Von Fakten zum gelebten Wissen
Aktivist*innen aus Botswana und Uganda gaben am SFB „Intervenierende Künste“ Impulse für ein Barcamp über Wissenschaft, Aktivismus und Kunst in der Klimakrise, das am 22. November 2024 stattfindet.
12.11.2024
Im Workshop zur Vorbereitung des Barcamps: Matthias Grotkopp, Yvonne Pfeilschifter, Isaac Ssenttimbwe, Edwin Namakanga, Eva Backhaus, Tinaye Mabara, Simon Teune.
Bildquelle: Marion Kuka
Tinaye Hazel Mabara aus Botswana ist Umweltschützerin und Klima-Kommunikatorin. Sie hat Umweltwissenschaft und -technologie an der Chinhoyi University of Technology in Zimbabwe studiert. Nun sitzt die lebhafte, junge Frau für einen Workshop am Konferenztisch einer Dahlemer Villa – auf Einladung des Filmwissenschaftlers Matthias Grotkopp, der ein Projekt über die Audiovisualität des Klimawandels am Sonderforschungsbereich „Intervenierende Künste“ leitet.
Tinaye Hazel Mabara aus Botswana ist Umweltschützerin und Klima-Kommunikatorin. Auf Instagram ist sie unter anderem als @ecogirlafrica unterwegs.
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„An meiner Universität glauben alle, dass man nur die wissenschaftlichen Fakten über globalen Klimawandel und Umweltverschmutzung mitteilen müsse, um die Menschen aufzurütteln“, sagt Tinaye Mabara. Sie habe jedoch andere Erfahrungen gemacht: Fakten erreichen die Herzen der Menschen nicht. „Lernen und Verhaltensänderung funktioniert nur dann, wenn ich persönlich und in meinem lokalen Kontext angesprochen werde. Was geht mich ein steigender Meeresspiegel an, wenn ich in den Bergen wohne?“
Mit am Tisch sitzen Mitglieder des SFB aus verschiedenen Disziplinen. Laura und Simon kommen aus der Soziologie, Yvonne aus der Filmwissenschaft, Sophie beschäftigt sich mit Tanz und Klimagerechtigkeit, Petra koordiniert das Teilprojekt „Öffentlichkeiten“ am SFB. Ihr gemeinsames Ziel: zu erforschen, wie künstlerische Perspektiven in gesellschaftliche Prozesse hineinwirken können. Auch als Gast geladen sind die Schauspielerin und Theaterpädagogin Leicy Valenzuela und Marco Clausen, der an der Spore Initiative Lernprogramme entwickelt. Der Austausch mit Tinaye Mabara sowie den Klima-Aktivisten Edwin Namakanga und Isaac Ssenttimbwe, die ebenfalls dabei sind, dient der Vorbereitung auf ein Barcamp, das der SFB am 22. November veranstaltet. Der Titel: „Von Fakten zu gelebtem Wissen: Wie können Wissenschaft, Aktivismus und Kunst gesellschaftliches Handeln in der Klimakrise gestalten?“
Impulse von Klima-Aktivist*innen
Isaac Ssenttimbwe (rechts) ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Agape Earth Coalition, einem Dachverband für junge Klimaschützer*innen aus Afrika.
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„Für uns ist es ein Glücksfall, dass wir mit Tinaye, Edwin und Isaac sprechen können“, sagt Matthias Grotkopp. Die Gäste reisen durch Europa – mit weiteren Stationen in Strasbourg, London, Lubljana, Brüssel, Bonn, Hamburg und Wien –, um sich mit Aktionen, Veranstaltungen und Interviews für Klimagerechtigkeit und Klimafolgenfinanzierung einzusetzen. Ihr Abstecher nach Berlin-Dahlem ist die einzige Station ihrer Reise an einer Universität und bietet den Forschenden am SFB Gelegenheit, die Perspektive von Aktivist*innen einiger afrikanischer Länder unmittelbar kennenzulernen. Auch den Studierenden am Institut für Theaterwissenschaft stellten die Aktivist*innen Evelyn Acham, Aidah Nakku und Nicholas Omonuk ihre Anliegen in einem Gespräch vor.
Bei der Kommunikation über den Klimawandel seien Einfühlungsvermögen und Storytelling gefragt, betont Tinaye Mabara. Trotzdem habe sie immer wieder zu hören bekommen, dass sich Kunst und Kreativität nicht mit Wissenschaft vertragen würden. Mit ihren Projekten und ihren Social-Media-Kanälen beweist sie das Gegenteil. Genauso wenig gibt sich die Aktivistin mit dem Narrativ vom hilflosen afrikanischen Kontinent zufrieden. „Wir müssen nicht erst neu lernen, eine Wasserflasche nach dem Gebrauch nicht wegzuschmeißen. Für Recycling und nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sind wir weltweit ein Vorbild.“ Sie möchte jungen Menschen in Afrika ein Bewusstsein für ihre eigenen Fähigkeiten und ihre Kraft zur Veränderung geben. Am besten gelinge das in Gemeinschaftsprojekten.
Die Agape Earth Coalition vereint Klimaschutzorganisationen aus Afrika
„Gemeinsam können wir auch mehr Druck für Klimagerechtigkeit und Klimaschutz machen“, sagt Isaac Ssenttimbwe aus Uganda. Er ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Agape Earth Coalition, einem Dachverband für junge Klimaschützer*innen aus Afrika, darunter Jugend-NGOs und basisorientierte Bewegungsgruppen. Mit dem Netzwerk möchte er Aktivist*innen auch einen sicheren Raum geben, um ihre Ideen auszutauschen und Kampagnen zu planen. Außerdem koordiniert er die GirlOnTheMove Initiative, eine Plattform, die junge Frauen ermutigt, ihre Träume zu verfolgen und positiv in der Welt zu wirken.
