Mission Arterhalt
Die Biologinnen Elke Zippel und Katja Reichel wollen bedrohte Pflanzenarten wie Pfingstnelke und Arnika vor dem Aussterben retten
27.11.2024
Auf der Suche nach der Pfingstnelke hängt Elke Zippel manchmal buchstäblich in der Luft. Die stark gefährdete Pflanzenart wächst gern an steilen Felswänden, etwa im Thüringer Wald oder im Harz. Wenn die Biologin dort nach den wenigen verbliebenen Exemplaren der pinkfarben blühenden Nelkenart Ausschau hält, lässt sie sich zuweilen von Kletterfreunden aus dem Alpenverein abseilen.
Die graugrünen Polster sind außerhalb der Blütezeit schwierig zu entdecken. Koordinaten für potenzielle Fundorte erhält die Biologin von Landesumweltämtern. „Die Daten sind aber nur zum Teil aktuell, manche sind 30 Jahre alt“, berichtet sie. Um Samen abseits der Wege zu sammeln, erhält sie eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung. Die rein europäische Nelkenart ist nur in wenigen Ländern verbreitet. In England, den Niederlanden, Belgien und Polen gibt es noch eine Handvoll Vorkommen mit wenigen Pflanzen, etwas häufiger ist sie noch in Frankreich und im Schweizer Jura.
Verantwortung für den Fortbestand der Pfingstnelke
„Weil ein großer Teil des weltweiten Bestandes in Deutschland wächst, trägt unser Land eine besondere Verantwortung, die Art zu schützen und zu erhalten“, erläutert Elke Zippel, die auch wissenschaftliche Leiterin der Dahlemer Saatgutbank ist. Dort lagern die Samen von rund 3500 Wildpflanzenarten – bei minus 24 Grad Celsius. So bleiben sie über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte am Leben, stehen für Forschung und Naturschutz zur Verfügung und tragen dazu bei, das genetische Potenzial der Art zu erhalten.
Einen Teil der Samen nutzt die promovierte Biologin für die Anzucht von Jungpflanzen und um sie auf geeigneten Flächen in der Natur wiederanzusiedeln. „Anzucht, Transport, Pflanzen und Angießen sind ein mühseliges Unterfangen – aber es lohnt sich“, sagt sie. Auf diese Weise habe sie mit ihrem Team in den Kiefernwäldern des Brandenburger Oberbarnim, wo die Pfingstnelke noch vor 150 Jahren häufig anzutreffen war, die letzten beiden Vorkommen vergrößert und neue Populationen begründet.
Zuchtformen aus dem Gartencenter gefährden genetische Vielfalt
Ausgepflanzt werden dürfen nur Exemplare, deren Samen auch in der Umgebung der Pflanzfläche gesammelt wurden. Eine Pflanze, die an felsige Standorte in Thüringen angepasst ist, wird mit brandenburgischen Sandböden kaum klarkommen. „Lokale Anpassungen haben sich im Laufe der Evolution ausgebildet und genetisch manifestiert“, erläutert Elke Zippel. Diese genetische Vielfalt gelte es zu erhalten. Zuchtformen aus dem Gartencenter hätten dagegen in der Natur nichts zu suchen. „Wenn diese sich mit den Wildvorkommen kreuzen, zerstören sie die lokale Biodiversität.“
Arnika ist selten geworden
Mit der genetischen Vielfalt einer bedrohten Pflanzenart beschäftigt sich auch Katja Reichel: Ihr Schützling, die Echte Arnika (Arnica montana), gehört zu den Korbblütengewächsen, also zur selben Pflanzenfamilie wie Sonnenblume, Löwenzahn und Chicorée.
Als Schutz vor knabbernden Tieren enthalten die sonnengelben Blütenköpfe der Arnika eine hohe Konzentration des Giftstoffes Helenalin. In geringer Dosis und als Salbe aufgetragen wirkt die Substanz bei Säugetieren und Menschen entzündungshemmend. Dass die Rohstoffe dafür überwiegend aus Wildvorkommen der eigentlich geschützten Pflanze gewonnen werden, ahnt jedoch kaum jemand.
Heute ist Arnika selten, größere Vorkommen findet man nur noch in den Bergen. Der Rückgang hat viele Auslöser: Je nach Region sind es oft Nutzungsaufgabe oder Überdüngung von Arnika-Wiesen, das Trockenlegen von Feuchtbiotopen oder auch zu intensives Sammeln. Kürzere Winter und trockenere Sommer werden der Art künftig weiter zusetzen.
Zusammen mit anderen Forschenden untersucht Katja Reichel am Beispiel der Arnika modellhaft, wie sich genetische Vielfalt innerhalb einer Pflanzenart am besten messen lässt – sowohl über Ländergrenzen hinweg als auch im zeitlichen Verlauf.
Referenzgenom ist Grundlage für internationale Zusammenarbeit
Dafür erstellt die Biologin in internationaler Zusammenarbeit ein Referenzgenom für den „Europäischen Referenzgenom-Atlas“, eine wichtige Grundlage für länderübergreifende Vergleiche. Katja Reichels Forschung wird im Rahmen des Projekts „Biodiversity Genomics Europe“ von der Europäischen Union, der Schweiz und Großbritannien gefördert.
„Trotz sinkender Kosten für DNA-Sequenzierung ist das Messen genetischer Vielfalt nach wie vor schwierig“, sagt die Forscherin. Deshalb testet sie verschiedene Methoden für das genomische Monitoring.
Außerdem möchte sie herausfinden, ob Arnika sich besser durch Samen oder Ausläufer vermehrt – denn sie kann beides – und ob es möglich ist, die genaue Herkunft von zur Arzneiherstellung genutzter Arnika per DNA-Vergleich zu ermitteln.
Ein faszinierendes Geheimnis jedoch bleibt: Wie die Arnica montana überhaupt nach Europa kam. Denn ihre nächsten Verwandten leben heute in der Nordpolarregion, in Sibirien, Japan und vor allem Nordamerika.