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„Nach dem Austausch finden viele in Berlin eine zweite Heimat“

Seit 30 Jahren besteht das BCGS – ein Austausch zwischen Freier Universität Berlin und sechs US-amerikanischen Ivy-League-Universitäten

09.07.2025

Carmen Müller nimmt eine Urkunde der Columbia University und Schweizer Schokolade in Empfang. Seit 30 Jahren leitet sie das Berlin Consortium for German Studies.

Carmen Müller nimmt eine Urkunde der Columbia University und Schweizer Schokolade in Empfang. Seit 30 Jahren leitet sie das Berlin Consortium for German Studies.
Bildquelle: Christian Demarco

Mehr als 1000 Studierende aus Deutschland, den USA und anderen Ländern haben in den vergangenen 30 Jahren am Austauschprogramm des Berlin Consortium for German Studies (BCGS) teilgenommen. In politisch brisanten Zeiten, in denen die transatlantischen Beziehungen auf eine harte Probe gestellt werden, ist das Programm vielleicht so wichtig wie nie zuvor.

Die 1990er Jahre markieren in der Berliner Geschichte eine ganz besondere Zeit. Etwas Altes, der Kalte Krieg, war zu Ende gegangen. Das Neue, die Entwicklung zu einer globalen Metropole, hatte kaum begonnen. „Berlin war damals kein Touristen- oder Künstlermagnet“, sagt Mark M. Anderson. „Es war eine verwundete Stadt, voller Narben des 20. Jahrhunderts, die, nachdem sie Jahrzehnte verdrängt worden waren, plötzlich sichtbar wurden.“

Mark Anderson, Professor an der Columbia University, ist BCGS-Mitgründer

Mark Anderson, Professor an der Columbia University, ist BCGS-Mitgründer
Bildquelle: Christian Demarco

Anderson, Professor für German Studies an der New Yorker Columbia University, war damals fasziniert von Spaziergängen durch die Stadt. Beinahe jedes Haus schien etwas zu erzählen zu haben. „In Berlin unterrichtete sich die Geschichte gewissermaßen von selbst“, sagt er. „Und mir wurde klar, dass ich meinen Studierenden die Möglichkeit geben wollte, Deutschland kennenzulernen.“ 

Als ihm ein Kollege vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) signalisierte, dass es Bereitschaft für ein Austauschprogramm gäbe, zögerte Anderson nicht lange. Maßgeblich auf seine Initiative hin wird 1995 das Berlin Consortium for German Studies (BCGS) ins Leben gerufen – ein deutsch-amerikanisches Austauschprogramm zwischen der Freien Universität Berlin und sechs der renommiertesten amerikanischen Hochschulen: University of Chicago, Columbia University, Cornell University, Johns Hopkins University, University of Pennsylvania und Princeton University.

Verena Blechinger-Talcott, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität

Verena Blechinger-Talcott, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität
Bildquelle: Christian Demarco

Vermittler der transatlantischen Verständigung

In diesem Jahr feiert das BCGS sein 30-jähriges Jubiläum. 910 amerikanische und internationale Studierende sind über das Programm bisher für ein Semester oder ein ganzes akademisches Jahr an die Freie Universität gekommen. Mehr als 200 Studierende der Freien Universität gingen in die Vereinigten Staaten. Verena Blechinger-Talcott, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität, bezeichnet das Programm als einzigartige Erfolgsgeschichte: „Die Studierenden, die über das Programm zu uns kommen, vertiefen nicht nur ihre Sprachkenntnisse und ihr akademisches Wissen, sondern sammeln auch eine Vielzahl von persönlichen und kulturellen Erfahrungen“, sagt die Japanologin. „Viele kehren anschließend als Diplomat*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen oder Schriftsteller*innen nach Deutschland zurück und wirken weiter als Vermittler der transatlantischen Verständigung.“

Nat Yermack aus den USA ist für ein akademisches Jahr in Berlin zuhause.

Nat Yermack aus den USA ist für ein akademisches Jahr in Berlin zuhause.
Bildquelle: Christian Demarco

Offen steht das Programm Studierenden aller Fachrichtungen. Im Zentrum steht dabei nicht nur ein reichhaltiges akademisches Programm, sondern vor allem das Eintauchen in die deutsche Kultur. „Die Studierenden, die zu uns kommen, nehmen zunächst an einem sechswöchigen, intensiven Sprach- und Kulturkurs teil“, sagt Carmen Müller, die das Berlin Consortium for German Studies auf Seiten der Freien Universität seit dessen Gründung leitet. „Sie sollen befähigt werden, am deutschsprachigen Studienprogramm teilzunehmen und vollständig ins Berliner Leben einzutauchen – sei es in ihren deutschsprachigen Gastfamilien und WGs oder im Rahmen von ergänzenden Praktika.“

