Spuren der Gewalt
22. April, 18.30 Uhr: Führung im Beisein von Familienangehörigen ehemaliger Häftlinge durch die von Masterstudierenden kuratierte Ausstellung im SA-Gefängnis Papestraße
22.04.2015
Das Backsteingebäude auf dem Gewerbehof nahe des Bahnhofs Berlin-Südkreuz wirkt zunächst unscheinbar. Und doch ist die ursprünglich für die Preußischen Eisenbahnregimenter erbaute Kaserne kein Haus wie jedes andere: Von März bis Dezember 1933 befand sich im Keller ein frühes Konzentrationslager unter Führung der SA. Hier wurden politisch Andersdenkende, Juden und weitere vom NS-Regime verfolgte Gruppen inhaftiert, verhört und gefoltert. Erst 1992 wurde das SA-Gefängnis Papestraße wiederentdeckt, seit 2011 ist es Gedenkort. 15 Masterstudierende des Studiengangs „Public History“ an der Freien Universität haben dort gemeinsam mit der promovierten Kuratorin Irene von Götz die Ausstellung „Spuren der Gewalt“ geschaffen.
„Wir wollten den Keller erfahrbar gestalten“, erklärt von Götz. „Beim Eintreten in die einzelnen Räume sieht man zunächst nicht, dass sich dort Ausstellungsschilder befinden.“ Das Kellergemäuer solle für sich sprechen.
Rote Klebebandstreifen auf dem Steinboden geben die Richtung zur Sonderausstellung vor. Die mittels selbst gebastelter Leuchtkästen und digitaler Video-Bilderrahmen dokumentierten Familiengeschichten sind so beeindruckend wie unterschiedlich – doch die generationsübergreifende Gewaltverarbeitung zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. „Wir wollen aufzeigen, dass die hier stattgefundenen Gewalterfahrungen über mehrere Generationen gewirkt haben und immer noch wirken“, sagen die beiden studentischen Kuratoren Anina Falasca und Malte Lührs.
Hafterfahrungen und ihr Einfluss auf sechs Familiengeschichten
Da ist beispielsweise Hans Faust, der sich schon früh in der KPD gegen den immer stärker werdenden Nationalsozialismus stemmt und im Juli 1933 von der SA in die Backsteinkeller des früheren Konzentrationslagers verschleppt und dort schwer misshandelt wird. Nach dem Krieg und mehrmaliger Haft im KZ lernt Faust seine Frau Gisela kennen; während er ihr nichts von seinen persönlichen Hafterfahrungen erzählt, schreibt er als Journalist intensiv über die NS-Zeit. Gisela Faust, heute 92 Jahre alt, beschäftigt sich bis heute mit der Geschichte ihres Mannes. Bei der Ausstellungseröffnung im März war sie als Zeitzeugin eingeladen.
Eindrucksvoll ist auch die Geschichte der Widerstandskämpferin Minna Fritsch, die als Kassiererin der KPD Einblick in die Mitgliederkartei der Partei hatte. Sie wird zweimal in der Papestraße inhaftiert und wurde dort gefoltert, Namen gibt sie keine preis. Fritsch bleibt politisch aktiv, flieht nach Prag und London – zu ihrer Familie kann sie aufgrund ihrer Tätigkeit keinen Kontakt aufnehmen.
Einen tiefen Einschnitt durch die Haft im SA-Gefängnis erfahren auch Fritz Fränkel und seine Familie: Sie müssen Deutschland verlassen, nachdem der jüdische KPD-Mitgründer aus der Papestraße freikommt. Fränkels 82-jähriger Sohn, der seit der Flucht seiner Eltern in Großbritannien lebt und den Masterstudent Malte Lührs via Skype interviewte, sieht sich bis heute von seinem 1944 in Mexiko verstorbenen Vater beeinflusst.
„Für uns war es wichtig, die Verbindung in die Gegenwart herzustellen“, erklärt die Studentin Anina Falasca. Dass Gewalterfahrungen weit über ein halbes Jahrhundert wirken und bis heute indirekte Opfer schaffen, zeigt die Sonderausstellung auf eindrückliche Art und Weise. Anhand von sechs Beispielen wird verdeutlicht, wie der Nazi-Terror sich in Familiengeschichten geschrieben und Menschen über Generationen geprägt hat. Die Masterstudenten recherchierten in Akten, die Irene von Götz schon für die Nachforschungen zur Eröffnung des Gedenkorts Papestraße zusammengestellt hatte, mit Angehörigen der Opfer nahmen sie Kontakt auf. Malte Lührs erinnert sich: „Zeitzeugen zu begegnen und mit ihnen persönlich über ihre Erfahrungen zu sprechen, das war beeindruckend.“
Praxisorientiert Lernen
Die Studierenden konzipierten die Ausstellung selbstständig. Eingeteilt in einzelne Gruppen, die sich mit der inhaltlichen Thematik, der Ausstellungsgestaltung und Grafik, der Organisation und Planung sowie der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigten, brauchte es gerade einmal vier Monate von der Idee bis zu ihrer Umsetzung. Zusammen mit Patric Sperlich, Ausstellungsgestalter der Dauerausstellung, stand Kuratorin Götz den Studierenden als Projektleiterin zur Seite. „Es war toll zu sehen, wie sich eine Eigendynamik entwickelte und die Gruppe das Praxisseminar als Chance wahrnahm, etwas Außergewöhnliches zu schaffen.“
Anina Falasca und Malte Lührs hat es besonders beeindruckt, mit dem Medium Museum Geschichte erzählen, Verantwortung übernehmen und das Schicksal von Menschen rekonstruieren zu können. „Für uns war die Arbeit an der Ausstellung etwas ganz Besonderes“, sagen beide. „So intensiv haben wir noch nie gelernt.“ Sie hoffen auf ähnlich praxisbetonte Aufgaben im weiteren Verlauf ihres Studiums. Mit Spuren der Gewalt ist ihnen eine interessante Dokumentation gelungen, die zeigt, wie tief die Wunden sind, die durch Terror geschlagen werden und wie lange sie nachwirken. Das kalte Kellergewölbe hat viel zu erzählen.
Weitere Informationen
Die Sonderausstellung Spuren der Gewalt - Hafterfahrungen und ihr Einfluss auf sechs Familiengeschichten läuft noch bis zum 13. September. Am Mittwoch, 22. April 2015, finden um 18.30 Uhr eine Sonderführung und ein anschließendes Gespräch mit den Studenten, der Zeitzeugin Gisela Faust und weiteren Familienangehörigen ehemaliger Häftlinge statt.
Weitere Informationen: http://www.gedenkort-papestrasse.de/fuehrungen-und-veranstaltungen.html