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„Tiefseetauchen im stürmischen Meer der Sprache“

Die Übersetzerin Susanne Lange ist August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität

05.11.2010

Susanne Lange übersetzte neben anderen Werke von Juan Villoro, Federico García Lorca, Luis Cernuda und Octavio Paz ins Deutsche

Susanne Lange übersetzte neben anderen Werke von Juan Villoro, Federico García Lorca, Luis Cernuda und Octavio Paz ins Deutsche
Bildquelle: Nicole Körkel

Gastprofessorin Susanne Lange, Prof. Dr. Joachim Küpper, Dekan des FB Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität (links), Thomas Brovot, Vorsitzender des Deutschen Übersetzerfonds (rechts)

Gastprofessorin Susanne Lange, Prof. Dr. Joachim Küpper, Dekan des FB Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität (links), Thomas Brovot, Vorsitzender des Deutschen Übersetzerfonds (rechts)
Bildquelle: Nicole Körkel

„Der Stil macht die Literatur aus“, sagt Susanne Lange, Übersetzerin und August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität. Wie etwas erzählt wird, sei entscheidend – nicht so sehr, was. Ginge es nur um das Was, wäre schließlich auch Homers Odyssee nicht viel mehr als „die Geschichte eines Mannes auf dem Weg nach Hause“.

Im Hungaricum an der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte hielt Susanne Lange jetzt ihre Antrittsvorlesung. Das Thema: „Wie man ein Eiland guberniert. Stilfragen an einen Ritter". Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als Susanne Lange ihren „Stilberater“ und „Kollegen“ vorstellte: „Don Quijote“, die Hauptfigur aus Miguel de Cervantes‘ Roman. Zwischen 2002 und 2008 hatte die Übersetzerin den Klassiker der spanischen Literatur aus dem 17. Jahrhundert neu ins Deutsche übertragen und hierfür von der Literaturkritik höchstes Lob erhalten.

Übersetzen heißt „den Dingen einen Namen geben“

Don Quijote und sie als Übersetzerin seien gewissermaßen verwandte Figuren, denn übersetzen bedeute „den Dingen einen Namen geben“, sagte Lange. Und Don Quijote – alias der kleine Landadelige Alonso Quijano – übersetzt sich selbst, indem er sich den Namen Don Quijote gibt. Auch seine Umgebung übersetzt er: Aus einem Bauern erschafft er seinen Knappen Sancho Panza und aus seinem alten dürren – namenlosen – Pferd wird Rocinante – eine Zusammensetzung aus spanisch „rocin“, der Gaul, und „ante“, vorher, vorhergehend.

„Nicht die Federn spreizen!“

Beim Übersetzen gehe es darum, „den richtigen Punkt zu finden zwischen dem eigenen und dem fremden Temperament“, sagte Susanne Lange. Darum, nie mehr sein zu wollen als das Original erlaubt. Die 1964 in Berlin geborene Komparatistin, Germanistin und Theaterwissenschaftlerin beschreibt ihre Arbeit als eine Mischung aus „Tiefseetauchen“ und „Sprachsurfen“. Es gehe darum, „auch das kleinste Kräuseln eines Satzes nachzufassen“ und in die andere Sprache zu übertragen. Ihre allererste Arbeit – die Übersetzung von Fernando del Pasos „Palinurus von Mexiko“ – war eine Eigeninitiative. Ohne Auftrag und ohne Verlag. So etwas mache man eigentlich nicht, sagt Lange. Aber die Arbeit an dem Mammutwerk habe sie zu sehr gereizt, vor allem, weil „jedes Kapitel in einem anderen Stil geschrieben war“. Die Übersetzung, die 1992 zum Buchmessenschwerpunkt Mexiko erschien, war der Auslöser für ihre Laufbahn als literarische Übersetzerin.

Anleitung zum Übersetzen

An der Übertragung des Don Quijote hat sie sechs Jahre gesessen, mehr nachts als tags. Oder wie Susanne Lange es ausdrückt: „Sechs Jahre bin ich an der Seite des Knappen geritten.“ Und sie gesteht, dass die Stimmen der Romanfiguren, die sie als Übersetzerin so lange begleitet hat, noch immer nicht verstummt seien. Glücklicherweise. Denn so gelang ihr in dem Vortrag der Kunstgriff, die Ratschläge, die Don Quijote seinem Knappen Sancho Panza im Roman über das „Gubernieren eines Eilands“ mitgibt – das Regieren einer Insel – in eine feinsinnige Anleitung zum Übersetzen zu übertragen. „Milde sein“ – auch, wenn man den Autor an den Ohren ziehen möchte, heißt es dann etwa. „Gott fürchten“, also: die Sprache fürchten und achten. Oder: „sich selbst erkennen“ – nicht die Federn zu spreizen, wo es der Autor nicht tut.

Einen neuen Blick auf die Literatur eröffnen

Als Gastprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität wurde Susanne Lange von Dekan Professor Joachim Küpper begrüßt. Sie hält während des laufenden Semesters das Seminar „Anatomie des Satzes und Alchemie der Wörter: die Kunst des Stils in der Übersetzung“ – und lehrt ihre Studierenden das Übersetzen? „Ich weiß gar nicht, ob man Übersetzen lehren kann“, sagt Lange. „Was ich versuche, ist einen anderen Blick auf die Literatur zu eröffnen.“ Hierfür vergleicht sie mit den Studierenden der Romanistik und Komparatistik bestehende Übersetzungen und lässt eigene anfertigen. Denn Übersetzen eröffne eine neue Perspektive auf die eigene Sprache – die Muttersprache und die je eigene Art, sich auszudrücken.

Über die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung

Die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung ist die erste Professur für Poetik der Übersetzung im deutschsprachigen Raum. Sie wird jährlich im Wintersemester am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin eingerichtet und wird durch den Deutschen Übersetzerfonds aus Mitteln der Kulturstiftung des Bundes finanziert. Namenspatron der Professur ist August Wilhelm von Schlegel: Er verband philologische Forschung, eigene Dichtung und literarische Übersetzung miteinander.