Mitarbeiter im Publikum: Nikolaj Blocksdorf, Assistant Administrative Director

Mitarbeiter im Publikum: Nikolaj Blocksdorf, Assistant Administrative Director
Bildquelle: Christian Demarco

Lernen, wie die anderen ticken

Mehr als 20 Studierende der amerikanischen Partnerhochschulen empfängt die Freie Universität auch in diesem Jahr. Im Gegenzug sollen zehn Studierende in die Vereinigten Staaten aufbrechen. „Wir sind zuversichtlich, dass dieser Austausch gelingen wird“, sagt Vizepräsidentin Blechinger-Talcott. „Trotz der verschärften Einreisebedingungen in den USA.“

Die aktuelle politische Situation in den USA, in denen sowohl die akademische Freiheit als auch die transatlantischen Beziehungen vor harte Proben gestellt werden, ist auch auf der Jubiläumsfeier des BCGS ein Thema. „Akademischer Austausch ist eines der besten Mittel, um Vertrauen, Dialog und Verständigung zu fördern“, sagt Carmen Müller. „Heute ist das BCGS vielleicht so wichtig wie nie zuvor in seiner Geschichte.“

Aus den USA angereist: Fay Ju, UGE Associate Dean Columbia University

Aus den USA angereist: Fay Ju, UGE Associate Dean Columbia University
Bildquelle: Christian Demarco

Auch von US-amerikanischer Seite ist der Rückhalt für das Programm stark. Eigens für das Jubiläum angereist sind nicht nur der Gründer Mark M. Anderson, sondern auch Fay Ju, Associate Dean im Center for Undergraduate Global Engagement (UGE) der Columbia University. „Wir sind sicher, dass das tiefe Vertrauen zwischen der Columbia University und der Freien Universität beständig weiter wachsen wird“, sagt sie. „Wir hoffen, dass wir das BCGS künftig noch weiter ausbauen und durch Innovationen ergänzen können.“ 

Auch Mark M. Anderson unterstreicht den unschätzbaren Wert von Austauschprogrammen. „Gerade in New York denken Menschen manchmal, sie müssten gar nicht ins Ausland gehen – sie haben ja gewissermaßen die ganze Welt zu Hause“, erzählt er. „Aber das ist etwas fundamental anderes als die Demut, die man lernt, wenn man sich einmal wirklich in die Fremde wagt, in einer Sprache, die man vielleicht gerade erst zu lernen begonnen hat.“

Podiumsdiskussion mit BCGS-Alumni: Metin A. Turgut, Katharine S. Lin, Qingyang Freya Zhou, Naomi R. Marne und Tiana Stute.

Podiumsdiskussion mit BCGS-Alumni: Metin A. Turgut, Katharine S. Lin, Qingyang Freya Zhou, Naomi R. Marne und Tiana Stute.
Bildquelle: Christian Demarco

Einmal Berlin, immer wieder Berlin

Acht Alumni des Programms sind an der Jubiläumsveranstaltung zu Gast. Die meisten von ihnen leben heute ganz oder teilweise in Berlin. So wie etwa Naomi Marne. Die Amerikanerin studierte German Studies am Barnard College in New York und absolvierte das BCGS-Programm von 2013 bis 2014. Unmittelbar im Anschluss fand sie in Berlin eine Anstellung bei der Filmfirma UFA, wo sie später mehrere Jahre lang an der Erfolgsserie „Deutschland 83“ und deren Nachfolgestaffeln arbeitete. „Ich habe im Rahmen des Programms nicht nur eine zweite Heimat gefunden“, sagt sie. „Sondern den Grundstein für meine Karriere gelegt.“

Auch die aktuellen amerikanischen Austauschstudierenden sind vor Ort. Von den Alumni wollen sie wissen, was sich seit deren Zeit in Berlin verändert hat. Schnell entspinnt sich eine Diskussion um ein Thema, das Berlin in diesen Jahren wohl umtreibt wie kein zweites: die steigenden Mietpreise. „Aber es entwickelt sich durchaus auch einiges zum Positiven“, sagt Qinyang Freya Zhou, die das BCGS-Programm im Jahr 2018 absolviert hat und 2024 im Rahmen des Berlin Program for Advanced German and European Studies an die Freie Universität zurückkehrte. „Die Stadt ist heute noch internationaler und offener. Auch an der Freien Universität tut sich viel, es gibt immer mehr Kurse mit Fokus auf Diversität und viele Projekte zum Thema Nachhaltigkeit.“