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„Das wird nur schwer wieder heilen“

Eindrücke aus Jerusalem: Ein Interview mit Joachim Heberle, Physikprofessor der Freien Universität, der sich an der Hebrew University aufgehalten hat

13.10.2023

Joachim Heberle besuchte die Hebrew University in Jerusalem, eine Partneruniversität der Freien Universität, um eine gemeinsame virtuelle Vorlesung im Rahmen des GIVCA-Programms zu erarbeiten.

Joachim Heberle besuchte die Hebrew University in Jerusalem, eine Partneruniversität der Freien Universität, um eine gemeinsame virtuelle Vorlesung im Rahmen des GIVCA-Programms zu erarbeiten.
Bildquelle: privat

Joachim Heberle, Professor für Experimentelle Molekulare Biophysik an der Freien Universität Berlin und deren zentrale Ombudsperson, war am 2. Oktober auf Einladung der Hebrew University, mit der die Freie Universität eine strategische Partnerschaft verbindet, nach Jerusalem gereist, um gemeinsam mit Forschenden dort eine Veranstaltung vorzubereiten. Den Angriff der Hamas auf Israel am vergangenen Samstag hat Joachim Heberle in Jerusalem erlebt. Er schildert die Situation, die er bis zur geplanten Rückkehr mit einem Evakuierungsflug der Lufthansa am 13. Oktober erlebt hat.

Herr Professor Heberle, in welcher wissenschaftlichen Funktion waren Sie in Israel und an der Hebrew University?

Ich halte mich an unserer Partneruniversität, der Hebrew University in Jerusalem, auf, um eine virtuelle Vorlesung im Rahmen des GIVCA-Programms zu erarbeiten. GIVCA steht für German-Israeli Virtual Campus (GIVCA), eine virtuelle Plattform für die strategische Umsetzung von Lehr- und Forschungsprojekten.

Dafür bin ich zusammen mit meiner Frau am 2. Oktober angereist. Die Hebrew University hatte uns eine Wohnung im Studentenwohnheim am Mount Scopus im arabischen Viertel von Jerusalem zur Verfügung gestellt. In den folgenden Tagen pendelten wir mit Bus und Straßenbahn vom Campus Mount Scopus zum Safra-Campus im westlichen Teil Jerusalems. Die Fahrt zwischen den beiden Universitätsgeländen ist wie die Reise in einer kulturellen und Zeitmaschine. Vom arabischen Teil Jerusalems fährt der Bus 68 durch jüdisch-orthodoxe Viertel, Bewohner in ihrer traditionellen Kleidung steigen ein und aus. Da während unseres Aufenthalts Sukkot gefeiert wurde, das Laubhüttenfest, trugen viele Juden Festkleidung. Die Hüte der Männer – die Schtreimel der chassidischen Juden – sind dabei besonders beeindruckend. Am Hauptbahnhof besteigen dann wieder vermehrt Menschen in eher westlicher Kleidung den Bus. Der Safra-Campus in Givat Ram ist ein ganz eigener Kosmos: Er strahlt Ruhe, Freiheit und Wissenschaftlichkeit aus.

Gemeinsam mit meinem Kollegen Igor Schapiro vom Fritz-Haber-Center für Theoretische Chemie habe ich in mehrtägiger Arbeit die virtuelle Vorlesung für das GIVCA-Programm konzipiert. In den Videostudios der Hebrew University haben wir die Sprechteile der Vorlesung aufgenommen.

Wie haben Sie den Samstag erlebt, als die Hamas Israel angegriffen hat?

Am Morgen des Samstags, also während des Shabbat, der in Jerusalem als Zentrum der jüdischen Welt sehr ernst genommen wird, hat uns das Heulen der Sirenen geweckt. Mein Kollege Igor Schapiro hat mir sofort eine Textnachricht geschickt, dass es sich dabei nicht um eine Übung handelt. Wir sollten uns sofort in den „Mammad“ begeben, eine Art Bunker: Im Studentenwohnheim hat jede Wohnung ein Zimmer, dessen Mauern verstärkt sind, und eine dicke Metalltür samt verschiebbaren Metallläden, die das Fenster absichern.

Die Sirenen heulten den ganzen Vormittag über immer wieder. Wir haben den Tag in unserer Wohnung verbracht und uns über den Nachrichtensender Al Jazeera über die Raketenangriffe informiert. Da wir im arabischen Teil Jerusalems wohnten, konnten wir hören, wie einige Einwohner mit ihren Autos hupend durch die Straßen fuhren, um den Angriff der Hamas zu bejubeln. Das war ein sehr verstörender Eindruck, insbesondere nachdem klar wurde, mit welcher Grausamkeit und Barbarei die Hamas vorgegangen ist.

