollen solche Objekte in echte Superpositionszustände gebracht werden, um ihr Gravitationsfeld zu testen.

Am Ende des Abends ist die große Frage noch offen: Wird sich die Quantentheorie oder die Relativitätstheorie als „richtiger“ erweisen? Die Frage stammt aus dem Publikum. Abschließend beantworten lässt sie sich nicht. Aspelmeyer macht jedoch deutlich, wie viel für ihn auf dem Spiel steht: „Ich wäre persönlich erschüttert, ins Mark getroffen, tatsächlich am Boden zerstört, wenn nicht die Vorhersagen der Quantentheorie bestätigt würden – ich müsste mein gesamtes Weltbild revidieren.“ Wissenschaft ist nichts Fertiges, sondern ein kontinuierlicher Prozess, an dem viele beteiligt sind – von den Forschungsteams im Labor bis zu den Zuhörerinnen und Zuhörern, die die wissenschaftlichen Inhalte weitertragen.