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„Wir brauchen völkerrechtliche Lösungen für den Frieden“

Der russische Überfall auf die Ukraine jährt sich am 24. Februar zum dritten Mal. Ein Völkerrechtler und ein Politikwissenschaftler der Freien Universität analysieren Grundlagen für einen möglichen Frieden

27.11.2024

Leere Schuhe als Symbol für russische Kriegsverbrechen: Wie kann die Invasion in der Ukraine beendet werden? Und wie könnte eine Ordnung in der Zeit danach aussehen?

Leere Schuhe als Symbol für russische Kriegsverbrechen: Wie kann die Invasion in der Ukraine beendet werden? Und wie könnte eine Ordnung in der Zeit danach aussehen?
Bildquelle: picture alliance/REUTERS/David W. Cerny

Seit nunmehr drei Jahren führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Weiter stehen Teile der Ost-Ukraine unter russischer Kontrolle. An der Front tobt ein brutaler Stellungskrieg. Hinzu kommen die andauernden Raketenangriffe auf ukrainische Städte. Die Vereinten Nationen zählten bis Ende 2024 mehr als 40.000 zivile Todesopfer. Schätzungen gehen von insgesamt mehreren Hunderttausend verwundeten und getöteten Soldaten aus. Wie kann in dieser Lage endlich ein Frieden gelingen?

Alexander Libman, Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland am Osteuropa-Institut der Freien Universität, blickt auf die Verhandlungen zwischen den USA und Russland, die in dieser Woche in Saudi-Arabien gestartet wurden, mit einem gewissen Optimismus, aber auch mit Skepsis, insbesondere in Bezug auf die Kompromissbereitschaft Wladimir Putins. „Die russische Armee hat zwar riesige Opferzahlen zu beklagen, ist heute allerdings in einer besseren Lage als noch Ende 2022“, sagt er. „Die russische Wirtschaft ist zwar geschwächt, allerdings voll funktionsfähig. In dieser Lage ist Putin nicht darauf angewiesen, schnell und bedingungslos zu verhandeln.“

Alexander Libman ist selbst in Moskau geboren worden und beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit dem politischen System in Russland unter Putin. „Heute, 25 Jahre, nachdem Wladimir Putin erstmals zum russischen Präsidenten gewählt wurde, ist seine Macht ungebrochen“, sagt er. „Es lässt sich also auch nicht ohne Weiteres auf einen innenpolitischen Sturz hoffen. Weite Teile der russischen Eliten, selbst diejenigen, die gegen eine Fortführung des Krieges sind, sehen keine plausible Alternative ohne ihn.“

„So weit weg Friedensgespräche wohl sind, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Ukraine dringend eine Atempause braucht.“ Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland.

„So weit weg Friedensgespräche wohl sind, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Ukraine dringend eine Atempause braucht.“ Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland.
Bildquelle: privat

Rahmenbedingungen ausloten

Was also tun? Alexander Libman spricht von einem Dilemma. „Auch wenn die Ergebnisse der Friedensgespräche unsicher sind, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass vor allem die Ukraine eine Atempause braucht“, sagt er. „Wir müssen dieses Dilemma offen benennen. Mit dem Appell, immer weiter durchzuhalten, werden wir nicht zu Lösungen kommen.“

In einem internationalen Forschungsprojekt versuchen Forschende aus den Rechts-, Politik- und Konfliktwissenschaften derzeit, Lösungen Schritt für Schritt näher zu kommen. Beteiligt ist auch Helmut Aust, Professor für Öffentliches Recht und die Internationalisierung der Rechtsordnung am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität. „Wir loten die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen aus, unter denen ein Frieden in der Ukraine gelingen könnte“, sagt der Jurist. „Dabei stehen wir in beständigem engem Austausch mit ukrainischen Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls am Projekt beteiligt sind.“

