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Wie man instabile Moleküle einfängt und zu neuen Reagenzien macht

Chemiker Max Martin Hansmann erhält den Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis 2024

04.10.2024

Preisträger Max Martin Hansmann forscht an der TU Dortmund.

Preisträger Max Martin Hansmann forscht an der TU Dortmund.
Bildquelle: Bettina Engel-Albustin / Fotoagentur Ruhr

Bei einer chemischen Reaktion entsteht, vereinfacht gesagt, aus den Molekülen A und B das Produkt C. Geht es um organische oder biochemische Reaktionen, bilden sich bei der Umsetzung meist reaktive Zwischenstufen. Das sind kurzlebige Moleküle – zum Beispiel Radikale, negativ geladene Carbanionen oder positiv geladene Carbeniumionen – die, energetisch betrachtet, auf einem sehr hohen Energieplateau sitzen. Sie benötigen quasi nur noch einen winzigen Schubs, um zum Produkt abzureagieren, und setzen dabei ihre überschüssige Energie wieder frei. In Reaktionsgleichungen tauchen sie gar nicht auf – wohl aber im Kopf und auf Skizzen von Chemikerinnen und Chemikern, wenn diese den Mechanismus einer Reaktion nachvollziehen wollen. Der Nachweis dieser Intermediate ist häufig extrem aufwendig, funktioniert allenfalls bei sehr tiefen Temperaturen und kurzzeitig. Denn, wie gesagt, sie reagieren normalerweise extrem schnell weiter.

Max Martin Hansmann, Professor für Organische Chemie an der Technischen Universität Dortmund, gelingt es, diese schwer fassbaren Moleküle mit einem Kunstgriff elektronisch in einer Weise zu verändern, dass sie nicht nur stabil werden – sondern perspektivisch sogar selbst als Reagenzien bei Synthesen eingesetzt werden können. Zu diesen Substanzen gehören unter anderem neuartige, ungewöhnlich polarisierte oder ungesättigte Diazoverbindungen, die in der Lage sind, ein Kohlenstoffatom auf andere Moleküle zu übertragen. Etwa um einen Aldehyd in ein Alkin oder in ein Butatrien umzuwandeln. „Solche Reaktionen, die normalerweise eine mehrstufige Synthese benötigen, sind zum Beispiel interessant, um komplexe Naturstoffe schneller aufzubauen. Zumal das neueste Reagenz relativ einfach herstellbar ist“, sagt Max Martin Hansmann.

Als Postdoc in den USA

Dieses Projekt, aktuell ein Teilprojekt seines ERC Starting Grant, ist exemplarisch eines der vielen spannenden Felder, auf dem die Gruppe aktiv ist und das auch zur Auszeichnung mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis geführt hat. Die mit 50.000 Euro verbundene Ehrung wird im jährlichen Wechsel – nach Auswahl des Preisträgers oder der Preisträgerin durch zwei Fachkommissionen der Freien Universität Berlin – an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Chemie und der Physik verliehen. Sie gehört zu den höchstdotierten, privat finanzierten Preisen für junge deutsche Spitzenforschende.

Die Jury würdigt Max Martin Hansmann „für seine zukunftsweisenden Arbeiten zu bisher unbekannten reaktiven Zwischenstufen sowie neuartigen Redoxsystemen“. Die Preisverleihung findet am 21. November um 17 Uhr im Großen Hörsaal im Institut für Chemie der Freien Universität in der Arnimallee 22 statt (Anmeldung unter klung-wilhelmy-wissenschafts-preis.de).

Der 37-jährige Chemiker stammt aus einem stark medizinisch geprägten Elternhaus und wuchs in Köln und Frankfurt auf. Zur Chemie und auch zur Chemie-Olympiade brachte ihn eine engagierte Lehrerin am Gymnasium. Am liebsten hätte er Physik und Chemie studiert, doch das ging im Bachelorprogramm nicht. Dann eben Chemie an der Uni Heidelberg: Bachelor, Master und Promotion. Bereits während des Studiums sah er sich, unterstützt von der Studienstiftung des Deutschen Volkes und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), im Ausland um. Er absolvierte Praktika in Austin (Texas), im britischen Cambridge und wechselte während der Masterarbeit zu Barry Trost an die Standford University (Kalifornien). Auch für den Postdoktoranden-Aufenthalt verschlug es ihn ins südliche Kalifornien, nach San Diego.