Edwin Namakanga (rechts) ist Mitglied von Fridays for Future – Most Affected People and Areas (MAPA) sowie der der RiseUp-Bewegung und arbeitet als stellvertretender Social-Media-Manager der Agape Earth Coalition.
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Dazu gehört für ihn auch, stets mit selbst aufgenommenen Bildern zu kommunizieren. Aus Fehlern mit Fotos von Bildagenturen hat er gelernt, dass eine eigene Bildsprache Authentizität verleiht und Identität stiftet. Eigene Bilder, eigene Geschichten können helfen, Klima- und Naturschutz zu Themen werden zu lassen, über die man sich auch zu Hause unterhält.
Möglichkeiten zum Handeln aufzeigen
„Wir müssen aber auch Möglichkeiten zum Handeln aufzeigen“, sagt Tinaye. Sonst münde das Wissen um den Klimawandel nur in Angst. Die eigenen Konsumgewohnheiten zu ändern, sei jedoch nur ein Aspekt, wichtiger finden die Gäste das gemeinsame politische und gesellschaftliche Engagement.
Edwin Namakanga hat in seiner Heimat im Osten Uganda erlebt, wie extreme Wetterereignisse Gemeinden zerstört und Menschenleben gekostet haben. Daraufhin engagierte er sich in Jugendklima-Initiativen, wurde Mitglied von Fridays for Future – Most Affected People and Areas (MAPA) und der RiseUp-Bewegung. Zurzeit arbeitet er als stellvertretender Social-Media-Manager der Agape Earth Coalition.
Auf mehreren Klimakonferenzen der Vereinten Nationen habe er sich bereits dafür eingesetzt, dass reiche Staaten in einen Klimafonds einzahlen, weil sie ja schließlich für die meisten Treibhausgasemissionen verantwortlich seien. Das Geld soll ärmeren Staaten für Schäden nach klimabedingten Katastrophen gezahlt werden und ihnen helfen, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen.
„Auf der letzten Weltkonferenz in Dubai sah es fast so aus, als würde ein Mechanismus für einen finanziellen Ausgleich etabliert werden“, sagt er. Die Zusagen für Beiträge in den Fonds blieben jedoch weit hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück. Derzeit wird über das Thema auf der 29. Klimakonferenz in Baku, Aserbaidschan, erneut gestritten.
Wichtig ist allen Gästen, dass internationale Organisationen und NGOs nicht versuchen sollten, die Probleme des globalen Südens zu lösen, ohne die Menschen vor Ort einzubeziehen. „Nichts für uns darf ohne uns geschehen“, sagt Tinaye Mabara.
Austausch zwischen Wissenschaft, Aktivismus, Journalismus und Kunst
Leicy Valenzuela aus Chile ist Schauspielerin und Theaterpädagogin an der Universität der Künste Berlin. Auch sie gab ihren Input zur Vorbereitung des Barcamps.
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Ein Grundsatz, den die Gastgeber des Workshops bereits beherzigen: „Das Treffen hat uns noch einmal gezeigt, wie wichtig Empathie, Verbindung und Erweiterung von Perspektiven aus den Künsten und Medien für die Bewältigung ökologischer Krisen sind“, so das Fazit von Matthias Grotkopp. „Universitäten sollten sich verstärkt als Ort des Austausches zwischen Wissenschaft, Aktivismus, Journalismus und den Künsten verstehen – sowohl in Hinblick auf die Solidarität mit den Menschen des Globalen Südens, die jetzt schon am meisten betroffen sind, als auch in Hinblick auf lokale Netzwerke und Initiativen, die hier für ein anderes Verhältnis zur Erde, zum Wasser und zu anderen Lebewesen arbeiten.“
Im ganztägigen Barcamp am 22. November wird es darum gehen, Wissen über die Klimakrise in alltägliche Erfahrungen und Handlungsweisen umzusetzen. Lange habe man versucht, die Menschen mit Fakten zum Handeln zu bewegen, sagt Yvonne Pfeilschifter, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Mitorganisatorin. „Doch diese Strategie funktioniert offensichtlich nicht.“ Über eine Katastrophe nach der anderen werde in den Medien berichtet, im Alltag distanzierten sich die Menschen jedoch schnell wieder davon. Das Barcamp soll neue Wege aufzeigen, wie Wissen über die Klimakrise in die alltägliche Realität der Menschen eingebettet werden kann. „Dafür wollen wir gemeinsam nach Lösungen, Narrativen und neuen Bildern suchen“, sagt Matthias Grotkopp. Eingeladen sind alle, die an einem solchen Austausch interessiert sind.
Weitere Informationen
Barcamp „Von Fakten zu gelebtem Wissen: Wie können Wissenschaft, Aktivismus und Kunst gesellschaftliches Handeln in der Klimakrise gestalten?“
- Dienstag, 22. November 2024 | 09.00 bis 17.00 Uhr
- Change Hub, Hardenbergstraße 32, 10623 Berlin
- Anmeldung
- Die Ergebnisse werden auf der Website des SFB Intervenierende Künste veröffentlicht.
Im SFB Intervenierende Künste erforschen Wissenschaftler*innen von drei Berliner Hochschulen, der Europa-Universität in Frankfurt/Oder und der Universität Lüneburg gemeinsam, wie künstlerische Perspektiven und Positionen in gesellschaftliche Prozesse hineinwirken. Im Fokus steht das Verhältnis von Kunst, Gesellschaft und Politik. Sprecherin des an der Freien Universität Berlin angesiedelten Forschungsverbundes ist Karin Gludovatz, Professorin für Neuere Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. Der SFB kooperiert auch mit außeruniversitären Partnern wie der Akademie der Künste (AdK) in Berlin.