Springe direkt zu Inhalt

Chemie im Kreislauf denken

Die Freie Universität gründet mit dem CSR|Berlin ein Forschungszentrum für nachhaltige Ressourcennutzung

14.04.2025

Eine Person in Warnweste und Arbeitshandschuhen hält ein Tablet und steht vor einem großen Haufen unsortierten Mülls in einer Recyclinganlage. Die Szene deutet auf eine Inspektion oder Datenerfassung im Bereich Abfallwirtschaft hin.

Aus Altlasten neue Rohstoffe machen: Forschende aus der Chemie, den Geo- und den Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität sowie aus der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung arbeiten gemeinsam an neuen Lösungen.
Bildquelle: Canva

Warum in der Ferne schürfen? Sieh, das Gute liegt so nah! Hätte Goethe, der auch Naturforscher war, gewusst, wie es heute um den Planeten Erde steht, würden seine berühmten Zeilen vielleicht so lauten. Statt auf fernen Kontinenten immer mehr Löcher in die Erdkruste zu bohren, erscheint es weitaus klüger, die Schätze zu bergen, die direkt vor unserer Haustür liegen – im Müll. Elektroschrott zum Beispiel oder Biomasse. Aus Altlasten neue Rohstoffe machen: Das ist der Weg zu einer Kreislaufwirtschaft, die Produkte recycelt und ihre Bestandteile immer wieder nutzt.

Zugegeben, es hat etwas gedauert. Aber inzwischen werden weltweit neue Technologien für nachhaltige Ressourcennutzung entwickelt. Auch Forschende aus der Chemie, den Geo- und den Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität sowie aus der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung haben sich zusammengetan, um gemeinsam an neuen Lösungen zu arbeiten. Am 9. April gründeten sie das „Center for Sustainable Resources“ (CSR). Durch enge Kooperationen mit Industriepartnern und der Politik sollen ihre Erkenntnisse schnell in die Anwendung gebracht werden.

Fünf Männer und eine Frau posieren gemeinsam für ein Gruppenfoto in einem modernen Raum. Die Personen wirken freundlich und professionell, einige tragen Anzug, andere sind leger gekleidet. Im Hintergrund ist ein Tisch mit blauem Tuch zu sehen.

Die Gründungsmitglieder des CSR|Berlin auf der Eröffnungsfeier (v.l.n.r.): Prof. Dr. Carsten Dreher, Prof. Dr. Sebastian Hasenstab-Riedel, Prof. Dr. Timm John, Prof. Dr. Anna Gorbushina, Prof. Dr. Rainer Haag
Bildquelle: Marion Kuka

Die Gründungsmitglieder fanden über eine neue Chlortechnologie zusammen, die Chemieprofessor Sebastian Hasenstab-Riedel entwickelt hat. Sie ermöglicht es, das reaktive Chlorgas sicher in Form einer Ionischen Flüssigkeit zu speichern, zu lagern und zu transportieren. „Diese Flüssigkeiten können außerdem Metalle bei niedrigen Temperaturen aus anderem Material herauslösen“, erklärt Hasenstab-Riedel. Gemeinsam mit dem Mineralogie-Professor Timm John und Rainer Haag, Professor für Polymerchemie, will der Gründungsdirektor im Rahmen des CSR das Potenzial der Ionischen Flüssigkeiten weiter erforschen.

Rückgewinnung von wertvollen Metallen aus Elektroschrott

Timm John im schwarzem Pullover spricht gestikulierend mit mehreren Personen in einem modernen Raum mit Holzverkleidung. Die Szene wirkt wie ein intensives Gespräch oder eine Diskussion in einem beruflichen Umfeld.

Mineralogie-Professor Timm John erforscht, ob Ionische Flüssigkeiten seltene Rohstoff effizienter aus alten Produkten herauslösen können.
Bildquelle: Marion Kuka

Die Rückgewinnung von wertvollen Metallen aus Elektroschrott oder die Isolierung von Erzen aus Minen-Abraum sind zwei Projekte von vielen. Interessant sei auch das Recycling von Magneten, sagt Sebastian Hasenstab-Riedel. Ferromagnetische Legierungen aus Eisen, Kobalt und Nickel stecken nicht nur in den Elektromotoren von E-Autos oder Festplatten, sondern auch in den großen Permanentmagneten von Windrädern. „Pro Megawattstunde Leistung werden etwa 650 Kilogramm verbaut“, erläutert der Chemiker. Lediglich ein Prozent davon wird bisher recycelt. „Wir fragen uns, wie wir sie vollständig aufarbeiten können und ob es dafür wirklich notwendig ist, die Magneten in ihre Einzelmetalle zu zerlegen.“

