In Therapie für die Forschung
Die Hochschulambulanz bietet Psychotherapie an und erforscht die individuelle Wirksamkeit von Therapieansätzen
27.11.2024
Wer den Weg in die Hochschulambulanz der Freien Universität Berlin gefunden hat, hat die wichtigste Entscheidung schon getroffen: nämlich professionelle Hilfe anzunehmen, um ein psychisches Problem zu bearbeiten und im besten Falle hinter sich zu lassen. Das Besondere: Ratsuchende werden dort auch Teil eines Forschungsprojektes und helfen ihrerseits Psychologinnen und Psychologen, Therapien zu verbessern. „Die Patientinnen und Patienten entscheiden selbst, wie stark sie in die Forschung eingebunden werden“, betont Psychotherapeutin Babette Renneberg. Sie ist eine der drei Professorinnen, die die Ambulanz leiten. Ihre Kollegin Christine Knaevelsrud ist spezialisiert auf klinisch-psychologische Interventionen, Claudia Calvano auf Kinder- und Jugendpsychologie.
Zu den Besonderheiten der Hochschulambulanz gehört, dass – anders als bei den meisten niedergelassenen Therapeuten – alle Altersgruppen, vom Kleinkind bis zu Hochbetagten, behandelt werden. Und neben der Forschung findet dort – als eine Kernaufgabe der Universität – auch Lehre statt. Die Ambulanz ist Teil des „Center for Mental Health & Digital Science“ (CMHDS), des klinisch-psychologischen Kompetenzzentrums am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität.
Digitale Angebote
Alternativ oder zusätzlich zur klassischen Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht werden verstärkt auch digitale Interventionen und Mischformen – sogenannte Blended-Care-Behandlungen – praktiziert und erforscht. „Wir bieten zum Beispiel Online-Psychotherapie in Krisen- und Kriegsgebieten an, kulturell adaptiert in verschiedenen Sprachen“, erklärt Christine Knaevelsrud. „Sowohl für Menschen mit Fluchthintergrund in Deutschland als auch für jene, die noch in der Krisenregion sind.“ Sehr erfolgreich läuft auch eine Intervention für Mütter mit postpartaler Depression, bei der ebenfalls digitale Ansätze genutzt werden.
Zu den übergeordneten Zielen der Ambulanz gehört es, herauszufinden, wie und für welche Indikation konventionelle Psychotherapien mit digitalen Angeboten verknüpft werden können. „Dazu machen wir eine große Studie gemeinsam mit der Bundestherapeutenkammer“, sagt Knaevelsrud. In einem EU-Projekt geht es gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation um die Frage How low can we go? Es geht hier darum, in Krisen- und Kriegsregionen, wo es keine Strukturen für psychotherapeutische Behandlungen mehr gibt, Angebote verfügbar zu machen.
Einige digital begleitete Gesundheitsanwendungen sind bereits für psychische Erkrankungen zugelassen. Die Resultate einer solchen App-Therapie sind nach Erfahrung der Forscherinnen, beispielsweise bei Depressionen, durchaus vergleichbar mit denen konservativer Therapie. „Allerdings gibt es Aspekte, die Patient und Therapeut am besten gemeinsam erarbeiten, die digital schwer umsetzbar sind“, schränkt Knaevelsrud ein. Und so steht vor der Entscheidung für die Therapieform immer das persönliche Gespräch in der Hochschulambulanz, in dem die Diagnose gesichert und Behandlungsoptionen diskutiert werden.
Seit 2022 im Forum Steglitz
Die Hochschulambulanz besteht seit 2009 und war ursprünglich auf dem Campus Dahlem angesiedelt. Eine Änderung des Psychotherapie-Gesetzes 2020 stärkte die praktische Ausbildung der Master-Studierenden und machte es notwendig, die Räumlichkeiten deutlich zu erweitern. Und so mietete die Freie Universität 2022 größere Flächen im Forum-Steglitz.
„Jedes Jahr haben wir 60 neue Master-Studierende, die hier in der Ambulanz ihre ersten Schritte machen, was Diagnostik und Therapie angeht“, sagt Babette Renneberg. Therapie im Shoppingcenter? Da kann man sich hinterher ja gleich belohnen … Babette Renneberg lacht. „Ja, kann man machen, es zeigt aber auch, dass Psychotherapie ein Behandlungsangebot ist, das in der normalen Alltagsumwelt gut integriert ist.“ Auf jeden Fall kann sich das Team von rund 25 Therapeutinnen und Therapeuten über mangelnden Zulauf nicht beklagen: Die Nachfrage nach Therapieplätzen ist stets größer als das Angebot. Zwar wird außer aktueller Suchtabhängigkeit prinzipiell jede psychische Störung behandelt. Die besten Chancen aufgenommen zu werden, haben diejenigen, deren Symptomatik in eines der Forschungsprojekte passt.
Neben einer kontinuierlich angebotenen Trauma-Ambulanz gibt es zahlreiche befristete Projekte: beispielsweise eine Gruppentherapie für Jugendliche mit sozialen Angststörungen und ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt zur Gruppentherapie zur Unterstützung von Frauen mit Borderline-Persönlichkeit bei der Erziehung ihrer kleinen Kinder.
Individuell angepasst
In einem Forschungsprojekt zu Depression werden mittels Aktivitätstracker Bewegungsmuster ermittelt und in Zusammenhang mit der depressiven Symptomatik gesetzt. Bei anderen Projekten werden Teilnehmende teils bis zu sechsmal pro Tag angefunkt, und gebeten, Fragen zu ihrem Stresszustand zu beantworten. Das alles ist freiwillig und wird individuell vereinbart.
Für wen ist welche Therapieform am besten? Was wirkt? Warum wirkt es? Und warum brechen manche Menschen frühzeitig eine Behandlung ab? „Wenn wir vorhersagen können, welche Menschen von einer Therapie profitieren und für wen eine andere besser ist, sind wir am Ziel der individuell-angepassten Behandlung“, sagt Babette Renneberg.