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Kopfkino für Honigbienen

Weltweit schrumpft der Bienenbestand. Wie können Obstplantagen mit weniger Bienenvölkern bestäubt werden? Das Forschungsprojekt POLLY hat eine Lösung gefunden

07.05.2025

Im „Flugsimulator“: POLLY vollzieht eine Biene einen virtuellen Flug. Die Biene hat sich selbst mittels magnetischer Kopplung befestigt und wird nun durch Bewegung der Schwarz-weiß-Muster so stimuliert, dass sie den Eindruck eines langen Fluges hat.

Im „Flugsimulator“: POLLY vollzieht eine Biene einen virtuellen Flug. Die Biene hat sich selbst mittels magnetischer Kopplung befestigt und wird nun durch Bewegung der Schwarz-weiß-Muster so stimuliert, dass sie den Eindruck eines langen Fluges hat.
Bildquelle: Marie Messerich 

Bienen sind Multitalente. Sie haben einen exzellenten Orientierungssinn, der sich alle Orte, die sie besucht haben, detailliert einprägt, sie können hervorragend untereinander kommunizieren – und sind unermüdliche Tänzerinnen. All diese Fähigkeiten zusammen bringen sie zielsicher zur Futterquelle, an die Pollen von Blumen, Gräsern und Bäumen. 

Denn hat eine Biene das große Rapsfeld oder den verführerisch duftenden Lindenhain geortet, gibt sie diese Informationen umgehend an ihre fleißigen Schwestern im heimischen Bienenstock weiter: Sie tanzt ihnen etwas vor und wackelt dabei mit dem Hinterleib. Und je nachdem, wie intensiv und anhaltend sie „schwänzelt“, sendet sie die Info: Die Futterquelle ist nah oder weit weg, östlich oder westlich vom Bienenstock gelegen. 

Kein Wunder, dass Bienen zu den wichtigsten Nutztieren des Menschen zählen: Sie produzieren nicht nur Honig, sondern sorgen vor allem durch Bestäubung von Pflanze zu Pflanze dafür, dass Bauern und Bäuerinnen reiche Obsternten einfahren können. Die riesigen Mandelplantagen im US-Bundesstaat Kalifornien wären sehr viel weniger ertragreich, würden die Mandelbäume nicht durch die Bienenvölker bestäubt. Das weltweit dokumentierte Insektensterben, das auch Bienen betrifft, könnte Landwirte und Landwirtinnen bald in Schwierigkeiten bringen: Intensive Landwirtschaft mit Monokulturen, Pestiziden und Dünger, Flächenversiegelung und nicht zuletzt die Folgen des Klimawandels bedrohen die Populationen. Hinzu kommt: Der Bedarf an Bienenvölkern zum Bestäuben der Pflanzen ist groß, deshalb müssen diese oft über große Distanzen per Flugzeug oder Schiff oder mit einem anderen Verkehrsmittel transportiert werden. Dabei sterben viele der Tiere.

Roboter lockt Bienen an

Aber wie kann mit weniger Bienenvölkern ein gleichbleibend guter Ernteertrag erzielt werden? Hier kommt POLLY, ein Forschungsprojekt der Freien Universität, ins Spiel. Der Professor für Informatik Tim Landgraf hat einen kleinen Roboter mit Tunnelsimulator entwickelt, der helfen könnte, das Problem zu lösen. „Die Herausforderung von Betreibenden vieler Plantagen ist: Bienenvölker mögen es bequem und steuern aus eigenem Antrieb nur die Blüten der nächstgelegenen Bäume an“, erläutert Landgraf am Beispiel der Mandelplantagen. „Das wiederum bedeutet, dass sehr viele Bienenvölker benötigt werden, um alle Bäume auf großen Arealen zu bestäuben.“ Mithilfe von POLLY überzeugen Landgraf und die Biologiedoktorandin Marie Messerich die Bienen nun einfach davon, auch weiter entfernt liegende Ziele zum Bestäuben anzufliegen. 

Wie funktioniert das? Der Roboter ist nur wenig größer als ein Rasenmäher. Mit Zuckerwasserködern und mit für Bienen unwiderstehlich riechenden Blütendüften und Pheromonen werden die Tierchen in das Gerät gelockt. Dort erwartet sie großes Kino: Die Wände sind im Inneren, ähnlich wie Kulissen, verschiebbar und suggerieren den Bienen, sie würden mehrere hundert Meter weit fliegen, um die köstlich riechende vermeintliche Futterquelle zu erreichen.

Tim Landgraf ist Informatikprofessor an der Freien Universität

Tim Landgraf ist Informatikprofessor an der Freien Universität
Bildquelle: Kevin Lauderlein

Bienen als Wirtschaftsfaktor

„Es ist schon länger aus der Forschung bekannt, dass Bienen, die man durch einen etwa sechs bis zehn Meter langen, schmalen Tunnel krabbeln oder fliegen lässt, denken, sie würden eine deutlich größere Distanz zurücklegen – und kommunizieren dies ihrem Bienenvolk anschließend entsprechend“, sagt Landgraf, der sich schon seit vielen Jahren für die komplexe, einzigartige Welt der Bienen interessiert und für seine Doktorarbeit eine Roboter-Biene entwickelte. Aus dieser Entwicklung entstand das aktuelle Projekt mit echten Bienen. Künstliche Bienen in Form von Mini-Robotern zu produzieren, wäre letztlich vermutlich zu teuer und deshalb wohl wenig wirtschaftlich. „Deshalb kam uns die Idee, die natürlichen Fähigkeiten der Tiere zu nutzen.“ Dafür wurde das Landgraf-Team vor einigen Monaten mit einem Preis des „Forums Junge Spitzenforschung“ ausgezeichnet. Um auf meterlange Tunnel verzichten zu können, kam das POLLY-Team auf die Idee, den Tunnel für die Bienen einfach durch Bewegtbilder an den Wänden optisch zu verlängern. Auf einem Feld des Julius-Kühn-Instituts für Kulturpflanzen in Dahlem-Dorf beobachten und filmen Landgraf und Messerich die Bienenvölker dabei, wie sie nach ihrem Ausflug zu POLLY in ihren Bienenstöcken tanzen und dokumentieren anschließend, was die mit kleinen Plättchen markierten Tiere den anderen Sammlerinnen kommunizieren. Die Experimente verlaufen so vielversprechend, dass POLLY schon bald ein interessantes Tool für Bestäubungsdienstleistende, Landwirte und Landwirtinnen sowie Imkereien werden könnte. „Bienen sind ein riesiger Wirtschaftsfaktor, das steht fest“, betonte Tim Landgraf. Imkereien könnten mithilfe von POLLY zum Beispiel Honig gezielt aus speziellen Blütenmischungen erzeugen. Und: Bienen könnten lernen, pestizidbelastete Pflanzen zu meiden.