Ionische Flüssigkeiten entstehen durch Einleiten von Chlor in sogenannte quartäre Ammoniumsalze. Das bedeutet, dass man sie – indirekt – auch als Energiespeicher nutzen kann. Chlorgas (Cl2) wird für etwa 55 Prozent aller chemischen Produkte benötigt, vor allem für Kunststoffe. Weltweit werden 100 Millionen Tonnen Chlor pro Jahr produziert – und das fortlaufend durch energieintensive Elektrolyse von Kochsalz in Wasser. „Vom gesamten Stromverbrauch in Deutschland 2022 gingen 2,3 Prozent allein in die Chloralkali-Elektrolyse“, erklärt Sebastian Hasenstab-Riedel. Bald soll „grüner Strom“ diese Aufgabe übernehmen.

Wind und Sonne flexibel nutzen

Doch was geschieht bei Flaute und wenig Sonne? „Wir können Chlorgas bei Stromüberschuss erzeugen, in Ionische Flüssigkeiten einleiten und es bei Dunkelflauten wieder entnehmen, um es in die chemische Industrie zurückzuführen.“ Somit könne die Erzeugung flexibilisiert und gleichzeitig ein Beitrag zur Netzstabilität des Stromnetzes geleistet werden. Der Forscher hat ausgerechnet, dass 1,7 olympische Schwimmbecken, gefüllt mit diesen Flüssigkeiten, ausreichen würden, um Chlormengen zwischenzulagern, die der Produktion von etwa 5,8 Gigawattstunden Strom entsprechen. „Das ist etwa die Leistung des großen Pumpspeicherwerks im Schwarzwald, für die 4,4 Millionen Kubikmeter Wasser zu Tal rauschen“, sagt Hasenstab-Riedel.

Rainer Haag (links) und Sebastian Hasenstab-Riedel (rechts) Zwei Männer in Businesskleidung unterhalten sich in einem modernen Innenraum. Der Mann links trägt ein graues Sakko, der rechte ein blaues. Beide wirken konzentriert und freundlich.

Lignine aus Reststoffen zerkleinern und chemisch weiterverarbeiten: Daran forscht die Arbeitsgruppe für Organische Chemie von Rainer Haag (links). Rechts: Gründungsdirektor Sebastian Hasenstab-Riedel
Bildquelle: Marion Kuka

Ein weiteres Thema ist Biomassekonversion, also die Gewinnung nachhaltiger Rohstoffe aus Pflanzenabfällen. Glycerin zum Beispiel fällt in großen Mengen bei der Biodiesel-Produktion an. Lignine, komplexe Makromoleküle in pflanzlichen Zellwänden, sind Abfallprodukte der Holzverarbeitung. Beide Stoffe könnten helfen, Erdöl als Grundstoff für Basischemikalien zu ersetzen. „Die Herausforderung besteht darin, Lignin so zu zerkleinern, dass nicht ein ganzer Zoo unterschiedlicher Verbindungen entsteht“, erläutert Sebastian Hasenstab-Riedel, „sondern nur Stoffe, die sich gleich chemisch weiterverarbeiten lassen.“

Bio ist nicht automatisch nachhaltig

Die Transformation der Chemischen Industrie steht erst am Anfang. „Grüne Chemie“ sei ein wichtiges Konzept, genüge aber allein nicht, betont der Gründungsdirektor des CSR. Dass „bio“ nicht automatisch „nachhaltig“ ist, zeige sich beim Palmöl. Als Rohstoff für Chemikalien sei es klar besser als Erdöl – weil pflanzenbasiert. Aber riesige Palmölplantagen, für die intakter Regenwald weichen muss, seien keineswegs als nachhaltig. „Mit dem CSR wollen wir den Übergang von grüner zu nachhaltiger Chemie schaffen und somit einen Beitrag zur notwendigen Transformation der chemischen Industrie leisten.“

Logo des „CSR Berlin – Center for Sustainable Resources“. Die Buchstaben „CSR“ sind in dunklem Blau gehalten, wobei das „C“ ein stilisiertes grünes Symbol enthält und das „R“ mit einem grünen Blatt gestaltet ist. Darunter steht „Berlin“ in Schwarz.

Von grüner zu nachhaltiger Chemie

Um wertvolle Metalle und Kunststoffe nachhaltig im Kreislauf zu halten, muss schon das Produktdesign sicherstellen, dass sich die Komponenten später trennen und wiederverwerten lassen. Ein klares Nein gilt dann auch für bisher fest eingebaute Lithium-Batterien in Plastikprodukten wie E-Zigaretten oder Kinderspielzeug.

Weitere Informationen