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Zeigen oder schweigen

Die Kunsthistorikerin Agata Pietrasik dokumentiert im Deutschen Historischen Museum, wie unmittelbar nach Kriegsende erste Ausstellungen über den Holocaust organisiert wurden

27.08.2025

Blick in den Pei-Bau des DHM Berlin. „Gewalt ausstellen. Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945 –1948“ ist noch bis 23. November 2025 zu sehen.

Blick in den Pei-Bau des DHM Berlin. „Gewalt ausstellen. Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945 –1948“ ist noch bis 23. November 2025 zu sehen.
Bildquelle: Deutsches Historisches Museum, Foto: David von Becker

Die Kunsthistorikerin Agata Pietrasik hat im Deutschen Historischen Museum (DHM) eine Reise zu den Ursprüngen der Aufarbeitung der NS-Verbrechen kuratiert: „Gewalt ausstellen. Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945 –1948“. Es sind Anfänge, die in einer anschließenden Erinnerungspause schnell in Vergessenheit gerieten und hier wieder in den Blick rücken. Die Ausstellung ist bis 23. November 2025 im Pei-Bau des DHM zu sehen.

Dr. Agata Pietrasik, Kunsthistorikerin an der Freien Universität Berlin

Dr. Agata Pietrasik, Kunsthistorikerin an der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Marion Kuka

Oft hört und liest man, es habe lange gedauert, bis die Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten begann: Erst Jahrzehnte nach Kriegsende, nach einer Zeit des (Ver)Schweigens, habe die deutsche Öffentlichkeit sich etwa durch die Auschwitzprozesse der 1960er Jahre mit den Gräueln des Holocaust auseinandergesetzt.

Dabei gab es schon unmittelbar nach Kriegsende eine ganze Serie von Ausstellungen, in Deutschland, aber auch in fast allen anderen europäischen Ländern, die zeigten, dokumentierten, ausstellten, welche Menschheitsverbrechen die Nazis begangen hatten: Die Ausstellungen hießen „Horror Camps“ oder „Hitlers Verbrechen“ und enthielten Fotografien, Zeichnungen aus dem KZ-Alltag, Rekonstruktionen und sogar Gegenstände wie einen Teppich, von Zwangsarbeitern hergestellt.

Wer organisierte die frühen Ausstellungen über den Holocaust? Was zeigten sie?

Agata Pietrasik ist bei Recherchen über die Nachkriegszeit in Europa auf Zeugnisse einer dieser Ausstellungen gestoßen. Die Wissenschaftlerin hat die aktuell im Deutschen Historischen Museum laufende Schau „Gewalt ausstellen. Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945–1948“ kuratiert. Wer waren die Macher*innen dieser ersten Aufarbeitungsversuche? Was trieb sie an? Und warum folgten darauf fast 20 Jahre des Schweigens?

Agata Pietrasik, promovierte Kunsthistorikerin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und „Alfred Landecker Lecturer“ am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität. In ihrer Forschung zu den Ausstellungen über die Nazi-Verbrechen geht es nicht in erster Linie um die deutsche Auseinandersetzung mit dem Holocaust, sondern um Ausstellungen und Präsentationen, die ganz verschiedene Personen in mehreren Ländern organisiert haben.

Pietrasik hat sechs ausgewählt: Schauen in Warschau, London, Paris, Liberec in Tschechien und Bergen-Belsen, initiiert von staatlichen Stellen und öffentlichen Institutionen, aber auch von Zeitzeugen, Holocaust-Überlebenden, Opfern von Nazi-Verbrechen.

Die Ausstellungen verfolgten unterschiedliche Ziele

In Bergen-Belsen zum Beispiel, einem berüchtigten Konzentrationslager in Niedersachsen, realisierten ehemalige KZ-Insassen kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine Schau, um der Öffentlichkeit zu zeigen, was sie erlebt hatten und welche Verbrechen die Nazis verübt hatten. Auch in Polen organisierten Holocaust-Überlebende selbst eine Ausstellung.

In Paris waren es Angehörige der Résistance und bei der am 1. Mai 1945 in Warschau eröffneten Ausstellung Angestellte des Polnischen Nationalmuseums, die die gerade erst vergangene Zeitgeschichte und die Folgen der deutschen Besatzung zum Thema machten.

Die Motive der Ausstellungsmacher seien so vielfältig wie die Schauen selbst, sagt Pietrasik. In Polen etwa sollten sie einem Land, das neue Grenzen hatte und sich gerade völlig neu aufbauen und definieren musste, bei der Selbstvergewisserung helfen. In Frankreich wollte man nach der Besatzungszeit und der Spaltung des Landes in Kollaborateure und Menschen im Widerstand ein gemeinsames Verständnis der jüngsten Geschichte schaffen: zeigen und festhalten, was tatsächlich geschehen war.

Die Ausstellungen dienten als Massenmedium, mit dem Gesellschaften sich direkt nach dem Zweiten Weltkrieg über die Ereignisse und Erfahrungen des Krieges verständigten – sie können auch als Beginn des Prozesses der Geschichtsschreibung über den Holocaust verstanden werden. Sie zeigen Fotografien, Gegenstände, Diagramme, Dokumente und Aussagen von Zeitzeugen.

Interessant sei, sagt Pietrasik, dass dabei beides zu sehen war: der Versuch der sich formierenden Staaten, eine gemeinsame und offizielle Version der Geschichte zu schreiben. Und die Bemühungen von nicht-staatlichen Akteuren, zivilgesellschaftlichen Gruppen oder Einzelnen, die Öffentlichkeit aufzuklären und ihr die monströsen Verbrechen vorzuführen.

Frühe Aufarbeitung in Vergessenheit geraten

Agata Pietrasik sagt, dass es ähnliche Ausstellungen wohl in den meisten europäischen Ländern gegeben habe: Die Kunsthistorikerin hat diese sechs ausgewählt, weil sie besonders bemerkenswert und repräsentativ für das Phänomen dieser Schauen insgesamt waren. Die übrigens zu ihrer Zeit äußerst gut besucht waren und ohne Zweifel großen Einfluss auf das gemeinsame Erinnern hatten.

Wie konnte es aber sein, dass diese Ausstellungen selbst in Vergessenheit gerieten? Pietrasik führt mehrere Gründe an: Zum einen, weil sie nicht von Institutionen wie staatlichen Museen oder Geschichtsinstituten organisiert worden waren, sondern von losen Gruppen oder Zusammenschlüssen, die sich wieder auflösten und deren Archive möglicherweise verlorengingen.

Zum anderen, weil es in den 1950er Jahren – und das keineswegs nur in Deutschland – auch ein Nachlassen der Beschäftigung mit den Naziverbrechen gegeben hatte, ein sich Abwenden von der Erinnerung an den Krieg. Selbst in den kommunistischen Staaten des Ostblocks, wo der Sieg gegen den Hitler-Faschismus Teil der Staatsideologie war, habe man sich auf den Wiederaufbau der Wirtschaft und der Gesellschaft konzentriert und wollte nach vorn schauen.

Weitere Informationen

Die Ausstellung Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-1948 im Deutschen Historischen Museum Berlin (Pei-Bau) läuft noch bis 23. November 2025.