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„Eine Übersetzung braucht Mut und Respekt“

Ein Gespräch mit der Übersetzerin aus dem Englischen Miriam Mandelkow, an der Freien Universität Berlin derzeit August-Wilhelm-Schlegel-Gastprofessorin für Übersetzung

18.11.2025

Miriam Mandelkow bei ihrer Antrittsvorlesung im Refugio Berlin

Miriam Mandelkow bei ihrer Antrittsvorlesung im Refugio Berlin
Bildquelle: Tobias Bohm

Zu den von Miriam Mandelkow übersetzten Autor*innen gehören NoViolet Bulawayo, Richard Price, Eimear McBride, Ta-Nehisi Coates und Samuel Selvon. Für ihre Neuübersetzungen der Werke von James Baldwin wurde sie 2020 mit dem „Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis“ ausgezeichnet. In diesem Wintersemester ist Miriam Mandelkow Gastprofessorin an der Freien Universität. Sie unterrichtet das Seminar „Stimmen hören, Stimmen schreiben. Literarische Mündlichkeit in der Übersetzung“. 

Frau Mandelkow, Poetik der Übersetzung – das ist der Titel der Gastprofessur. Was heißt das für Ihre Arbeit mit den Studierenden?

Für mich hat es viel mit Lesen und Fragen zu tun. Ich komme ja aus der Praxis, deshalb werden wir viel gemeinsam übersetzen, aber auch unterschiedliche Übersetzungen desselben Ausgangstextes vergleichen, begleitend deutschsprachige Literatur und übersetzungstheoretische Texte lesen. 

Übersetzungen machen uns nicht nur Literaturen zugänglich, deren Ausgangssprache wir nicht lesen können, sie trainieren im besten Fall den Selbstbefragungsmuskel, indem sie Selbstverständlichkeiten erschüttern und uns auffordern, Eigenes und Anderes in Beziehung zu setzen. Jede Lektüre ist eine Übersetzung in die eigene Welt, und dagegen ist nichts zu sagen: Als Übersetzer*innen müssen wir uns dessen aber besonders bewusst sein, müssen erkennen, was wir nicht wissen, nicht verstehen, unter Umständen nicht ausdrücken können. Unsicherheiten willkommen zu heißen und produktiv umzuwandeln, gehört für mich zu einer Poetik der Übersetzung.

Wie lehrt man zu übersetzen?

… by doing … Die Studierenden bekommen kurze Texte zum Übersetzen und lernen dabei erstens den Spaß an dieser Arbeit kennen und zweitens die spezifische Herausforderung, etwas für Geisteswisschaftler*innen vielleicht eher Ungewohntes: Wir müssen uns für eine von vielen Möglichkeiten entscheiden! 

Aber wie gelangen wir zu dieser Entscheidung? Die Wege und Umwege dorthin gehen wir gemeinsam, und jeder Schritt ist wichtig: die spontane Lektüre-Erfahrung, das Bauchgefühl ebenso wie die kleinteilige Stilanalyse – welche Elemente prägen Ton, Haltung und Rhythmus des Textes, was steht zwischen den Zeilen, was muss recherchiert werden und wo; vielleicht auch: Was bereitet mir Unbehagen und warum? Welche – unter Umständen ganz anderen – Mittel stehen uns in der Zielsprache für die Übertragung zur Verfügung? Und nicht zuletzt: Wie begründe ich meine Entscheidungen, wie schärfe ich das Vokabular, mit dem sich über Texte, Sprache, Übersetzung reden lässt? Der Austausch im Seminar ist ganz wichtig.

V. l.: Olga Radetzkaja (Deutscher Übersetzerfonds), Jürgen Jakob Becker (Geschäftsführer DÜF), Gastprofessorin Miriam Mandelkow, Prof. Dr. Susanne Strätling (FU Osteuropa-Institut), Thomas Brovot (DÜF), Timea Tankó (DÜF), Ulrich Blumenbach (DÜF)

V. l.: Olga Radetzkaja (Deutscher Übersetzerfonds), Jürgen Jakob Becker (Geschäftsführer DÜF), Gastprofessorin Miriam Mandelkow, Prof. Dr. Susanne Strätling (FU Osteuropa-Institut), Thomas Brovot (DÜF), Timea Tankó (DÜF), Ulrich Blumenbach (DÜF)
Bildquelle: Tobias Bohm

Was wünschen Sie sich für das Seminar? Was, wünschen Sie sich, sollten die Studierenden am Ende mitgenommen haben?

Übersetzen ist ja eine besonders intensive Form des Lesens und lehrt uns, der sprachlich-stilistischen Form von Texten, ihrer ästhetischen Qualität besondere Beachtung zu schenken, insofern trägt dieser Zugang hoffentlich dazu bei, den Blick auf Texte zu schärfen. Mut und Respekt sind dabei zwei Komponenten, die mir sehr wichtig sind – Respekt dem gegenüber, das uns zur Übersetzung anvertraut wurde, und Mut bei der Umwandlung in etwas Neues. 

„Stimmen hören, Stimmen schreiben. Literarische Mündlichkeit in der Übersetzung“ lautet der Titel unseres Seminars, und das beinhaltet ebenso die kritische Rezeption von Stimmengestaltung in der Literatur wie den kreativen Umgang mit unterschiedlichen Sprachvarietäten: Die Lust am Spiel zu wecken, auch das wünsche ich mir.

Und zu guter Letzt: dass ich denjenigen unter den Studierenden, die erwägen, sich später professionell dem Übersetzen zu widmen, oder auch schon erste Schritte in die Richtung unternommen haben, Rat und Unterstützung bieten kann.

Wenn Sie selbst in Ihrem Seminar säßen, was würden Sie gern lernen?

Ich sitze ja selbst in meinem Seminar und lerne enorm viel von den Studierenden. Sie blicken anders auf Texte und bringen Erfahrungswissen mit, das sich von meinem unterscheidet. Die Diskussionen, die wir führen, empfinde ich als ungeheuer bereichernd.

Die Fragen stellte Christine Boldt