Von Versfüßen und Tanzschritten
Das Projekt „Step-Text“ bringt zeitgenössischen Tanz und Literatur zusammen
22.04.2015
Wie ein Zündholz in Flammen, dessen Feuer zu Boden geworfen und mit „kleinen Füßen“ ausgetreten wird – so beschreibt Lyriker Rainer Maria Rilke die kraftvoll-rhythmischen Bewegungen einer Flamencotänzerin. Für Gabriele Brandstetter vom Institut für Theaterwissenschaften ist Rilkes Gedicht „Die spanische Tänzerin“ ein gelungenes Beispiel für die lyrische Beschreibung von Tanz. Die Begegnung von Tanz und Literatur ist Thema des Projekts „Step-Text“, das am Freitag, 24. April zu einem Symposium einlädt.
„Was dem Schriftsteller das Wort, ist dem Tänzer der Körper“, erklärt Gabriele Brandstetter: „Mit beiden Materialien lässt sich auf ganz unterschiedliche und spielerische Weise umgehen. Man kann Konventionen brechen und eigene Rhythmen schaffen.“ Die Professorin für Theater- und Tanzwissenschaft beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Schnittstelle zwischen Literatur und Tanz. Dabei hat sie festgestellt, dass beide Genres in zeitgenössischen Werken eher selten zusammenkommen – trotz einer langen gemeinsamen Tradition. Dabei habe sich der Tanz über Jahrhunderte von der Literatur inspirieren lassen, insbesondere von Märchen und Mythen. „Bis in die 1970er Jahre wurde im deutschen Tanztheater mit narrativen Strukturen gearbeitet. Im Tanz wurden kleine Geschichten erzählt“, sagt Brandstetter. Heute hingegen scheine die Beziehung von Choreographen und Literaten eingeschlafen zu sein.
Autoren und Choreographen im Dialog
Wie es um das Verhältnis von Tanz und Literatur gegenwärtig steht und was passiert, wenn Choreographen, Tänzer und Schriftsteller zusammenarbeiten, ist Gegenstand des Projekts „Step-Text: Zeitgenössischer Tanz und Literatur im Dialog“, einer Kooperation des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) und des Zentrums für Bewegungsforschung (ZfB) an der Freien Universität, das Gabriele Brandstetter gegründet hat. Das Projekt möchte den Austausch von zeitgenössischen Autoren und Choreographen fördern. 19 Künstler wirken an dem Projekt mit, unter anderen der Hamburger Autor Thomas Meinecke, die Tänzerin Anne Juren sowie Lucia Ruprecht, Dozentin für Literatur, Film und Performance an der Cambridge University. Die Ergebnisse der Zusammenarbeit werden am 18. und 19. Juli auf dem Gelände des Literarischen Colloquiums Berlin vorgestellt.
Begegnungskonferenz der Künste
Bereits am Freitag, 24. April findet am LCB ein öffentliches Symposium zum Thema statt. Neben theoretischen und historischen Vorträgen zu Tanz und Literatur gibt es für Besucher auch die Möglichkeit, mit den teilnehmenden Künstlern ins Gespräch zu kommen. „Das Symposium soll keine reine Fachkonferenz sein, sondern Teil einer ‚Begegnungskonferenz der Künste’“, sagt Brandstetter. Der Name des Projekts „Step-Text“ hebe diese Verbindung hervor: Viele „Steps“, also Schritte, ergeben beim Tanz ein Schrittmuster. Dieses Muster wird durch den Körper des Tänzers rhythmisiert. Auch in der Dichtung gibt es diese „Steps“, in Form von Versfüßen, wie Brandstetter erklärt: „Aus der Kombination von Versfüßen ergibt sich ebenfalls ein Muster, das dem Gedicht – etwa Rilkes ‚Tänzerin‘ einen eigenen Rhythmus gibt.“
Weitere Informationen
- Symposium: Freitag, 24. April 2015, 10.00 bis 18.00 Uhr
- Ausstellungsparcours: Samstag, 18. Juli, und Sonntag, 19. Juli 2015
- Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin, S-Bahnhof Wannsee (S1, S7)
- Der Eintritt ist frei