Regime mit Zahnpastalächeln
Die Historikerin Jessica Gienow-Hecht forscht zu „Nation Branding“: Wie Staaten und Nationen sich der Mittel der Werbung bedienen
24.07.2025
Architektonische Imagepflege: Die großen Städte in den Vereinigten Arabischen Emiraten werben mit spektakulären Bauwerken um Touristen.
Bildquelle: Kate Trysh
Gute Werbung beeinflusst uns fast unbewusst: Viele von uns sind auf wundersame Weise überzeugt, dass man in Abu Dhabi ganz hervorragend leben kann. Die Sonne lacht das ganze Jahr, alles ist extrem sauber und luxuriös, jeder Konsumwunsch wird augenblicklich erfüllt, und Einkommensteuer zahlt man auch keine. Da ist dann die Überraschung groß, wenn man dann bei 40 Grad im Gefängnis landet, weil man CBD-Tropfen dabei hat oder beim schwulen Sex erwischt wird.
Oft übersehen wir, dass unser Bild von einem Land wie dem Emirat Abu Dhabi das Ergebnis von „Nation Branding“ ist, also einer konzertierten Anstrengung, die die Wahrnehmung eines Staates oder einer Nation mit den Mitteln der Werbung verändern, verstärken oder verbessern will.
Die Historikerin Jessica Gienow-Hecht, Professorin am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, hat sich eingehend mit der Geschichte des „Nation Branding“ beschäftigt: als historisches Phänomen, als diskursive Strategie, als politischer Akt. Sie hatte zuvor schon viel zu „Cultural Diplomacy“, also internationaler Kulturpolitik oder Diplomatie mit den Mitteln der Kultur, geforscht und sich dann mit dem Einsatz von Mitteln der Werbeindustrie zur Selbstdarstellung von Staaten, Nationen, aber auch Staatengemeinschaften beschäftigt.
Jessica Gienow-Hecht, Professorin für die Geschichte Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut
Bildquelle: Martin Funck
Herzen und Hirne der Menschen gewinnen, Störendes weglassen
„Nation Branding“ sagt sie, ist ein historisches Projekt, das seit dem Zeitalter der Revolutionen Nationalstaaten nicht nur auf der Landkarte, sondern auch in den Herzen und Hirnen der Zuschauer verankern sollte. Heute ist es allgegenwärtig und vollzieht sich oft unbemerkt: eben wie Werbung, die man sehr oft gar nicht mehr wahrnimmt. Was „Nation Branding“ ebenfalls mit kommerzieller Werbung teilt: dass seine Inhalte manchmal ein Eigenleben annehmen, was die Wirkkraft ins Unheimliche verstärkt. Haben nicht wenige Deutsche am Ende sogar selbst daran geglaubt, dass „die Welt zu Gast bei Freunden“ war, wie das Motto der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006 hieß, sodass am Ende sogar ein „Sommermärchen“ daraus wurde?
Wie bei der Werbung gilt aber auch für „Nation Branding“: „Es sollte möglichst nah an der Wahrheit bleiben. Das bedeutet: Störendes wird einfach ausgespart oder weggelassen“, sagt Jessica Gienow-Hecht. Gewiss ist in der Kinder-Schokolade etwas drin, das einmal Milch war. Und gewiss scheint in Abu Dhabi ziemlich oft die Sonne, auch die Shopping Malls, die Sechs-Sterne-Hotels und die fehlende Besteuerung von Einkommen sind Fakten. Die fehlenden Rechte von Gewerkschaften und die Behandlung von Gastarbeitern in den Emiraten wären dann so etwas wie die E-Nummern im Duplo: In der Werbung kommen sie jedenfalls nicht vor.
