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„Nichts ist neutral“

Workshops am 23. und 24. November: Gender- und diversitätsbewusst zu lehren, will gelernt sein – im Rahmen des Toolbox-Projekts können Lehrende der Freien Universität sich weiterbilden

08.10.2020

Ein Moderationskoffer für alle Fälle: Das richtige Werkzeug zum diversitäts- und genderbewussten Lehren vermittelt das Team des Toolbox-Projekts.

Ein Moderationskoffer für alle Fälle: Das richtige Werkzeug zum diversitäts- und genderbewussten Lehren vermittelt das Team des Toolbox-Projekts.
Bildquelle: Jamina Diel

„Ich empfehle als grundlegendes Prinzip Fehlerfreundlichkeit“, sagt Melanie Bittner – und meint damit eine Gelassenheit, die nicht gleich Absicht unterstellt. „Niemand ist perfekt, wir alle machen Fehler. Der Punkt ist, wie wir damit umgehen.“ Das Projekt „Toolbox Gender und Diversity in der Lehre“‘ bietet mehrmals im Semester Workshops zu unterschiedlichen Aspekten der Hochschullehre an – (Digitale) Lehre gender- und diversitätsbewusst gestalten in Kooperation mit SUPPORT für die Lehre ist einer davon.

„Gender- und Diversitätsbewusstsein stellt hohe Anforderungen an die Lehre“, sagt Melanie Bittner, „und es ist ein Prozess.“ Die Universität solle ein Lernraum für alle sein, aber auch ein Schutzraum, in dem Verletzungen und Diskriminierungen möglichst vermieden werden. „Unsere Lehrenden und Studierenden sind divers. Sie bringen sehr unterschiedliche Erfahrungen von Diskriminierung und Privilegierung mit – und damit auch persönliche Verletzlichkeiten und unterschiedliches Wissen, was das Sprechen über Gender, Diversität und Diskriminierung nicht immer leicht macht.“ 

Reflektion ist der Kern

„Wir alle sind auf die eine oder andere Art vorurteilsbelastet und nehmen Zuschreibungen vor, wenn wir andere wahrnehmen“, sagt Melanie Bittner. Das liege an der jeweiligen Sozialisation und helfe auch bei der Vereinfachung unserer komplexen Welt. Ein erster Schritt sei es deshalb, sich dessen bewusst zu werden. Es gehe darum, die Relevanz solcher Zuschreibungen im eigenen Denken zu reduzieren und Stereotype nicht zu verstärken, indem man immer wieder auf sie zurückgreift. „Das Ziel ist individualisiertes Lernen und gleiche Bildungschancen für alle“, sagt Melanie Bittner. 

Mehrmals im Semester bietet die Toolbox Schulungen an.

Mehrmals im Semester bietet die Toolbox Schulungen an.
Bildquelle: CeDiS

Selbstkritisch und fehlerfreundlich

Fehlerfreundlichkeit in Bezug auf diese Zuschreibungen und Stereotype sei deshalb wichtig – sich selbst und anderen gegenüber. „Dann ist ein echter Lernprozess möglich.“ In einer solchen Atmosphäre könnten Lehrende aktiv in die Auseinandersetzung mit Studierenden gehen und über Beispiele, die unter Gender- und Diversitätsgesichtspunkten problematisch sind, diskutieren.

„Es gibt keine einfachen Antworten“

„Ein Thema, das in unseren Workshops häufig angesprochen wird, betrifft weibliche Lehrende sowie Lehrende, die jünger sind oder so wirken: Sie haben Schwierigkeiten, weil sie von Studierenden nicht ernst genommen werden.“ Ähnliches berichten immer wieder auch Lehrende, die Deutsch mit einem ausländischen Akzent sprechen. Für diese Lehrenden sei es verständlicherweise schwerer einzulösen, auch den Studierenden gegenüber selbstkritisch aufzutreten, Wissenslücken zu thematisieren oder sogar eigene Fehler zur Diskussion zu stellen.

