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„Forschende müssen sich darauf verlassen können, dass die Universität hinter ihnen steht“

Herabwürdigung, Beleidigung und Bedrohung von Wissenschaftler*innen: Bei einer Podiumsdiskussion an der Freien Universität Berlin diskutierten Forschende mit Expertinnen über Hatespeech, Unterstützungsangebote für Betroffene und Gegenstrategien

23.10.2024

Wissenschaft braucht Öffentlichkeit. Aber Hassrede und digitale Gewalt gegenüber Wissenschaftler*innen nehmen zu. Wie können sie geschützt werden?

Wissenschaft braucht Öffentlichkeit. Aber Hassrede und digitale Gewalt gegenüber Wissenschaftler*innen nehmen zu. Wie können sie geschützt werden?
Bildquelle: dpa / Peter Kneffels

Wissenschaft ist angewiesen auf Öffentlichkeit: Ohne den freien Austausch von Worten und Widerworten, ohne das Zirkulieren von Argumenten und kritischer Analyse ist Wissenschaft schlechterdings nicht möglich. Was aber, wenn die kritische öffentliche Debatte umschlägt in eine feindliche Öffentlichkeit, in Hatespeech, Diffamierung und Bedrohung von Wissenschaftler*innen?

Die von der Freien Universität organisierte Podiumsdiskussion „Wissenschaftskommunikation schützen: Was tun bei Hatespeech und digitaler Gewalt?“ widmete sich genau diesem Phänomen, stellte Unterstützungs- und Hilfsangebote für Betroffene vor und diskutierte Strategien im Umgang mit Hatespeech und Wissenschaftsfeindlichkeit.

Kommunizieren von Wissenschaft ist eine Kernaufgabe

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler umriss in seinem Grußwort, was auf dem Spiel steht: Einschüchterungen, Anfeindungen, Aggressivität gegenüber Wissenschaftler*innen hätten ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Angriffe im digitalen Raum bedrohten inzwischen nicht mehr nur die persönliche Sicherheit und psychische Gesundheit der Betroffenen, sondern auch die Freiheit der Wissenschaft selbst.

Es sei Aufgabe der Universität, ihre Forscher*innen zu unterstützen und zu schützen, sagte Ziegler: „Sie müssen sich darauf verlassen können, dass die Universität hinter ihnen steht.“ Die Freie Universität unterstütze durch ihr Social-Media-Team, ihre Rechtsabteilung bis hin zu Angeboten der psychologischen Betreuung.

Margreth Lünenborg, Professorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität, moderierte die anschließende Diskussion. Sie betonte, dass das öffentliche Kommunizieren von Wissenschaft zum Kern des wissenschaftlichen Arbeitens und heute zur Qualifikation von Wissenschaftler*innen zähle. Die Universität müsse wollen, dass ihre Angehörigen sich öffentlich äußern und exponieren, um ihre gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Genau dies aber gehe zunehmend mit Gefahren und Risiken einher: mit Beschimpfungen, Beleidigungen, Anfeindungen, Bedrohungen.

45 Prozent der befragten Wissenschaftler*innen kennen Wissenschaftsfeindlichkeit

Doch was genau ist eigentlich mit Hatespeech gemeint? Birte Fähnrich, Privatdozentin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, gab einen kurzen Überblick über den Forschungsstand und stellte eine Studie des KAPAZ-Verbundes vor (KAPAZ steht für Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit). Erstes Fazit ihres Impulses war, dass es zum Thema Wissenschaftsfeindlichkeit wenig empirische Daten gebe, die ein Gesamtbild ermöglichen könnten: Man wisse also eigentlich nicht wirklich, wie häufig und wie weit verbreitet das Phänomen sei; allerdings seien immer mehr Einzelfälle dokumentiert.

Wissenschaftsfeindlichkeit an sich sei kein neues Phänomen, sagte Fähnrich, es sei aber davon auszugehen, dass durch soziale Medien insbesondere Hatespeech als eine besondere Ausformung zugenommen habe. Mit Hatespeech bezeichne man Herabwürdigung, Beleidigung und Beschimpfung von Wissenschaftler*innen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Fähnrich zitierte aus der Studie, nach der 45 Prozent der befragten Wissenschaftler*innen bereits Erfahrung mit Wissenschaftsfeindlichkeit gemacht hätten. Welche Folgen diese Erfahrung aber habe, wie es ihre Arbeit beeinträchtigte, möglicherweise auch ihre Gesundheit, sei weitgehend unerforscht.

Gefahr der Selbstzensur

Einen Einblick, wie es sich anfühlt, wenn man selbst zum Ziel von Hassrede wird, gab Jannis Grimm, Leiter der Forschungsgruppe „Radical Spaces“ am Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung der Freien Universität. Grimm schilderte, wie er aktuell ein erhebliches Ausmaß an aggressiven Reaktionen erfahre, weil er sich als Konfliktforscher zum Nahostkonflikt äußere. Dies sei nicht das erste Mal, betonte Grimm; er habe bereits in der Vergangenheit ganz verschiedene Erfahrungen von Anfeindungen und Bedrohung gemacht, etwa von einigen staatlichen Akteuren in Nordafrika und deren hiesigen Vorfeldakteuren, nachdem er politische Gewalt und staatliche Menschenrechtsverletzungen in deren Ursprungsländern kommentiert habe.

