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Schlaf, Versuchsperson, schlaf!

Die Musikwissenschaftlerin Miriam Akkermann untersucht im Rahmen des Forschungsprojekts „Lullabyte“ Auswirkungen von Musik auf Schlaf

27.11.2024

Bitte einschlafen! Klaus Janek und Miriam Akkermann im Juni 2023 auf der Bühne im Rahmen der Veranstaltungsreihe Sound & Science in Dresden.

Bitte einschlafen! Klaus Janek und Miriam Akkermann im Juni 2023 auf der Bühne im Rahmen der Veranstaltungsreihe Sound & Science in Dresden.
Bildquelle: Erich Münch

Miriam Akkermann ist Musikerin und Wissenschaftlerin: Das hat den Vorteil, dass sie sowohl nachvollziehen kann, wie Musik zum Schlafen entsteht, als auch daran interessiert ist zu erforschen, wie sich Musik auf Schlafende auswirkt.

Der Name des Forschungsnetzwerks, in dem sie das tut, ist sprechend: „Lullabyte“ kommt von „lullaby“, also Schlaflied oder Wiegenlied. Und „byte“, eine Datenmenge von 8 Bits, deutet darauf hin, dass die Wissenschaftlerin und ihr Team ihre Untersuchungen nicht auf die musikalische Struktur von „Twinkle twinkle little star“ beschränken oder die intertextuellen Bezüge von „Der Mond ist aufgegangen“, sondern in ihren Experimenten große Mengen von Daten erfassen und digital analysieren.

Ausgangspunkt des Lullabyte-Projekts in seiner jetzigen Form war eine Kooperation eines Wissenschaftsteams im Jahr 2020: mit Miriam Akkermann als Musikwissenschaftlerin, dem Schlafforscher Martin Dresler vom Donders Sleep and Memory Lab in Nijmegen und dem Informatiker und High-Performance-Computing-Experten Dirk Pflüger von der Universität Stuttgart.

Miriam Akkermann erforscht den Effekt von Musik auf Schlaf.

Miriam Akkermann erforscht den Effekt von Musik auf Schlaf.
Bildquelle: Heike Steinweg

Wirkung von Schlafliedern

Denn obwohl es schon zuvor allerhand Forschung dazu gegeben habe, wie sich verschiedene Reize auf den Schlaf auswirken, sagt Miriam Akkermann, und auch Musik dabei berücksichtigt wurde, sah man dabei vor allem auf das Ergebnis und nicht so sehr auf die Musik selbst.

Deshalb stehen im aktuellen Projekt diese Fragen im Vordergrund: Welche Effekte hat Musik auf den Einschlafprozess und auf Schlafende? Welche Art von Musik wirkt wie? Liegt der Effekt von Musik schlicht an speziellen Frequenzen, die man isolieren kann? Und was ist mit der kulturellen Einbettung von Musik, also musikalischen Traditionen oder Genres: Wie sehr hängt etwa die Wirkung von Schlafliedern davon ab, dass die musikalische Tradition oder Sprache vertraut ist?

Nach vielversprechenden Experimenten, die aber weitere Fragen aufwarfen – Wie misst man überhaupt die Wirkung von Musik auf Schlafende? Was misst man? –, beschlossen Miriam Akkermann, Martin Dresler und Dirk Pflüger, das Forschungsprojekt zu erweitern. Über das europäische „Marie Curie Doctoral Network“ konnten sie Fördermittel einwerben. Seit 2022 forschen nun zehn Promovierende im „Lullabyte“-Verbund mit zehn Partnerinstitutionen. Die beteiligten Disziplinen reichen von der Neurowissenschaft und der Informatik über die Musikwissenschaft und das Sound Design bis zur Psychologie.

Ein- und Durchschlafstörungen

Den Forschenden ist bewusst, dass das Schlafen, eine existenzielle Körperfunktion, für viele Menschen zur „Problemzone“ geworden ist: Immer mehr Menschen leiden an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, die Qualität und Quantität von Schlaf hat in den vergangenen Jahren immer mehr abgenommen, und immer mehr Menschen versuchen mithilfe von Melatonin-Tabletten, Baldriantees und sogenanntem weißem Rauschen – darunter versteht man Geräusche, die etwa Meereswellen verursachen oder Schneestürme – dagegen anzukämpfen.

Im Lullabyte-Verbund gibt es durchaus auch ein Augenmerk darauf, dass sich mögliche Forschungsergebnisse hier kommerziell ausschöpfen lassen könnten. Miriam Akkermann hält indes die wissenschaftlichen Grundfragen für interessanter, die hier aufgeworfen werden: Was passiert, wenn wir einschlafen? Welche Mechanismen im Einschlafprozess werden durch die Musik beeinflusst. Wirkt Musik vielleicht nur indirekt: Weil sie uns hilft zu entspannen, und weil wir schneller einschlafen, desto entspannter wir sind?

Die Wissenschaftlerin interessiert sich offenbar vor allem jene Fragen, die besonders knifflig sind: Denn überhaupt zu messen, was im Gehirn beim Hören von Musik passiert, in diesem Fall durch Elektroenzephalografie (EEG), also die Messung von Gehirnströmen, ist alles andere als trivial.

„Was heißt zum Beispiel ‚Entspannung‘? Da passieren ganz verschiedene Dinge auf einmal im Gehirn. Musik und Klänge sind in gewisser Weise dafür prädestiniert, Entspannung zu fördern, weil sie auf sehr vielen unterschiedlichen Ebenen wirken und im Gehirn an mehreren Stellen verarbeitet werden. Das bedeutet für uns als Forschende, dass wir es mit einem sehr viel komplexeren Rezeptionsverhalten als zum Beispiel bei visuellen Reizen zu tun haben.“

Womit sich Akkermann als ausgebildete Musikerin außerdem beschäftigt: wie Musikerinnen und Musiker wissenschaftliche Ergebnisse für ihre Praxis nutzen. Gerade seit der Corona-Zeit gebe es eine ganze Reihe von Musikerinnen und Musikern, sagt Akkermann, die sich für den Zusammenhang von Schlaf und Musik interessieren. Allerdings pickten dabei manche aus den Forschungsergebnissen eher selektiv Inputs heraus, die sie dann für ihre eigene Arbeit verwenden.

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Lullabyte“ will Akkermann die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, in diesem Fall Neurologie, Musikwissenschaft und Kunst, hier Komponistinnen und Komponisten sowie praktizierende Musikerinnen und Musiker, viel enger aufeinander abstimmen und verbinden.

Zum Schlafen ins Museum 

Wie das in Sachen Schlaf und Musik gehen kann, zeigte eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe Sound & Science: Bei einem „Schlafkonzert“ im Dresdner Hygiene-Museum im Juni vergangenen Jahres, einer Kooperation der TU Dresden und der Dresdner Musikfestspiele, musizierten Miriam Akkermann und der Kontrabassist Klaus Janek eine Nacht lang Hunderte auf Liegen Dösende in den Schlaf und befragten das Publikum nach dem Aufwachen beim Frühstück, wie sich die Musik auf ihr Schlafverhalten ausgewirkt habe. Das sei zwar keine wissenschaftliche Untersuchung gewesen, es hätten sich aber interessante Einblicke in Aspekte ergeben, die beim Schlafen mit Musik eine Rolle spielen können.