Imagepflege durch Sport-Großereignisse und spektakuläre Architektur
Jessica Gienow-Hecht sagt, es habe sie vor allem überrascht, auf welche Weise und teilweise mit welchem Erfolg sich autoritäre Staaten schon lange des „Nation Brandings“ bedienen. Das gelte heute für Russland oder China ebenso wie für das faschistische Italien unter Mussolini oder den „Estado Novo“ unter Salazar in Portugal: Bezeichnend ist, wie vollkommen unpolitisch man sich präsentiert. Ganz im Gegensatz zu dem, was wir als politische Propaganda autoritärer Regime kennen, setzt „Nation Branding“ auf Unkontroverses wie schönes Wetter, Kulinarik, aber auch „Ordnung“, „Effizienz“, „Sicherheit“ (im Sinne von niedrigen Kriminalitätsraten, wie es etwa in Polizeistaaten oft der Fall ist) oder „Harmonie“ (weil es im Einparteienstaat per definitionem keinen politischen Dissens gibt). Besonders schön demonstrieren kann man derlei Qualitäten bei sportlichen Großveranstaltungen, etwa bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936, aber auch in Peking 2008, der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland oder 2022 in Qatar.
Das andere Dubai: Bei bis zu 40 Grad schuften Gastarbeiter auf den Großbaustellen. Im Hintergrund das höchste Gebäude der Welt, der Burj Khalifa.
Bildquelle: Piotr Zarobkiewicz | Wikimedia
Jessica Gienow-Hecht argumentiert, dass autoritäre oder illiberale Staaten sich in gewisser Hinsicht mit „Nation Branding“ leichter tun als liberale Demokratien: weil sie sich zentraler und schneller für eine klare Botschaft entscheiden und diese dann auch gelenkt vermitteln können. Auch für diese Länder gilt aber wie für alle anderen: Die „Marke der Nation“ funktioniert dann am besten, wenn ihre Urheber als möglichst unabhängig von der jeweiligen Regierung oder dem Regime wahrgenommen werden. Zugleich hat die Selbstdarstellung von Ländern wie China, Russland oder den Emiraten natürlich auch eine Achillesferse: Jede Form von Unterdrückung, von Einschränkungen der Freiheit, die publik wird, droht das vermeintlich unpolitische Bild kaputt zu machen.
In Demokratien lässt sich die Image-Produktion nicht monopolisieren
In liberalen Staaten werde die Art der Selbstdarstellung immer wieder auf den Prüfstand gestellt, sagt Jessica Gienow-Hecht, die Finanzierung von Imagekampagnen müsse alle paar Jahre neu verhandelt werden: Eigentlich könnten demokratische Regierungen ihre Wähler*innen nur dann davon überzeugen, dass „Nation Branding“ wirklich notwendig und dringlich ist, wenn sich das Land in einer Ausnahmesituation oder einem andauernden Systemwettstreit wie dem Kalten Krieg befinde, bei dem ein äußerer Gegner die Begründung dafür liefert, dass man hinter ihm nicht zurückstehen will.
Umgekehrt gelte für liberale Demokratien, so Gienow-Hecht, dass sie „eigentlich einen Imagevorteil“ haben, „denn ihr ,Produkt‘ ist ,gut‘ und wird auch nachgefragt. Dennoch bestehen in demokratischen Staaten oft Zweifel, inwieweit sie überhaupt ein Mandat besitzen, irgendeine Form von Selbstdarstellung zu verantworten.“ Ironischerweise kann diese Art von Selbstzweifeln selbst wieder für Werbezwecke eingesetzt werden: Denn die funktioniert ja dann am besten, wenn sie sich nicht zu weit von der Wahrheit entfernt.
Die beste Werbung von demokratischen Staaten wäre dann möglicherweise eine solche, die die Bevölkerung des eigenen Landes mitanspricht, sie zur Selbstreflexion einlädt und darin sogar noch über die eigenen Eigenheiten zum Lachen bringt. Gienow-Hecht jedenfalls plädiert dafür, dass demokratische Gemeinwesen „selbstbewusst ein authentisches und liberales, attraktives und vor allen Dingen widerstandsfähiges Markenprofil“ entwickeln und kommunizieren sollten. Nicht zuletzt, um die diskursive Bühne nicht ihren autoritären Systemrivalen zu überlassen.
Weitere Informationen
Jessica Gienow-Hechts Forschung ist als Buch erschienen: „Vom Staat zur Marke. Die Geschichte des Nation Branding. Wie Staaten sich selbst vermarkten und was sie damit bezwecken“