Diese Art der vorurteilsbehafteten Zuschreibung finde allerdings auch im umgekehrten Verhältnis statt: von Lehrenden gegenüber Studierenden. „Nichts ist neutral: Gender-und Diversity-Aspekte berühren alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft“, sagt Melanie Bittner. „Niemand steht darüber, und es gibt keine einfachen Antworten.“

Vielfalt als Programm in der Lehre

Der Einsatz verschiedener Methoden könne auf dem Weg dorthin helfen: „Ich arbeite gern mit sogenannten Ampelkarten. Ich frage die Lehrenden in den Workshops beispielsweise: „Verwenden Sie geschlechtergerechte Sprache in Ihrer Lehre?“. Je nachdem, wie sie die Frage beantworten, legen sie eine Karte in einer bestimmten Farbe auf den Tisch: Grün für Ja, Rot für Nein, Gelb für Vielleicht. Nun war neulich eine farbenblinde Person im Workshop. Für sie war es sehr schwierig, die richtige Karte auszuwählen und zu erkennen, welche Karten die anderen gelegt haben. Das hatte ich überhaupt nicht bedacht: Weil ich selbst nicht betroffen bin und auch in meinem näheren Umfeld niemanden kenne, der farbenblind ist. Seitdem beschrifte ich die Karten zusätzlich mit Ja, Nein und Vielleicht.“

Menschen seien nicht entweder Gender und allen Aspekten von Diversität gegenüber bewusst oder ignorant, das gelte auch für ihre Lehre. „Manche Dinge berücksichtigen wir, manche machen wir bereits gut, bei anderen gibt es Verbesserungsmöglichkeiten.“

Auch die Rahmenbedingungen, unter denen Lehrveranstaltungen stattfinden, hätten Einfluss: So haben beispielsweise an der Freien Universität Studierende mit Kindern, anders als an den meisten anderen Berliner Hochschulen, gemäß der Rahmenstudien- und Prüfungsordnung keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Auch Räume erzeugen Barrieren und Ausschlüsse, sowohl physisch, wie durch fehlende genderneutrale Toiletten, als auch digital, wenn Anwendungen nicht barrierefrei sind. „Als einzelne Lehrperson lässt sich an den Rahmenbedingungen oft nicht viel ändern, man kann kurzfristig nur versuchen, innerhalb des Rahmens gute Lösungen zu finden“, sagt Melanie Bittner. Programme zur Professionalisierung von Hochschullehre, wie sie an der Freien Universität das Toolbox-Projekt bietet oder auch Support für die Lehre oder die Qualifizierung für Mentorinnen und Mentoren, seien da ein großer Fortschritt.

Die Antidiskriminierungsperspektive

Dass Diversität viel Potenzial birgt, belegen Studien. Sie haben gezeigt, dass Teams, die divers aufgestellt sind, zu besseren Lösungen kommen als homogene Arbeitsgruppen: weil verschiedene Alltags- und Sozialisationserfahrungen in Diskussionen und Entscheidungen einfließen und dadurch andere Fragen gestellt werden. Der Nutzen von Diversität dürfe aber nur ein Aspekt sein. „Es ist wichtig, Diversität mit einer Antidiskriminierungsperspektive auch dann im Blick zu behalten, wenn nicht alle gewinnen, sondern wenn vielleicht erst einmal auch Kosten oder Konflikte entstehen“, sagt Melanie Bittner.

Im Wintersemester wird es im Rahmen des Toolbox-Projekts ein weiteres Fortbildungsangebot für Lehrende geben, in dem die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten von Gender und Diversität im Fokus steht.

Weitere Informationen

Der Workshop „Gender- und diversitätsbewusste Lehre“ besteht aus zwei Teilen: Zunächst reflektieren die Teilnehmenden ihre eigene Lehrpraxis in Bezug auf gender- und diversitätsbewusste Didaktik und tauschen sich über Erfahrungen und Handlungsstrategien aus. Im zweiten Teil werden einzelne Aspekte der gender- und diversitätsbewussten Didaktik vertieft, wie etwa der Umgang mit Sprache. Aus aktuellem Anlass – durch die Umstellung der Präsenzlehre auf digitale Veranstaltungen – geht es auch um die Abwägung zwischen synchronen und asynchronen Formaten sowie das Thema Barrierefreiheit in diesem Kontext.

Workshop am 23. November: Anmeldungen über dieses Formular.
Aufgrund des hohen Andrangs besteht ein Zusatztermin am 24. November. Anmeldungen bitte über diese Seite.

Für Einrichtungen der Freien Universität bietet die Toolbox kostenlose Workshops auch auf Anfrage an.