Müll als wertvolle Ressource
Mit „Urban Mining“ will Mineraloge Timm John verarbeitete Rohstoffe nutzbar machen
07.05.2025
Elektroschrott als Ressource nutzen, anstatt Rohstoffe neu abbauen zu müssen.
Bildquelle: picture alliance - Lino Mirgelerdpa
Immer mehr Elektroschrott weltweit – Tendenz steigend. Allein im Jahr 2022 fielen 62 Millionen Tonnen an, wie der „Global E-Waste Monitor“ der Vereinten Nationen verzeichnet. Kein Wunder, wenn es bei vielen Menschen immer das neueste Smartphone sein muss.
Ein Smartphone enthält rund 30 verschiedene Metalle, darunter Kupfer, Eisen, Aluminium sowie geringe Mengen an Kobalt, Palladium, Gold, Silber und den sogenannten Seltenen Erden. Im Schnitt sind etwa 30 Milligramm Gold darin enthalten. Das klingt nicht viel – doch die Masse macht’s. Weltweit gibt es mehr als drei Milliarden Smartphone-Besitzende. Hätte jeder von ihnen nur ein Gerät, läge darin insgesamt ein Goldschatz von 90 Kilogramm. Beim aktuellen Goldpreis von mehr als 3200 US-Dollar pro Feinunze – eine Feinunze sind 31,1 Gramm –, kommt ein hoher dreistelliger Milliardenbetrag zusammen.
Bei vielen Menschen liegen aber noch ein oder zwei weitere Geräte in der Schublade. „Das sind wertvolle Ressourcen, die bislang fast ungenutzt sind“, erklärt der Mineraloge Timm John von der Freien Universität Berlin. Stattdessen werden noch mehr Erzminen exploriert und immer mehr Metalle abgebaut – oft unter prekären Arbeitsbedingungen und verbunden mit hohen Umweltbelastungen.
„Um die Goldmenge für ein einziges Smartphone zu gewinnen, braucht man zehn Kilogramm Erz einer guten Lagerstätte“, betont der Forscher.
Warum also nicht die immensen Schätze heben, die sich bereits oberhalb der Erde befinden? „Urban Mining“ heißt das Stichwort, was so viel bedeutet, wie in Städten nach (verarbeiteten) Rohstoffen „zu schürfen“ und sie, im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, immer wieder zu nutzen.
Recyclen statt importieren
„E-Waste“ ist Abfall, der Stecker oder Batterien hat. Selbst in E-Zigaretten stecken winzige Knopfzellen. „Mit ihnen landen größere Mengen wertwollen Lithiums nur deshalb im Hausmüll, weil es kein Recyclingkonzept dafür gibt“, sagt Timm John. Platin wird für Wasserstoff-Brennzellen gebraucht und steckt massenhaft in Katalysatoren von Verbrennern. „Wenn man es direkt vor Ort recyceln und wiederverarbeiten würde, müsste Platin nicht aus Südafrika oder Russland importiert werden – das wäre gut für die Kohlendioxid-Bilanz.“
Timm Johns Arbeitsgruppe „schürft“ unter anderen in End-of-Life Permanentmagneten, die in den Elektromotoren und großen Windturbinen stecken. Wird ein altes Windrad abgebaut und ersetzt, werden die Magneten bisher geschreddert, dann entweder neu gepresst – was zu Produkten mit schlechterer Leistung führt – oder unter hohem Energieeinsatz aufgeschmolzen. „Unser Ansatz besteht darin, die Metalle in den ionischen Flüssigkeiten des Kollegen Sebastian Hasenstab-Riedel, Chemiker an der Freien Universität, zu lösen, und das bei Temperaturen nur wenig über Raumtemperatur“, erklärt Timm John (siehe Artikel rechts). Das funktioniert gut, spart viel Energie und CO2. Eine Herausforderung ist jedoch die Trennung der Metalle danach. Dabei sollen Austauscher-Harze helfen, die in der Arbeitsgruppe von Rainer Haag, ebenfalls Chemiker an der Freien Universität, eigens dafür entwickelt werden.
Kupfer, kein seltenes Metall, wird in großen Mengen gefördert – und „verbraucht“. Jedes Stromkabel im Auto, an Küchengeräten, Lampen oder Computern, besteht aus Kupfer. Klar, das kann alles gesammelt werden. Für das Recycling stehen tatsächlich aber nur wenige Prozent der verarbeiteten Kupfermenge zur Verfügung. Denn was an Stromleitungen unter Putz in Häusern und unterirdisch liegt, bleibt über viele Jahrzehnte dort, wo es ist. „Wir haben also nicht nur anthropogene Lagerstätten in Form von Recyclinghöfen, sondern verbauen auch extrem viel dauerhaft“, erläutert Timm John. Ein Problem, das heute schon beim Hausbau mitbedacht werden sollte.
Abraum-Material nutzen
Neben dem Urban Mining will Timm John auch den klassischen Abbau von Erzen nachhaltiger machen, denn selbst der sogenannte Abraum ist nutzbar. Zu einer Mine gehört meist eine große Halde an Material, in dem die Rohstoffe im Verhältnis zum eigentlichen Erz nur gering konzentriert sind. Dennoch liegen die Konzentrationen immer noch weit über den „normalen“ Werten für die Gesteine der Erdkruste. In Südafrika holt man bereits Gold aus dem Haldenabraum von teilweise stillgelegten Goldminen heraus. Noch ist das für viele andere Arten von Haldenmaterial unrentabel– aber mit den ionischen Flüssigkeiten könnte sich das bald ändern. „Mine Waste“ – das sind Becken, in denen Minenabwässer abgelagert werden. Im absinkenden Schlamm sind viele wichtige Elemente dann toxisch hochkonzentiert“, erklärt Timm John. Würden sie aber sauber getrennt der Industrie zugeführt, wären sie wertvoller Rohstoff. „Die ersten Firmen planen bereits direkt an der Mine die weitere Prozessierung ihrer Erze bis zu dem Produkt, das die Industrie für die Produktion braucht. Effektiv konzipiert führt dies zu weniger Abraum und spart zudem eine aufwendige Transportlogistik ein.“
Lithium-Ionen-Batterie ade
Am Ende geht es darum, bei allen Stoffflüssen so zirkulär wie möglich zu werden, um die Erde nicht immer weiter „durchlöchern“ zu müssen. Natürlich müssen wir immer noch neue Rohstoffe dem wachsenden Bedarf der globalen Bevölkerung entsprechend zur Verfügung stellen. Neue Minen entstehen heute meist dort, wo wenige Menschen leben. Oder Menschen, die wenige Rechte haben. Daher ist es wichtig hier so maßvoll wie möglich zu agieren und so viel wie möglich im Kreislauf zu halten.
Das Rohstoffproblem der Elektromobilität könnte übrigens bald gemindert sein. Denn der Trend geht weg von Lithium-Kobalt-Batterien hin zu solchen aus Natrium-Eisen. Zu Metallen also, die als Oxide oder Salze überall in der Erdkruste zu finden sind. Natrium fällt zudem als Kochsalz bei der Meerwasser-Entsalzung in großen Mengen an. Abfall, für den es bislang keine Verwendung gab.