Birnen für Zaimoglu
Der Berliner Literaturpreisträger Feridun Zaimoglu hat seine Antrittsvorlesung als Heiner-Müller-Gastprofessor gehalten und leitet ein Autorenkolleg
19.05.2016
Auch Wörtermenschen brauchen Vitamine. Vor allem, wenn sie so viel rauchen wie Feridun Zaimoglu. Das findet jedenfalls seine Schwester Belhe und hat ihm eine Tüte Birnen mitgebracht. Gerade hat der Schriftsteller seine Antrittsvorlesung als Heiner-Müller-Gastprofessor vor einem voll besetzten Seminarraum gehalten, am nächsten Tag soll das Autorenkolleg mit Studierenden beginnen. Jetzt steht er vor der Silberlaube der Freien Universität und raucht.
Elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat Zaimoglu, der im Februar für sein „anschauliches und burleskes, originelles und anspielungsreiches, plastisches und unromantisches Erzählen“ mit dem Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung ausgezeichnet worden ist, ausgewählt. Was erwartet die Studierenden, die es bis ins Seminar des berühmten Schriftstellers geschafft haben? „Harte Arbeit am Text“, sagt der und erklärt, was er darunter versteht: redigieren, korrigieren, stilistisch verbessern.
Es gehe darum, passende Ausdrücke und Wendungen zu finden, um den Kern einer Geschichte freizulegen: das vom Autor Gemeinte. Oft sei „zu viel Fühlen und Spüren“ in dem Geschriebenen, zu viel „Schmunzeln“ und „Kribbeln“ – beide Ausdrücke stehen ganz oben auf Zaimoglus schwarzer Liste. Dafür fehlten häufig logische Übergänge, die der Leser aber brauche, um folgen zu können. Ob er selbst Kritik an seinen Texten vertrage? Unbedingt, sagt er und schwärmt von seinem Lektor und seiner Korrektorin. Aber ob er nicht doch auch, was seine Texte angehe, eitel sei? „Zum Teufel mit der Eitelkeit!“
Wortschöpfungs- und Rhythmusmaschine
Wie viel Bildhauerei in Zaimoglus Sprache steckt, der als Kleinkind mit seinen Eltern aus der Türkei gekommen ist und seit mehr als 30 Jahren in Kiel lebt, wurde in seiner Antrittsvorlesung „Tau und Tag“ wieder einmal deutlich: „Ich schinde und schabe mich“, intoniert Zaimoglu. Er spricht von Wörtern, die man „in der Mitte knicken“ kann, und von „Glaubensblässe“. Mit seinem Arm, der den Lesetakt angibt, bringt er die Wortschöpfungswelle in Gang, durch seine Stimme die Laute zum Rauschen.
Es geht um Luther, von dem Zaimoglus nächstes Buch handelt, und um das, was zwischen „Es werde“ und „Es ende“ liegt: das Leben und die Sprache.
Und es geht um den Protagonisten Herrn Z., den einmal nach einer Lesung ein Zuhörer anspricht. Ein eigentümlicher Zeitgenosse, der ihn, den Schriftsteller, eine Weile verfolgt und schließlich Selbstmord begeht. Seine nachgelassenen 118 Gedichte soll Herr Z. beurteilen. Dazu fordert ihn im 118. Gedicht die Mutter des Toten auf: „Los jetzt!“ Leider taugen die Reime nichts. Nach der Ablehnung hinterlässt die Mutter einen Zettel in Z.s Briefkasten: „Sie sind ein hartherziges Schwein!“ Herr Z., der auch im Ton frappierende Ähnlichkeit mit Feridun Zaimoglu hat, findet: „Es tummeln sich viele Kranke im Kulturbetrieb.“
Schmuck, um sich zu wappnen
Das Nebeneinander von Derbem, Skurrilem und Zartem funktioniert, weil Zaimoglus Sprache immer poetisch ist. Der letzte Satz seines Vortrags lautete: „Tau schmilzt, Tag vergeht. Ich komme mir abhanden. Ich lebe in der Schrift.“ Er beschwere sich mit Ringen, Spangen und Ketten, damit er nicht leichter als Luft werde, hatte Zaimoglu vor wenigen Tagen in einem Interview auf die Frage nach der Bedeutung seines auffälligen Silberschmucks gesagt. Gut, dass Zaimoglu auch diesmal schwer beringt und bereift erschienen ist, so kann er auf dem Boden und bei seinen Zuhörern bleiben.
Am Ende der Lesung stehen die Geschwister vor dem Seminarraum und rauchen. Belhe Zaimoglu zeigt auf die Birnen, sie möchte, dass sie mit ihrem Bruder und der Obsttüte fotografiert wird: „Das Bild schicke ich unserer Mutter. Als Beweis für die Vitamine.“