Das Forschungsprojekt „Den Krieg vom Ende her denken. Einsichten für den Ukraine-Krieg“ wird von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) gefördert und am „Global Public Policy Institute“ (GPPI) in Berlin von Professor Andreas Heinemann-Grüder koordiniert. „Unsere Prämisse ist, dass die Ukraine als souveräner Staat selbst über ihre Zukunft entscheiden können muss“, sagt Aust. „Ferner sind wir der Überzeugung, dass wir aus einem binären Denken von Waffenlieferungen und Friedensverhandlungen herausfinden müssen.“

Insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit werde diskutiert, als ob es sich bei beidem um zwei sich einander ausschließende Optionen handele. Dabei sei genau das Gegenteil der Fall. „Die allermeisten Friedensabkommen in der Geschichte wurden aus dem Krieg heraus verhandelt und geschlossen“, sagt Helmut Aust. „Nicht erst, wenn eine der Parteien am Boden lag.“

Helmut Aust, Professor für Öffentliches Recht: „Die allermeisten Friedensabkommen in der Geschichte wurden aus dem Krieg heraus verhandelt und geschlossen. Nicht erst, wenn eine der Parteien am Boden lag.“

Helmut Aust, Professor für Öffentliches Recht: „Die allermeisten Friedensabkommen in der Geschichte wurden aus dem Krieg heraus verhandelt und geschlossen. Nicht erst, wenn eine der Parteien am Boden lag.“
Bildquelle: Michael Fahrig

Völkerrechtlich umsetzbar?

Doch wie kann ein Friedensabkommen im 21. Jahrhundert überhaupt aussehen? Völkerrechtlich ist diese Frage gar nicht so leicht zu beantworten. „Wir haben seit 1945 – zum Glück – keine derartigen Eroberungskriege zwischen souveränen Staaten gesehen“, sagt Aust. „Dementsprechend fehlt es uns aber auch an Erfahrung, wie wir solche Konflikte in unserer internationalen Rechtsordnung beenden können.“

Im Rahmen seiner Arbeit im Forschungsprojekt prüft der Jurist gemeinsam mit der Regensburger Kollegin Cindy Wittke, ob und wie politische diskutierte Lösungen überhaupt völkerrechtlich umzusetzen wären. Dies betrifft etwa die Möglichkeit von territorialen Konzessionen – also die Frage, wie es rechtlich zu bewerten wäre, wenn sich die Ukraine in Friedensverhandlungen entscheiden sollte, eigenes Gebiet an Russland abzutreten. „Die Ukraine müsste solche Gebietsabtretungen an Russland vertraglich festhalten“, sagt Aust. „Die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969, in der internationale Verträge zwischen Staaten geregelt werden, besagt allerdings, dass unter Zwang geschlossene Verträge nichtig sind.“

Anerkennung neuer Grenzen

Ehe die Ukraine überhaupt Gebiete an Russland abtreten könnte, müsste also erst einmal eine Möglichkeit gefunden werden, völkerrechtskonforme Verträge zu schließen. „Es spricht einiges dafür, dass es sich bei etwaigen territorialen Konzessionen der Ukraine völkerrechtlich um einen nichtigen Vertrag handeln würde“, sagt Helmut Aust. „Allerdings sollten wir das Recht nicht so auslegen, dass in Zwangslagen überhaupt kein Vertrag mehr geschlossen werden kann – sonst wäre ein Frieden beinahe unmöglich.“

Doch selbst wenn ein solcher Vertrag zustande käme, wären Gebietsabtretungen völkerrechtlich weiter problematisch. Denn internationale Verträge verpflichten Staaten grundsätzlich dazu, durch völkerrechtswidrige Gewalt herbeigeführte territoriale Veränderungen nicht zu billigen. Drittstaaten wie Deutschland könnten Grenzverschiebungen in der Ukraine also nur schwer anerkennen.

„Dieses normative Fundament wird durch die US-Regierung von Präsident Trump massiv in Frage gestellt, was wir im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz beobachten konnten. Wenn Europa die Ukraine verteidigen will, muss es auch das Völkerrecht verteidigen“, sagt Helmut Aust.