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Seelenverwandt in der Kunst

Eröffnung: 20. November / Wissenschaftler und Studierende der Kunstgeschichte haben eine Ausstellung im Kupferstichkabinett zu Albrecht Dürer und Willam Kentridge mitkuratiert

18.11.2015

Nähe über 500 Jahre hinweg: Albrecht Dürers Kupferstich Herkules am Scheidewege, ca. 1498, und William Kentridges Linolschnitt Walking Man aus dem Jahr 2000.

Nähe über 500 Jahre hinweg: Albrecht Dürers Kupferstich Herkules am Scheidewege, ca. 1498, und William Kentridges Linolschnitt Walking Man aus dem Jahr 2000.
Bildquelle: bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Volker-H. Schneider; William Kentridge

Albrecht Dürer: Das Rhinozeros, 1515. Holzschnitt

Albrecht Dürer: Das Rhinozeros, 1515. Holzschnitt
Bildquelle: bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

William Kentridge: Blatt aus: Ubu Tells the Truth, 1996/97. Radierung

William Kentridge: Blatt aus: Ubu Tells the Truth, 1996/97. Radierung
Bildquelle: William Kentridge

Ein halbes Jahrtausend liegt zwischen Albrecht Dürer und William Kentridge. Wären die beiden bildenden Künstler Zeitgenossen, hätten sie sich wahrscheinlich viel zu sagen. Das Kupferstichkabinett der Berliner Gemäldegalerie bringt jetzt den Meister der Renaissance und den Gegenwartskünstler aus Südafrika unter dem Titel „Double Vision“ in einen dynamischen Dialog. Konzept und Umsetzung der 120 Werke umfassenden Ausstellung haben Professor Klaus Krüger und Elke Anna Werner, promovierte Kunsthistorikerin, von der Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik an der Freien Universität mit einem studentischen Team gemeinsam mit Andreas Schalhorn, promovierter Kunsthistoriker und Kurator für zeitgenössische Kunst am Berliner Kupferstichkabinett, entwickelt. Campus.leben im Gespräch mit Elke Anna Werner und Klaus Krüger.

William Kentridge ist dem internationalen Kunstpublikum in den neunziger Jahren mit Animationsfilmen zu politischen und sozialen Themen bekannt geworden. Was verbindet den prominenten Zeichner aus Südafrika und documenta-Teilnehmer mit dem Renaissance-Genie aus Nürnberg?

Elke Anna Werner: Beide Künstler haben sich mit avancierten künstlerisch-technischen Medien ihrer Zeit auseinandergesetzt, bei beiden findet sich eine Vorliebe für das schwarzweiße Bild. Darüber hinaus lebten beide in Zeiten tiefgreifender Umbrüche, gesellschaftlich, politisch und religiös. Dürer erlebte um 1500 den Beginn der Moderne, die Reformation, das Aufkommen neuer Drucktechniken. Kentridge steht am Ende der Moderne. Er blickt von Johannesburg aus auf die internationalen Zentren der vorherrschenden westlich geprägten Kunst. In der Gegenüberstellung von Bildern beider Künstler eröffnen sich uns neue Blicke.

Ein wichtiges Thema für Kentridge waren die Prozesse im Kontext der sogenannten „Truth and Reconciliation Commission“ in seiner Heimat Südafrika, in der es um die gesellschaftliche und seelische Aufarbeitung des Apartheid-Regimes ging. Was zeigt uns Dürer an Abgründen seiner Zeit?

Elke Anna Werner: Bei Dürer finden wir natürlich noch keine psychologisierende Sicht, aber auch er reflektiert Veränderungen der politischen Ordnung und gesellschaftlicher Wertmaßstäbe in seiner Zeit. Die „Ehrenpforte“ zum Beispiel, der größte Holzschnitt aus der Dürer-Werkstatt, sollte die Funktion eines Herrscherlobes erfüllen. Auftraggeber war Kaiser Maximilian I. Inhalt und Form des vor genau 500 Jahren entstandenen Bildes stehen durch die Vielgliedrigkeit und Überdeterminiertheit des Motivs in einer ambivalenten Spannung. Das Reich zu Zeiten Kaiser Maximilians war alles andere als stabil.

Klaus Krüger: Der „Ehrenpforte“ stellen wir Kentridges Grafik „Remembering The Treason Trial“ von 2013 gegenüber. Dieses Bild ist ähnlich komplex strukturiert. Den weltberühmten „Melencolia I“-Holzschnitt Dürers hingegen konfrontieren wir in einer Art Denkraum mit Kentridges „Parcours d'Atelier“. In beiden Bildern geht es um Denkbewegungen, aber auch um die Stagnation künstlerischen Schaffens, um weiße Flecken.

Sie stehen mit Kentridge in direktem Austausch und verdanken ihm kostbare Leihgaben direkt aus seinem Johannesburger Studio. Was hält Kentridge eigentlich von Dürer?

Elke Anna Werner: Kentridge hat uns verraten, dass er ausgerechnet eine Reproduktion der „Ehrenpforte“ als Teenager in seinem Zimmer hängen hatte. Es war ein Bild zum Zusammenkleben in einer Edition von 1970.

Ihre Kooperation mit dem Kupferstichkabinett steht im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Transfer-Projektes „Evidenz ausstellen“. Was verstehen Sie unter Evidenz und was sollte man lesen, wenn man das Thema vertiefen möchte?

Elke Anna Werner: Evidenz ist in unseren Augen etwas Bewegliches. Es stellt sich in der konkreten Betrachtung ein, vor dem Hintergrund einer spezifischen Erfahrung und eines spezifischen Wissens. Wichtige theoretische Grundlagen sind für uns die Schriften und der Bilderatlas von Aby Warburg oder auch Überlegungen zur „Präsenz“ von Hans Ulrich Gumbrecht.

Wie binden Sie Studierende in den komplexen Prozess des Entstehens einer Museumsausstellung ein, bei der Leihgaben angefordert, Versicherungssummen berechnet und unzählige andere Dinge erledigt werden müssen?

Klaus Krüger: Ein so unmittelbarer Praxisbezug wie in dem Forschungsprojekt „Evidenz ausstellen“ ist während des Studiums bislang eine Seltenheit. Wir verstehen die Ausstellung auch als Denkraum und Labor für unsere Arbeit als Kunst- und Bildwissenschaftler. Studierende sind tatsächlich in den gesamten Prozess von der Ausstellungsplanung über die didaktische Vermittlung bis zur Nachbereitung eingebunden und machen umfangreiche Erfahrungen. Deswegen freuen wir uns, dass die DFG dieses Transfer-Projekt bewilligt hat, und dass auch die Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz, die sozusagen die Basis für das Transfer-Projekt darstellt, gerade sehr positiv evaluiert wurde.

Die Fragen stellte Johanna Liebhart

Weitere Informationen

„Double Vision. Albrecht Dürer & William Kentridge“

Zeit und Ort

  • 20. November 2015 bis 6. März 2016
  • Kupferstichkabinett, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin (U- und S-Bhf. Potsdamer Platz)
  • Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10 bis 18 Uhr, donnerstags 10 bis 20 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr.

Vom 10. September 2016 an wird die Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe gezeigt.