Nach seiner Zeit im Ausland startete er 2017 zunächst als Liebig-Stipendiat des Fonds der Chemischen Industrie seine eigene Nachwuchsgruppe an der Universität Göttingen, bevor er 2019 einen Ruf auf eine Tenure-track-Professur an der TU Dortmund annahm.

Wie hat er zu seinem eigenen Forschungsthema in der Organischen Chemie gefunden? Biochemie habe er „konzeptionell“ sehr spannend gefunden. Nur dass man dabei nichts wirklich Sichtbares herstellen konnte, habe ihn gestört, sagt Hansmann lächelnd. Physikalische Chemie ist für ihn auch spannend, und auf diesem Gebiet arbeitet er heute viel, zum Beispiel, um Reaktionsmechanismen mittels kinetischer Messungen aufzuklären oder unterstützende quantenmechanische Rechnungen durchzuführen. Letztlich sei aber noch etwas anderes wichtig gewesen: „Wenn man an der Uni bleibt, ist man zwar in der Wahl der Forschungsthemen frei, muss aber in der Lehre die klassischen Fächer bedienen. Und da fand ich Organische Chemie schon immer am attraktivsten.“

Weg von Lithium und Cobalt? 

Während seine Forschung an reaktiven Zwischenstufen eher Grundlagenforschung ist, geht es bei den neuartigen Redoxsystemen um künftige Anwendungen. Zum Beispiel in der Photokatalyse oder der Energiespeicherung. Für die Photokatalyse werden üblicherweise Chromophore eingesetzt, die die sehr seltenen und teuren Metalle Ruthenium und Iridium enthalten. Max Martin Hansmann nimmt stattdessen organische Moleküle, die reversible ein, zwei oder mehr Elektronen aufnehmen und wieder abgeben können. 

„Die Idee dahinter ist, dass man dadurch gleich mehrere Oxidationsstufen in einem System parat hat und damit selbst extrem oxidierende oder reduzierende Prozesse steuern kann.“ Sein Team baut dazu Hybridmoleküle, bestehend aus einem kationischen, elektronenarmen Heterozyklus und einem stabilen Carben. Über die Wahl des Heterozyklus lässt sich die Photochemie gut steuern. Selbst vergleichsweise reaktionsträge Moleküle wie Benzol können mit diesem Photokatalysator oxidiert werden.

Außerhalb des Labors könnten organische Redoxsysteme in Redox-Flow-Batterien eingesetzt werden. Derzeit untersucht das Team, wie viele Elektronen sich in diesen Molekülen unterbringen lassen. „Ist so eine Batterie verbraucht, lassen sich die organischen Moleküle einfach verbrennen. Wenn letztendlich diese Rohstoffe wieder aus regenerierbaren organischen Verbindungen aufgebaut werden, könnte man den Zyklus schließen.“ Und man käme endlich weg von Lithium und Cobalt und dem problematischen Abbau der Metallerze in politisch instabilen Ländern.

Wo soll seine Forschung einmal hingehen? „Interessante Ideen in der Chemie sind häufig zufallsgetrieben. Was man gut planen kann, ist ja meist eher langweilig.“ Langeweile kennt er nicht, und bei der Frage nach der Freizeit winkt Max Martin Hansmann gleich ab. Ja, sowas hatte er mal … „Die schwierigste Aufgabe ist momentan die Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu halten“, sagt er. Im Sommer ist er das dritte Mal Vater geworden. Die Arbeitsgruppe zieht gerade in einen Neubau um. Ein Team von etwa 20 Forschenden zu betreuen, geht auch nicht mal eben nebenbei. Dafür wirkt er im Gespräch erstaunlich ruhig und gelassen.