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Qing-Dynastie, Taiwan-Konflikt, TikTok-Trends

Kostenfreies Angebot für Schulen: Aurica Liebing, Chinawissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin, vermittelt über das Projekt „Campus trifft Schule“ differenziertes Wissen über China

18.08.2025

Was Schüler*innen über China wissen sollten, lehrt ...

Was Schüler*innen über China wissen sollten, lehrt ...
Bildquelle: Aurica Liebing

China ist politisch, wirtschaftlich und kulturell eine zentrale Größe. Doch wie viel wissen wir wirklich über das Land, das global immer mehr an Einfluss gewinnt? Um Jugendlichen konkrete, lebensnahe Einblicke jenseits von Stereotypen zu ermöglichen, gibt es seit 2023 das Projekt „Campus trifft Schule – 相约校园“ des unabhängigen Bildungsnetzwerks China. Initiiert wurde das Netzwerk von der Stiftung Mercator und dem Goethe-Institut; die Freie Universität ist eine von sechs Hochschulen bundesweit, die am Projekt „Campus trifft Schule“ teilnehmen, und die einzige in Berlin. Aurica Liebing vom Institut für Chinastudien koordiniert das Projekt an der Freien Universität – ein Interview mit der Chinawissenschaftlerin, die an Berliner Schulen Workshops, Arbeitsgemeinschaften und Unterrichtsreihen anbietet.

Frau Liebing, warum beteiligt sich die Freie Universität am Projekt „Campus trifft Schule“?

Das Institut für Chinastudien der Freien Universität zählt zu den größten seiner Art in Deutschland. Es konzentriert sich auf Geschichts-, Sozial-, und Religionswissenschaften, Sprachwissenschaft und Politik des chinesischsprachigen Raums.

... die Sinologin Aurica Liebing im Rahmen des Projekts „Campus trifft Schule: China-Kompetenz an Berliner Schulen“. Interessierte Schulen können sich direkt bei Aurica Liebing melden: aurica.liebing@fu-berlin.de

... die Sinologin Aurica Liebing im Rahmen des Projekts „Campus trifft Schule: China-Kompetenz an Berliner Schulen“. Interessierte Schulen können sich direkt bei Aurica Liebing melden: aurica.liebing@fu-berlin.de
Bildquelle: Jasmin Oertel

Unter unseren Bachelor- und Masterstudiengängen bieten wir auch einen Lehramtsstudiengang Chinesisch an. Damit schaffen wir altersgerechte Zugänge zur Sprache und entwickeln Formate, um jungen Menschen Wissen über China näherzubringen. So fördern wir den Austausch zwischen Universität und Gesellschaft, wecken bei jungen Menschen Interesse an globalen Themen und unterstützen Schulen sowie Lehrkräfte, China differenziert zu vermitteln.

Das Projekt „Campus trifft Schule“ hat Professor Andreas Guder an die Freie Universität geholt. Es verbindet unsere wissenschaftliche Arbeit mit praxisnaher Bildungsarbeit und interdisziplinärer Fachdidaktik. Als einzige Hochschule bundesweit bieten wir drei Formate an: China-AGs, Unterrichtsreihen im Fachunterricht verschiedener Fächer der Sekundarstufe I und II sowie Workshops zu antiasiatischem Rassismus. Die Nachfrage danach ist so groß, dass wir mit dem Projekt nun ins dritte Förderjahr gehen.

In den Unterrichtsreihen und AGs geht es um Basisinformationen sowie konkretes Wissen zu politischen und gesellschaftlichen Konflikten, zu kulturellen Besonderheiten.

In den Unterrichtsreihen und AGs geht es um Basisinformationen sowie konkretes Wissen zu politischen und gesellschaftlichen Konflikten, zu kulturellen Besonderheiten.
Bildquelle: Aurica Liebing

Wie können Schulen die Unterrichtsreihen, Workshops, AGs buchen?
Schulen können Aurica Liebing direkt per E-Mail kontaktieren. Ihre Webseite bietet eine Übersicht über die Angebote sowie Handouts zu den Unterrichtsreihen.
Ihr Team stimmt Inhalte und Formate individuell mit den Schulen ab. Möglich ist die Buchung einzelner Workshops, ganzer Unterrichtsreihen oder regelmäßiger AGs. Die Angebote sind kostenlos.
Lehrkräfte erhalten auf Anfrage alle Materialien inklusive Handreichungen, Präsentationen und Arbeitsblättern zu den Unterrichtsreihen für ihren Unterricht. Auch aus anderen Bundesländern erhält Aurica Liebing Nachfrage nach den Materialien.