In den Videostudios der Hebrew University nahm Joachim Heberle die Sprechteile der Vorlesung auf. Er habe versucht, seiner Arbeit nachzugehen, soweit es möglich gewesen sei.

In den Videostudios der Hebrew University nahm Joachim Heberle die Sprechteile der Vorlesung auf. Er habe versucht, seiner Arbeit nachzugehen, soweit es möglich gewesen sei.
Bildquelle: privat

Wie haben Sie das Land und die Menschen nach den Angriffen erlebt? Welche Auswirkungen hatte die Situation auf Ihren Aufenthalt?

Zwei Tage nach dem Angriff hatte sich die Lage in Jerusalem etwas entspannt. Geschäfte und Restaurants öffneten langsam, doch die Einwohner trauten sich noch nicht für längere Zeit aus dem Haus. Da öffentliche Verkehrsmittel ebenfalls nur sporadisch fuhren, waren wir auf einen Mietwagen angewiesen, mit dem wir täglich zum Safra-Campus fuhren. Da zwischenzeitlich auch von Entführungen berichtet wurde, fühlten wir uns in einem Auto zudem sicherer. Die Gebäude der Universität sind relativ sicher, zumal sie über größere Bunker verfügen. Außerdem liegt der Safra-Campus sehr nah am Regierungsviertel, auch das verspricht Sicherheit.

Tatsächlich mussten wir während unseres Aufenthalts auf dem Campus die Bunker aufgrund des Raketenbeschusses mehrfach aufsuchen. In meinen Gesprächen spürte ich, wie tief der Schock in der israelischen Kollegschaft saß. Man sah ihnen das förmlich im Gesicht an. Israel ist ein kleines Land, alle kennen jemanden, der oder die sich während des Angriffs in der Nähe der Grenze zu Gaza aufgehalten hat und fürchterliche Erfahrungen durchmachen musste. Wir haben dennoch versucht, unserer Arbeit nachzugehen, sofern das möglich war.

Wie schätzen Sie das ein: Wird es Auswirkungen auf die Wissenschaftsbeziehungen zwischen Einrichtungen in Israel und den palästinensischen Gebieten auf der einen Seite und Einrichtungen in Deutschland auf der anderen Seite geben?

Dieser Angriff der Hamas hat eine unglaubliche Dimension, die Gräueltaten sind entsetzlich. Die fürchterlichen Bilder haben sich in das kollektive Gedächtnis der Israelis eingebrannt. Das wird nur schwer wieder heilen. Forschende können auf lange Sicht vielleicht etwas besser abstrahieren, sodass dem wissenschaftlichen Austausch in Zukunft eine besondere Rolle zukommen könnte.

Welche Auswirkungen könnte es konkret auf Projekte zwischen Einrichtungen der Region und der Freien Universität geben?

Die engen Bande, die nach der Shoa zwischen Israel und Deutschland geknüpft wurden, sind mittlerweile so stark, dass sie ganz sicher nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt werden. Da bin ich mir ganz sicher. Da ich als Naturwissenschaftler bisher wenig bis gar keine Erfahrung im Austausch mit Forschenden aus Gaza und dem Westjordanland habe, kann ich nur vermuten, dass die weitere Zusammenarbeit sicherlich nicht einfacher wird, nach allem, was geschehen ist. Es ist schwer zu sagen, was die Zukunft bringt.

Inzwischen sind Sie auf der Rückreise nach Berlin. Wie hat sich die Ausreise gestaltet?

Das war tatsächlich schwierig, denn anfangs haben wir so gut wie keine Informationen von der Deutschen Botschaft oder dem Auswärtigen Amt erhalten. Wir mussten bis 10. Oktober warten, dann kam die erlösende Nachricht vom Auswärtigen Amt, dass wir ausgeflogen werden. Bis dahin haben wir uns ziemlich alleingelassen gefühlt.

Man konnte dazu, wie spät Flüge für Deutsche, die Israel verlassen wollten, eingerichtet worden sind, bereits viel in den Medien lesen. Ich möchte das hier nicht weiter ausführen, weil unsere Verärgerung und auch Angst angesichts des Terrors, den die Menschen dort erlebt haben und noch erleben, unangemessen sind. Wir haben Tickets für die letzte Lufthansa-Maschine bekommen, die morgen, Freitag, 13. Oktober, um 17 Uhr nach München fliegen soll. Wir fahren morgen dennoch guter Dinge zum Flughafen und hoffen, dass alles klappen wird.

Die Fragen stellten Christine Boldt und Carsten Wette

Das Interview mit Professor Heberle fand am 12. Oktober statt. Für den Abend des 13. Oktober ist seine Rückkehr nach Deutschland geplant.