„Die Wiedervereinigung ist wie eine Orchidee“
Wie bereitet man sich auf eine Wiedervereinigung vor? Studierende aus Deutschland und Südkorea diskutierten über die Chancen für ein vereintes Korea und die Erfahrungen aus Deutschland
19.08.2015
„Die Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel ist wie eine Orchidee, die behutsam und mit viel Aufmerksamkeit gepflegt werden muss.“ So umschrieb eine Studentin der Seoul National University die Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea beim „Forum Koreanischer und Deutscher Studenten zur Wiedervereinigung auf der Koreanischen Halbinsel“ Ende Juli. Die Veranstaltung entstand auf Initiative von Wissenschaftlern des Instituts für Koreastudien an der Freien Universität und der Seoul Nationaluniversität. Der südkoreanische Außenminister Byung-se Yun und Peter Lange, Kanzler der Freien Universität, eröffneten das Forum.
Die Unterschiede zwischen den geteilten asiatischen Staaten sind enorm: Die Republik Korea im Süden ist ein modernes, entwickeltes Industrieland mit westlich orientierten Werten. Die Demokratische Volksrepublik Korea im Norden hingegen abgeschottet, verarmt, von Hungersnöten geplagt und regiert vom despotischen Kim-Clan. Byung-se Yun, Außenminister der Republik Korea, und die südkoreanische Regierung verfolgen dennoch ein hehres Ziel: Die Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel. Ein vereintes Korea könne als „geopolitischer Segen“ für Frieden und Stabilität in der Region sorgen, so der Außenminister.
Historische Aufgabe der Regierung
„Es ist die historische Aufgabe der Regierung, 70 Jahre nach der Teilung Koreas die Lage wieder zu normalisieren, das heißt zurück zu einem gemeinsamen Korea zu kommen“, sagte Byung-se Yun bei seiner Rede im Allianz-Forum am Brandenburger Tor. Hier habe er 1991 den „Geist der Einheit“ gespürt, berichtet er. Beim Forum ging es auch um die Frage, was Korea aus der deutschen Geschichte lernen könne.
Die Gesellschaft bewusst gestalten
„Die Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung sind keine Blaupause. Sie können nur eine Hilfestellung sein“, sagte Peter Lange, Kanzler der Freien Universität in seinem Grußwort. Es gäbe Parallelen, aber sicher auch große Unterschiede zwischen beiden Regionen. Berlin als Stadt und die Freie Universität als Hochschule seien ideale Orte, um zu erleben, wie sich Gesellschaft in Umbrüchen bewusst gestaltet.
Welche Vorbereitungen Korea für eine mögliche Wiedervereinigung treffen müsse, war schließlich Gegenstand eines Vortags von Sangtu Ko, Professor für Regionalwissenschaften in Südkorea. Dazu zählt der am Osteuropa-Institut der Freien Universität promovierte Politikwissenschaftler die Öffnung Nordkoreas und die Umsetzung von Reformen, insbesondere mit Blick auf das Atomprogramm. Außerdem seien eine vertrauensbildende, aktive Rolle Südkoreas, um die Beziehungen und den Dialog zwischen den Staaten zu stabilisieren und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, allen voran China und den USA, wichtig.
Bilanz von 25 Jahren deutscher Einheit
Everhard Holtmann, Forschungsdirektor des Zentrums für Sozialforschung in Halle, zog in seinem Vortrag eine Bilanz von 25 Jahren deutscher Wiedervereinigung. „Vier von fünf Deutschen, in Ost wie in West, sagen heute, dass die Wiedervereinigung ihnen mehr Vor- als Nachteile gebracht hat“, sagte Holtmann. Dabei sei ein vereintes Deutschland nicht immer in den Köpfen präsent gewesen, sagte der Politikwissenschaftler: „In den 1960er und 70er Jahren hatte sich ein großer Teil der Westdeutschen an die Teilung gewöhnt.“
Und wie denkt die junge Generation heute über die Wiedervereinigung in Deutschland und auf der koreanischen Halbinsel? Je acht Studierend der Freien Universität und der Seoul Universität diskutierten ihre Perspektiven und Hoffnungen. Juniorprofessor Hannes Mosler von der Graduate School of East Asian Studies der Freien Universität moderierte die Veranstaltung und wechselte dabei bei Bedarf souverän vom Deutschen ins Koreanische.
Koreanische Wiedervereinigungsmuffel?
Ob es stimme, dass die jungen Südkoreaner „Wiedervereinigungsmuffel“ sein, fragte Mosler die koreanischen Studenten. Das sei das Ergebnis jüngerer Studien aus Südkorea. Und tatsächlich: Ähnlich wie im Westdeutschland der 1960er Jahre habe sie sich an die Teilung gewöhnt, sagte eine südkoreanische Podiumsteilnehmerin. Andere widersprachen: Allein wegen der Menschenrechtsverletzungen könne man die Situation in Nordkorea nicht einfach hinnehmen. „Auch wenn wir uns feindlich gegenüberstehen, müssen wir Dialog- und Kooperationsbereitschaft zeigen“, sagte ein Student.
Deutlich wurde, dass ein Austausch unter der jungen Bevölkerung beider koreanischen Staaten wichtig, die Möglichkeit, sich besser kennenzulernen aber stark eingeschränkt ist. „Man weiß wenig über den Alltag und die Situation in Nordkorea“, sagte eine Studentin. Die Geschichten von geflüchteten Nordkoreanern oder die wenigen Filmaufnahmen seien oft alles, was man höre – und wie vertrauensvoll diese Quellen seien, könne niemand sagen.