Verloren im Digitalsemester
Die kontaktarme Lehre ohne Präsenzveranstaltungen belastet viele Studierende auch psychisch – die von der Studienberatung an der Freien Universität angebotene Veranstaltung „Lost in Digitalization“ war eine Einladung zu Austausch und Diskussion
10.02.2021
Kein gemeinsamer Kaffee zwischen den Seminaren, kein Kennenlernen der neuen Kommilitoninnen und Kommilitonen, der Kontakt zu Lehrenden nur über den Bildschirm. Auch vielen Studierenden der Freien Universität schlägt das pandemiebedingte Digitalstudium aufs Gemüt. Um erfassen zu können, wie sehr das Studium in den eigenen vier Wänden sie psychisch belastet, hilft die Nachfrage bei den Expertinnen und Experten: Das Team um Stefan Petri, Leiter der Studienberatung und der Psychologischen Beratung an der Freien Universität Berlin, registrierte in den vergangenen Monaten einen starken Anstieg an Anfragen von Ratsuchenden.
Fast 100 Studierende waren in der vergangenen Woche der Einladung zu der digitalen Veranstaltung „Lost in Digitalization“ gefolgt, um sich eineinhalb Stunden lang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Psychologischen Beratung und der Studienberatung und untereinander auszutauschen.
Nachdem Stefan Petri alle in der großen Runde begrüßt hatte, trafen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst in Kleingruppen mit jeweils einer Expertin bzw. einem Experten aus der Studienberatung, bevor schließlich die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen und diskutiert wurden.
Studium ohne Campus-Leben
Zwar belastet das Digitalstudium auch fortgeschrittene Studierende, Studienanfängerinnen und -anfänger aber besonders. Sie leiden vor allem unter dem fehlenden Campus-Leben: Ohne die üblichen Ersti-Wochen, Kneipentouren und Einführungsseminare ist es deutlich schwieriger, Kommilitoninnen und Kommilitonen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen, von denen manche ja ein ganzes Studium oder länger halten.
Für Studienanfängerinnen und -anfänger ist auch dies schwierig: Sie berichten von einer vagen Unzufriedenheit mit dem Studium, wissen aber oft nicht, ob ihnen tatsächlich der Studiengang nicht gefällt oder ob es die außergewöhnliche Lehr- und Lernsituation ist, die ihnen Unbehagen bereitet, sagt Stefan Petri: „Da nicht alle Studienanfängerinnen und -anfänger an den Orientierungswochen zu Beginn des Semesters teilnehmen konnten, kam in der Veranstaltung der Vorschlag, auch gegen Ende des Semesters noch einmal in den jeweiligen Fächern zu einem Treffen aller Erstsemester einzuladen, um über das erste Fachsemester zu sprechen und vor allem Kontakte zu den Mitstudierenden knüpfen zu können.“
Wichtige Botschaft: Ihr seid nicht allein!
Mit vielen Problemen haben Studierende aller Fachsemester zu kämpfen: allgemeiner Motivationsverlust, zunehmende Einsamkeit, Konzentrationsprobleme beim Lernen zu Hause, weil die Bibliothek geschlossen ist, Kopfschmerzen, weil sie stundenlang vor dem Bildschirm sitzen.
Natürlich können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Psychologischen Beratung und der Studienberatung weder die Pandemie beenden noch eine Deus-ex-Machina-Lösung herbeizaubern. Aber zuhören konnten sie, in den Kleingruppen Anregungen aufnehmen, gemeinsam überlegen, was jetzt getan werden kann und weiterführende Beratung anbieten.
Für viele Studierende ist es schon eine Erleichterung zu merken, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind: Im Webex-Chat wurden während der Veranstaltung Kontaktdaten ausgetauscht und Verabredungen beispielsweise für Sprachlerntandems getroffen.
Plädoyer für angeschaltete Kameras
Auch über die Schwierigkeiten, in digitalen Seminaren und Vorlesungen Kontakte herzustellen und zu diskutieren, wurde gesprochen. Mathematik-Bachelorstudentin Dana Wehner, selbst Tutorin und Mentorin am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie, berichtete aus eigener Erfahrung.
Sie plädierte für angeschaltete Kameras und mehr Mut, sich zu Wort zu melden: „Wenn manche Studierende ihre Webcams nicht einschalten können oder wollen, sitzt man als Lehrende oder Gruppenleiterin bzw. Gruppenleiter vor einer grauen Wand. Man sieht keine Gesichter, das macht es schwierig, Feedback einzuholen. Es ist ja schon im Präsenzunterricht eine Herausforderung, eine angenehme Lernatmosphäre zu schaffen, in der man sich traut, auch mal Fehler zu machen. Digital ist das noch viel schwieriger – darum ist es jetzt so wichtig, sich nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen.“
Gemeinsam auch über außeruniversitäre Themen zu sprechen, verbindet
Dana Wehner, die bereits ein Bachelor- und Masterstudium in Biochemie abgeschlossen hat, bemüht sich, Inhalt und Struktur ihrer Biochemie-Mentoring-Sitzungen an die außergewöhnlichen Lehr- und Lernbedingungen anzupassen: „Ich versuche, die physische Distanz zu kompensieren, indem ich mich mehr öffne und mit den Studienanfängerinnen und -anfängern als Studentin kommuniziere, die sich in einer ähnlichen Situation befindet. Wir sprechen auch mehr, als wir das sonst tun, über außeruniversitäre Themen – und wir machen länger und öfter Kennenlern-Spiele.“
Die vielen Kommentare, Anmerkungen und Vorschläge der Studierenden aus der Veranstaltung werden Stefan Petri und sein Team sammeln und an die Universitätsleitung weitergeben.
Auch konkrete Vorschläge, etwa ein universitäres Kennenlern- und Kontaktangebot anzubieten oder ein regelmäßiges digitales Veranstaltungsangebot zum gemeinsamen Austausch unter Studierenden, sollen weiterverfolgt werden, verspricht Stefan Petri: „Viele Studierende haben uns von Motivationsproblemen und dem Aufschieben von wichtigen Arbeiten oder der Prüfungsvorbereitung berichtet. Zum Sommersemester werden wir deshalb wieder eine Workshop-Reihe zum Thema Prokrastination anbieten.“
Weitere Informationen
Sie studieren an der Freien Universität Berlin, konnten aber an der Veranstaltung am 3. Februar 2021 nicht teilnehmen? Sie haben Vorschläge, Anregungen oder Fragen an die Studienberaterinnen und -berater bzw. die Psychologische Beratung? Dann schreiben Sie gern eine E-Mail an studienstart@studienberatung.fu-berlin.de
Hier kommen Sie zu den Seiten der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung an der Freien Universität Berlin.