Warum brauchen Schüler*innen differenziertes und alltagsnahes China-Wissen? Und was ist das überhaupt?

An China kommt niemand vorbei – weder in der Politik noch in der Wirtschaft oder im Alltag. Für mich heißt fundiertes Wissen über China: verschiedene Perspektiven einzunehmen, die Geschichte zu verstehen, den Alltag zu begreifen und Vorurteile kritisch zu hinterfragen.

Ich nutze zahlreiche Quellen, um Chinas Vielfalt – ethnisch, sozial, sprachlich und politisch – sichtbar zu machen. Dabei beziehe ich Festlandchina, Taiwan, Hongkong, Macau und die chinesische Diaspora ein. Darüber hinaus beleuchte ich Lebenswelten in den Bereichen Bildung, Arbeit, Familie, Freizeit und Popkultur.

So sprechen wir zum Beispiel über den Schulalltag an einer Mittelschule in Chengdu und darüber, welche Chancen und Hürden junge Menschen beim Übergang ins Studium oder Berufsleben erwarten. Daraus ergibt sich ein spannender Blick ins Familienleben: Großeltern sind in China häufig aktiv in die Erziehung und Betreuung ihrer Enkel*innen eingebunden, und konfuzianische Werte wie Pietät und Fürsorge prägen das Miteinander der Generationen. Ältere Menschen sind auch im Alltag sichtbar, zum Beispiel beim Tanzen im Park, beim Schachspielen oder in Hobbygruppen. Auch junge Menschen gestalten ihre Freizeit abwechslungsreich: von Gaming und Street Art bis zu Sport und Musik. So entsteht ein Bild einer Gesellschaft, die modern und dynamisch ist, aber gleichzeitig fest in Traditionen wurzelt.

Bräuchten auch andere Weltregionen oder Länder eine derartige Wissensvermittlung in Schulen?

Das ist ganz bestimmt so. Solche Kompetenzen sind natürlich auch entscheidend, um andere Weltregionen zu verstehen. Mit unserem Ansatz wollen wir einen Beitrag zum globalen Lernen leisten. Wir freuen uns sehr, dass unsere Angebote so positiv aufgenommen werden – das zeigt aus unserer Sicht auch den generell steigenden Bedarf an außereuropäischen Lerninhalten.

Wie arbeiten Sie mit den Schüler*innen?

Ich arbeite gerne interaktiv, mediengestützt und lebensweltbezogen. Die Unterrichtsreihen basieren auf einer Analyse der Berliner Lehrpläne und knüpfen an Themen einzelner Fächer an. Unsere Reihe zur Wanderarbeit greift beispielsweise Inhalte des Geografie-Lehrplans für die Sekundarstufe II auf. Dort liegt ein Schwerpunkt auf Migrationsbewegung und Verstädterung. 2024 gab es in China knapp 300 Millionen Wanderarbeiter*innen, und die Urbanisierung Chinas ist in ihrer Geschwindigkeit und ihrem Ausmaß weltweit einzigartig.

Die Reihe zum Taiwan-Konflikt greift Inhalte des Lehrplans für Politische Bildung zu internationalen Konflikten auf und ist besonders für die gymnasiale Oberstufe relevant, da viele Schüler*innen eine Projektarbeit zu einem internationalen Konflikt anfertigen müssen. Am Beispiel Taiwan können wir gemeinsam erarbeiten, wie man sich einem solchen Konflikt nähert und welche Hintergründe und Aspekte man unbedingt im Blick behalten sollte.

In den AGs lege ich Wert auf alltagsnahe Themen, die ich gemeinsam mit den Jugendlichen auswähle. Somit reichen die Inhalte von der letzten chinesischen (Qing-)Dynastie und den Opiumkriegen über den Taiwan-Konflikt und das Phänomen der Wanderarbeit bis hin zu Street Food und TikTok-Trends. Vor allem aktuelle Make-Up Trends und traditionelle chinesische Mode finden bei den Schüler*innen Anklang.