Grimm sprach die Gefahr an, dass Wissenschaftler*innen aus Selbstschutz bestimmte Themen vermieden und zitierte eine Umfrage der University of Maryland aus den USA, nach der dort inzwischen mehr als 95 Prozent der nicht fest angestellten Wissenschaftler*innen, die zum Nahen Osten und Nordafrika arbeiten, angaben, sich beim Sprechen und Schreiben über den israelisch-arabischen Konflikt selbst zu zensieren, um Hatespeech und Hasserfahrungen zu vermeiden; bei etablierten Lehrenden mit entfristeten Stellen seien es immer noch mehr als 80 Prozent.

Für Grimm selbst hätten die feindlichen Reaktionen eine neue Dimension erreicht, seit er sich zu den Klimaaktivist*innen der Letzten Generation medial äußerte. An Reaktionen sei da alles dabei: von ungefragt zugesandten Auszügen aus dem Alten Testament, über Phishing Versuche, bis hin zu Morddrohungen. Aber erst seit er sich zur israelischen Kriegsführung in Gaza und dem Libanon öffentlich geäußert habe, seien die Bedrohungen aus dem digitalen Raum auch in die Offline-Wirklichkeit gekippt: auf Twitter-Beschimpfungen folgten zerschnittene Reifen. „Man wird online markiert und dann offline angegriffen“, sagte Grimm.

Die Folge sei, dass gerade junge, weibliche oder migrantisch gelesene Wissenschaftler*innen, die statistisch gesehen stärker von Hass und Hetze betroffen sind, in Zukunft wohl überlegen würden, ob und wie sie sich äußern oder welche Forschungsfelder sie vielleicht vermeiden sollten, um nicht derartigen Angriffen ausgesetzt zu werden.

Hilfe durch den Scicomm-Support des Bundesverbands Hochschulkommunikation

Was aber hilft? Und welche Angebote gibt es, an die sich Betroffene wenden können? Julia Wandt, Expertin für Hochschulkommunikation und Mitinitiatorin des Scicomm-Supportes, stellte die Beratungsstelle Scicomm-Support vor, die „nationale Anlaufstelle bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation“, die vom Bundesverband Hochschulkommunikation, in dem auch die Freie Universität Berlin Mitglied ist, und Wissenschaft im Dialog eingerichtet wurde.

Der Scicomm-Support versteht sich als Beratungs-, Unterstützungs- und Hilfeangebot, erreichbar über eine Telefonberatunghotline, die täglich von 7 bis 22 Uhr besetzt ist.

Wandt sagte, Angriffe auf Wissenschaft habe es auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben; seit ein paar Jahren haben diese zugenommen, und es gebe dementsprechend großen Bedarf an Beratung und Unterstützung für Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen, die zur Zielscheibe würden. Der Scicomm-Support stellt dann Beratung auf kommunikativer Ebene, medienrechtliche Beratung sowie psychologische Unterstützung bereit. Darüber bietet er Trainings und Workshops sowie Informationen wie einen Leitfaden auf der Website an.

Man kooperiere dabei unter anderen mit HateAid, einer gemeinnützigen Organisation zur Beratung und Unterstützung von Betroffenen von Online-Hassrede und Hasskommentaren, dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg und einer Rechtsanwaltskanzlei, die Rechtsberatung bietet.

Austausch an der Freien Universität Berlin soll fortgeführt werden

Julia Wandts Kollegin Kristin Küter von Wissenschaft im Dialog und als Projektleiterin und Beraterin aktiv im Scicomm-Support schilderte eine Dynamik der aggressiven Kommunikation in den sozialen Medien, die häufiger beobachten werden kann: Äußerungen von Wissenschaftler*innen in den Medien werden im Nachgang von Blogger*innen oder Influencer*innen aufgegriffen, so „markiert“ und deren Follower*innenschaft aktiviert. Es drohen Shitstorms, also massenhafte negative Reaktionen in sozialen Medien, die Gefahr von Doxxing, bei dem private Adressen und Kontaktdaten der Betroffenen veröffentlicht werden, sowie gezielte Kampagnen gegen die Wissenschaftler*innen. Mitunter können sich diese Online-Anfeindungen auch ins Analoge übertragen.

Der Scicomm-Support berate in solchen Fällen, wie am besten reagiert und, ob geantwortet werden solle, welche Schritte für die eigene Sicherheit wichtig sind und, ob strafrechtliche Schritte angebracht seien und vermittele bei Bedarf psychologische Beratung.

Der Austausch an der Freien Universität Berlin über das wichtige Thema des Schutzes von Wissenschaftskommunikation und darüber, wie vor allem die Forschenden, die sie leisten, geschützt und unterstützt werden können, soll fortgeführt werden. Das sagte die Universitätsleitung bei der Veranstaltung zu.

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