„Legen Sie Ihr Smartphone abends nicht ans Bett“
Die schlechten Nachrichten hören nicht auf – die Welt wirkt wie eine einzige Krise. Was macht das mit dem Wohlbefinden, wie kann man sich schützen? Ein Gespräch mit Babette Renneberg, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie
19.02.2025
Frau Renneberg, es sieht aus, als gäbe es nur noch schlechte Nachrichten: erst Corona, dann der Ukraine-Krieg. Energiekrise, Inflation, der Hamas-Überfall auf Israel, Gaza, Libanon, Antisemitismus, Rechtsruck, „Ampel-Aus“ – und nun noch die zweite Amtszeit von Donald Trump. Mal abgesehen davon, dass kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht irgendwo auf der Welt die dramatischen Folgen des Klimawandels zeigen. Kann einen das psychisch krankmachen?
Krisen und Kriege allein reichen nicht aus, um Depressionen oder Angststörungen auszulösen. Diese Erkrankungen sind immer auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Schlechte Nachrichten wirken aber immer dann bedrohlicher, wenn sie näher an uns heranrücken. Deshalb zeigen sich auch extrem viele Menschen in Deutschland so betroffen vom Ukrainekrieg. Menschen, die schon einmal eine Depression hatten oder haben oder ohnehin ängstlicher sind, denken über solche Krisen noch viel negativer oder fühlen sich sehr hilflos. Hilflosigkeit überfällt aber auch Menschen, die eigentlich ganz stabil im Leben stehen. Es hängt natürlich immer von der eigenen Bewertung ab: Wer zum Beispiel Trump gut findet, blickt wahrscheinlich gerade eher positiv nach vorn.
Was macht das mit Menschen, die tatsächlich depressiv sind?
Das kommt ganz darauf an: Depressive Menschen fühlen sich sehr oft hilflos. Und ja, diese Nachrichten können einen in tiefe Hilflosigkeit führen. Bei Menschen, die depressiv sind, ist dieser Weg sozusagen ausgetrampelt, und sie kommen schneller in eine negative Denkspirale hinein. Um da wieder herauszukommen, müssen sie sehr viel Kraft aufwenden. Aber grundsätzlich ist es auch für sie möglich.
Erreichen uns eigentlich nur noch negative Nachrichten?
Dass Medien auf negative Informationen fokussieren, ist nicht neu. Schlechte Nachrichten lassen sich besser verkaufen. Sie erzeugen höhere Einschaltquoten und Klick-Zahlen. Evolutionsbiologisch und -psychologisch ist dieser Fokus sogar sinnvoll, denn wir müssen gewarnt sein, um uns in Sicherheit bringen zu können. Durch die verschiedenen Medien-Bubbles, in denen wir uns bewegen, ist das noch verstärkt worden.
Babette Renneberg ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Foto Gezett
Wie kann man sich davor schützen?
Die Frage ist: Wie viel von diesen Nachrichten tue ich mir an, wenn ich weiß, dass sie mich bedrücken? Und wie schaffe ich es, mich wieder zu distanzieren? Vielleicht reicht es ja, einmal am Tag Nachrichten zu rezipieren. Ich muss nicht jeden Mini-Schritt einer Entwicklung mitbekommen. Wenn mir gerade alles zu viel ist, kann ich auch mal ein paar Tage komplett darauf verzichten. Es ist völlig in Ordnung, beim Nachrichtenkonsum Pausen einzulegen.
Also besser nicht gleich morgens, vielleicht sogar noch vor dem Aufstehen, Zeitungen und soziale Medien auf dem Smartphone lesen? Wenn dann auch noch das Wetter schlecht ist, ist der Tag ja schon gelaufen …
Wenn Sie keinen Notdienst oder Rufbereitschaft haben: Legen Sie Ihr Smartphone abends nicht ans Bett, sondern in ein anderes Zimmer. Nachrichten und Mails kommen zum Frühstück auch noch rechtzeitig. Als Internetstartseite eine Zeitung oder Social Media zu nehmen, ist übrigens auch keine Pflicht. Und Apps mit „Suchtfaktor“ können Sie auch einfach deinstallieren. Wie das Wetter ist, sieht man, wenn man das Fenster öffnet. Gerade bei miesem Wetter kann es gut sein, sich sofort anzuziehen und rauszugehen, einen kleinen Spaziergang zu machen oder einen Teil des Arbeitsweges zu gehen statt zu fahren. Wann sollte man je stolzer auf sich sein, an der Luft zu sein als jetzt? Also einfach mal etwas anders machen.
Was, wenn mich die Wucht der Krisen trotzdem niederdrückt?
Bei aller Würdigung der schweren Schicksale anderer ist es für die meisten Menschen möglich, davon zu erfahren und gleichzeitig zu sehen: Mir selbst geht es ganz gut. Radikale Akzeptanz: Das alles ist furchtbar, aber ich kann daran gerade nichts ändern. Und es ist nicht verboten, trotz allem persönlich Freude zu empfinden.
Woran merke ich, dass ich mich selbst zu viel mit schlechten Nachrichten befasse?
Wenn meine Gedanken ständig darum kreisen und ich mich kognitiv nicht mehr davon distanzieren kann. Ein Warnzeichen ist auch, wenn Freunde sagen: Kannst du auch noch über irgendetwas anderes reden? Es ist völlig okay, mal nicht über die weltpolitischen Ereignisse zu diskutieren.
Was kann man – außer Spaziergängen – noch tun, um dem entgegenzuwirken?
Alles was einen ablenkt und Freude macht. Es sind die kleinen Dinge: sich schöne Bilder ansehen, mit Freunden Kaffee trinken, ins Kino gehen … Auf größerer Ebene: aktiv werden, sich engagieren. Wenn ich Sorge vor einem Rechtsruck habe, dann gehe ich eben auf die nächste Demo gegen rechts. Oder ich trete in eine Partei ein. Oder ich engagiere mich in der Nachbarschaft, schaue im eigenen Umfeld, was ich ändern kann. Wenn ich aktiv werde, habe ich eine viel größere Chance, dass sich meine Stimmung bessert, als wenn ich auf dem Sofa liegenbleibe. Außerdem ist es hilfreich, stets im Hier und Jetzt zu sein und sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Das heißt dann auch, im Gespräch nicht ständig aufs Smartphone zu schauen oder parallel E-Mails zu lesen.
Als Letztes vor dem Schlafengehen noch einmal die Weltlage durchzugehen, ist dann sicher keine gute Idee?
Eher nicht. Je nachdem, wie gut man danach abschalten kann. Manchmal nimmt einen etwas so mit, dass man bedrückt ins Bett geht. Das muss man nicht kleinreden. Das ist eben so. Dann ist die Frage: Wie müde bin ich eigentlich? Muss ich schon schlafen?
Gefährliche Frage für Menschen, die gerne Serien streamen …
Nein, manchmal sind Serien großartig, um sich von unschönen Dingen abzulenken. Wenn es okay ist, dass die Nacht kurz wird, ist das wunderbar.
Die Fragen stellte Catarina Pietschmann