An welche Klassenstufen richten sich die Angebote?

Die Angebote richten sich an Schüler*innen von der siebten Klasse bis zur Oberstufe. Mir ist wichtig, die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie stehen, und an ihr Wissen und ihre Interessen anzuknüpfen. Ich möchte sie begeistern, ihren Blick weiten und zu lebhaften Diskussionen anregen. Es freut mich, wenn ich sie dabei unterstützen kann, sich eine fundierte eigene Meinung zu komplexen Sachverhalten zu bilden.

Hami Nguyen veranstaltet im Rahmen des Projekts "Campus trifft Schule" Workshops zu antiasiatischem Rassismus.

Hami Nguyen veranstaltet im Rahmen des Projekts "Campus trifft Schule" Workshops zu antiasiatischem Rassismus.
Bildquelle: Aurica Liebing

Sie bieten auch Unterrichtsreihen und Workshops zu antiasiatischem Rassismus an. Das heißt, es gibt Bedarf – was unterscheidet diesen Rassismus von anderen Diskriminierungen gegenüber Minderheiten?

Studien, Erfahrungen aus der Bildungsarbeit und Rückmeldungen aus Schulen zeigen den Bedarf deutlich: 2021 erlebte jede zweite Person mit asiatischem Migrationshintergrund Alltagsrassismus; seit Corona ist die Zahl der Fälle stark gestiegen. Dennoch bleibt das Thema oft unsichtbar. In Berlin gehören 155 Schulen dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ an, doch im Alltag scheitert die Umsetzung häufig an fehlendem Geld und Personal.

Auch antiasiatischer Rassismus nutzt Mechanismen wie Stereotypisierung, Diskriminierung und strukturelle Benachteiligung, ist jedoch durch besondere historische und gesellschaftliche Hintergründe geprägt. Antiasiatischer Rassismus in Deutschland hat eine lange Geschichte. Schon in der Kolonialzeit wurden Menschen aus (Süd-)Ostasien in sogenannten Völkerschauen zur Schau gestellt. Seit den 1980er-Jahren kamen zehntausende vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in die DDR. Besonders nach der Wende kam es zu rassistischer Gewalt gegen sie, etwa bei den Pogromen in Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992). Die Corona-Pandemie hat diese Feindbilder nicht geschaffen, aber bestehende Vorurteile erneut sichtbar gemacht und verstärkt.

Ziel ist es, Schüler*innen dafür zu sensibilisieren, zu empowern und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Unsere Unterrichtsreihe zu diesem Thema richtet sich an Klassen ab Stufe 10, der Workshop ist ab Klasse 8 geeignet. Dafür arbeiten wir mit der Bildungsreferentin, Autorin und Aktivistin Hami Nguyen zusammen, die 2024 das bislang einzige deutschsprachige Buch zu diesem Thema veröffentlicht hat und nun unsere Workshops leitet.

Was treibt Sie persönlich an?

Ich arbeite an der Schnittstelle von Bildung, Wissenschaft und gesellschaftlichem Engagement. Mich motiviert, Räume für Austausch, Perspektivwechsel und Reflexion zu schaffen – besonders zu Themen, die im Schulunterricht sonst wenig vorkommen. Im vergangenen Schuljahr konnten wir knapp 300 Schüler*innen erreichen, die nun als Multiplikator*innen wirken.

Lehren bedeutet Verantwortung und Herausforderung, doch für mich ist es vor allem ein Privileg, mit jungen Menschen zu arbeiten. Immer wieder überraschen sie mich mit ihrer Kreativität, ihrem Scharfsinn und ihrer kritischen Neugier. Dabei staune ich, wie viel wir voneinander lernen!

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Aurica Liebing ist studierte Sinologin mit einem Master in Chinesisch als Fremdsprache. Sie hat in Berlin, Wien sowie in China und Taiwan studiert bzw. gelebt. Seit fünf Jahren arbeitet sie im Bildungsbereich, seit August 2024 betreut sie „Campus trifft Schule“. Außerdem unterrichtet sie freiberuflich Deutsch als Fremdsprache.