Gemeinsam gegen Cybermobbing
Knapp 20 Prozent aller Jugendlichen waren schon von Beleidigungen und Gewalt im Netz betroffen. Ein Team der Freien Universität hat mit „Medienhelden“ ein wirkungsvolles Präventionsprogramm entwickelt
18.02.2025
Mobbing von Jugendlichen im digitalen Raum: Weltweit ein Problem und Thema aktueller Forschung.
Bildquelle: picture alliance M.i.S.
Hast du schon mal mitbekommen, wie jemand gemobbt wurde im Internet? Hast du schon mal irgendeinen Typen oder ein Mädchen im Internet beleidigt und fertiggemacht – oder hast du selbst schon mal erlebt, wie du fertiggemacht worden bist?“ Der Schüler im blau-weiß-gestreiften Poloshirt und Basecap schaut dem Betrachter direkt in die Augen, während er das sagt. Er heißt Mark und ist Protagonist eines Imagefilms zum Programm „Medienhelden“ der Freien Universität.
Das Forschenden-Team unter der Leitung des Psychologieprofessors Herbert Scheithauer arbeitet seit mehr als zehn Jahren an wirksamer Prävention gegen Cybermobbing und für eine bessere Förderung von Internet- und Medienkompetenz in der Schule. Handlungsbedarf gibt es: Noch immer ist den Forschenden zufolge knapp ein Fünftel aller deutschen Schülerinnen und Schüler von Cybermobbing in irgendeiner Form betroffen.
Die Forschenden haben mit „Medienhelden“ ein strukturiertes Präventionsprogramm für Sekundarschülerinnen und -schüler der Klassen sieben bis zehn entwickelt, das inzwischen an vielen Schulen in Deutschland zum Einsatz kommt und als Handbuch im Reinhardt-Verlag erschienen ist. „Es ist genau das Alter, in dem Social Media für Jugendliche interessant und zu einem wichtigen Kommunikationsmittel mit ihrer Peergroup wird. Zugleich ist es eine sehr vulnerable Phase, in der die meisten Jugendlichen sich stark daran orientieren, was andere in ihrer Altersgruppe von ihnen denken“, begründet Scheithauer die Auswahl der Klassenstufen.
Empathie schulen
Mit einem Smartphone und mit sozialen Netzwerken aufzuwachsen, heißt noch lange nicht, dass die Jugendlichen sich bewusst sind, welche schwerwiegenden psychischen Auswirkungen ein beleidigender Post auf Instagram oder ein peinliches Foto auf Snapchat für den Betroffenen haben kann – und welche rechtlichen Folgen für die Täterinnen und Täter. Und wie wichtig es beispielsweise ist, die eigenen Inhalte durch sichere Passwörter zu schützen. Genau dieses Bewusstsein vermittelt das „Medienhelden“-Programm über einen Zeitraum von mehreren Wochen im Unterricht. Zum Einsatz kommt dabei eine Mischung aus Informationen, Empathie-Training, Rollen-spielen und Peer-to-Peer-Gruppenarbeit.
Mark, der Schüler aus dem Imagefilm, sagt: Er habe schon Freunde verloren, weil er sich nicht von üblen Cybermobbing-Aktionen distanziert, sondern mitgemacht habe. Eine andere Schülerin, Saskia, erzählt, wie sehr eine Mitschülerin unter demütigenden Fotos und Videos, die über Messenger-Dienste und im Netz verbreitet wurden, gelitten hat.
Gewalt im Netz ist ein Thema, seit es Messenger-Dienste wie WhatsApp und Telegram und soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder TikTok gibt. „Trotzdem hinkt Deutschland noch immer deutlich hinter Ländern wie Großbritannien hinterher. Dort gibt es bereits seit etlichen Jahren Richtlinien an den Schulen für den Umgang mit digitalen Medien und mit dem Thema Cybermobbing“, sagt Psychologe Scheithauer. „So etwas brauchen auch deutsche Schulen dringend.“
Lehrkräfte besser fortbilden
Zwar wurden in Deutschland über den Digitalpakt Schule Milliarden für die Digitalisierung zur Verfügung gestellt – doch lag das Augenmerk stär-ker darauf, die Schulen mit Hard- und Software sowie leistungsstarken Netzwerken auszustatten, um sie anschlussfähig an Schulen in anderen Ländern zu machen. Fortbildungen von Lehrkräften dagegen wurden zu wenig mitgedacht, kritisieren viele Pädagoginnen und Pädagogen.
Der Erfolg gibt dem Programm „Medienhelden“ Recht. „Befragungen an den Schulen, die unser Programm in ihr jeweiliges Curriculum aufgenommen hatten, ergaben, dass das Cybermobbing sich deutlich verringert hatte im Vergleich mit Kontrollgruppen an Schulen ohne das Programm“, berichtet Herbert Scheithauer. Natürlich gebe es in nahezu jeder Klasse Jugendliche, die kalkuliert und aus reiner Bosheit andere herabsetzen wollten und sich der Folgen voll bewusst seien. „Doch wenn solche Taten von Mitschülerinnen und -schülern nicht mehr als Heldentat gefeiert oder auch nur geduldet werden, verlieren sie schnell an Reiz.“
Ein Prinzip des Programms ist „Train-the-Trainer“: Es bildet Lehrkräfte oder Trainerinnen und Trainer fort, die wiederum andere Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen und -arbeiter für das Präventionsprogramm schulen. Dieses wird in das bestehende Schulcurriculum integriert – meistens in den Fachunterricht wie Geschichte, Sozial- oder Gesellschaftskunde. Darüber hinaus wurden auch Inhalte für einzelne Schulprojekttage zum Thema entwickelt.
Medienkompetenzen
In den ersten Jahren erhielt „Medienhelden“ eine Förderung durch das europäische Gewaltpräventionsprogramm Daphne III. Inzwischen finanziert sich die Multiplikatoren-Schulung durch Förderungen beispielsweise von Krankenkassen, Behörden und Stiftungen.
„Medienkompetenz zu vermitteln, sollte so selbstverständlich in den Unterricht gehören wie die generelle Vermittlung von Sozialkompetenzen“, betont Scheithauer.
Um Lehrkräfte darin fortzubilden, hat der Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie auch ein entsprechendes inhaltliches Angebot in den berufsbegleitenden weiterbildenden Masterstudiengang Demokratiepädagogische Schulentwicklung und soziale Kompetenzen integriert: Die Inhalte des „Medienhelden“-Programms gehören zum Curriculum des Studiengangs. Der hat offenbar europaweit einen Nerv getroffen, denn etliche Studierende kommen aus anderen europäischen Ländern.
Da Cybermobbing weltweit ein Problem ist, tauschen sich Scheithauer und sein Team regelmäßig mit internationalen Forschenden sowie Lehrkräften aus, etwa aus Griechenland, Spanien, der Türkei, aus Malaysia oder Kolumbien. Es gibt dort großes Interesse an dem Berliner Programm. Allerdings sehe die Prävention, sozial und kulturell bedingt, im Detail oft etwas anders aus, sagt der Psychologe. „In Kolumbien stehen Lehrkräfte vor der Aufgabe, Klassen mit bis zu 50 Jugendlichen zu unterrichten. Da heißt es, flexibel zu sein und Module anzupassen.“ Bald wird das „Medienhelden“-Handbuch auch auf Spanisch erschienen.