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„Beglückt und beseelt“

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist mit dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet und auf die Heiner-Müller-Gastprofessur an der Freien Universität berufen worden

19.02.2016

Feridun Zaimoglu ist mit dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet worden. Im Sommersemester übernimmt er die daran geknüpfte Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin.

Feridun Zaimoglu ist mit dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet worden. Im Sommersemester übernimmt er die daran geknüpfte Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Stephan Töpper

Der Preisträger (Mitte) mit Prof. Peter-André Alt (l., Präsident der Freien Universität), Michael Müller (2.v.l., Regierender Bürgermeister), Laudatorin Dr. Wiebke Porombka und Prof. Dr. Manfred Erhardt (r., Stiftung Preußische Seehandlung).

Der Preisträger (Mitte) mit Prof. Peter-André Alt (l., Präsident der Freien Universität), Michael Müller (2.v.l., Regierender Bürgermeister), Laudatorin Dr. Wiebke Porombka und Prof. Dr. Manfred Erhardt (r., Stiftung Preußische Seehandlung).
Bildquelle: Stephan Töpper

„Ich bin beglückt, ich bin beseelt“, sagte Feridun Zaimoglu voller Emphase nach der Ehrung mit dem Berliner Literaturpreis am Mittwochabend im Berliner Rathaus. Ein bisschen schüchtern werde er allerdings, sobald es um Danksagungen gehe. Oft finde er erst später, schon im Bett liegend, die richtigen Worte. Ein überraschendes Bekenntnis für einen Autor, der an diesem Abend für sein „sprachgewaltiges erzählerisches und dramatisches Werk“ geehrt wurde. Und eines, das er sogleich zu entkräften wusste – denn diesmal kamen die passenden Sätze im richtigen Moment und fügten sich zu einem großen, schönen Dank.

Den Preis nahm der 1964 im anatolischen Bolu geborene Schriftsteller, der als Kleinkind mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen war und in München, Bonn und Berlin aufwuchs, aus der Hand des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller entgegen. Dieser würdigte Zaimoglus Beitrag zur deutschsprachigen Literatur: „Sein Leben und sein Werk spiegeln zentrale Themen unserer Stadt wider.“

Vom Fremdsein und In-der-Fremde-Sein, von den Zuschreibungen und Etiketten, die die Gesellschaft Außenseitern gern anheftet, handelt auch Zaimoglus jüngstes Buch. „Siebentürmeviertel“ – 2015 erschienen und für seine kräftige Sprache und märchenhaften Bilder gefeiert – führt in das Istanbul der späten 1930er Jahre. Die west-östliche Familiensaga erzählt die Geschichte von Wolf, einem mit seinem Vater aus Nazi-Deutschland in die Türkei geflohenen Jungen. Wolf muss sich im Siebentürmeviertel, in dem verschiedene Ethnien und Religionen nebeneinander leben, als Fremdling behaupten.

Lebendiger Vortrag im Sprechgesang

Feridun Zaimoglus Schreiben sei „eine konsequente Arbeit an der Irritation von Ordnung“, sagte Wiebke Porombka. Die Kritikerin war als Laudatorin kurzfristig für den erkrankten Journalisten Jens Jessen eingesprungen – was sie sich, wie sie einräumte, nur bei wenigen Schriftstellern vorstellen könne: „Mir ist klar, dass ich mich damit auf sehr dünnes Eis begebe.“ Bei Feridun Zaimoglu, den sie als Autor sehr schätze, sei das aber keine Frage gewesen. Porombka würdigte Zaimoglus radikales Schreiben. Der Schriftsteller verwandele sich seinen Figuren an, nicht nur sprachlich: Als er den Roman „Isabel“ geschrieben – oder vielmehr „sich abgehungert“ – habe, sei Zaimoglu ebenso abgemagert wie die Protagonistin seines Buches.

Auch beim Vorlesen an diesem Abend aus „Siebentürmeviertel“ nahm der Schriftsteller gewissermaßen eine andere Gestalt an: Seine Hände begleiteten sein Sprechen, gaben den Takt für die Wörter und Sätze vor, die durch die Betonung und den Klang seiner Stimme in einen rhythmischen Sprechgesang mündeten.

Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität

Der mit 30.000 Euro dotierte Berliner Literaturpreis wird von der Stiftung Preußische Seehandlung seit 2005 verliehen. Die Auszeichnung ist mit der Berufung auf die Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin verbunden. Dahlem ist Feridun Zaimoglu im Übrigen nicht unbekannt: Bereits 2004 war er Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität und hielt die Vorlesungs- und Gesprächsreihe „Literature to go“, bei der er Gesprächspartner nicht nur interviewte, sondern mit ihnen jeweils aus eigenen und fremden Texten las.

Zaimoglu wird im Sommersemester ein Werkstattseminar anbieten. Schon jetzt hätten sich dafür viele Studierende aus verschiedenen Fächern beworben, die an schriftstellerischer Arbeit interessiert seien und eigene Texte mit dem Autor diskutieren wollten, sagte Universitätspräsident Peter-André Alt, der auch der Literaturpreis-Jury angehört. Die Begegnung zwischen literarischer Praxis und Wissenschaft liege der Hochschule am Herzen. Seit ihrer Gründung 1948 stehe die Freie Universität für eine kritische und engagierte Zeitgenossenschaft, sagte Alt. Er versicherte dem Schriftsteller: „Bei uns werden Sie ein anregendes und herausforderndes Umfeld finden.“

Dafür, sich Zaimoglus Sprachwelt zu öffnen, plädierte auch Wiebke Porombka in ihrer Lobrede. Sie riet den Zuhörern, bevor der Schriftsteller zum Lesen ansetzte: „Halten Sie sich fest! Oder nein: Halten Sie sich nicht fest: Nehmen Sie die Zumutungen an.“

Weitere Informationen

Berliner Literaturpreis und Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik

Ausgezeichnet werden Autorinnen und Autoren, die mit ihrem literarischen Werk in den Gattungen Erzählende und Dramatische Literatur sowie Lyrik einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geleistet haben. Die Professur bietet den Preisträgern jeweils im Sommersemester ein Forum für die Textarbeit mit Studierenden der Hochschulen in Berlin und Brandenburg. Bisherige Preisträger und Dozenten waren Herta Müller, Durs Grünbein, Ilija Trojanow, Ulrich Peltzer, Dea Loher, Sibylle Lewitscharoff, Thomas Lehr, Rainald Goetz, Lukas Bärfuss, Hans Joachim Schädlich und Olga Martynova. Der Jury des Berliner Literaturpreises 2016 gehören Peter-André Alt, Sonja Anders, Jens Bisky, Ina Hartwig und Thomas Wohlfahrt an.

Antrittsvorlesung Feridun Zaimoglu: „Tau und Tag“

Zeit und Ort

  • Dienstag, 17. Mai 2016, 18 Uhr
  • Freie Universität Berlin, Seminarzentrum L 115, Otto-von-Simson-Str. 26, 14195 Berlin-Dahlem (U-Bhf. Thielplatz, U 3)