Springe direkt zu Inhalt

„Kreativ, originell und ästhetisch radikal“

3. März, 18.15 Uhr, Podiumsdiskussion zum Ovid-Jahr 2017: Ovid und die „europäische Phantasie“ / campus.leben im Gespräch mit Latinistikprofessorin Melanie Möller

01.03.2017

Vor 2000 Jahren starb Ovid, einer der einflussreichsten antiken Dichter. Den Auftakt für die Bimillenniums-Feierlichkeiten bildet die Diskussionsveranstaltung „Ovid und die ‚Europäische Phantasie‘“, die an diesem Freitag stattfindet. Auf dem Podium: der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme, der Lyriker Durs Grünbein, der englische Latinist William Fitzgerald, die Kunsthistorikerin Valeska von Rosen und der Klassische Philologe Jürgen Paul Schwindt. Latinistikprofessorin Melanie Möller von der Freien Universität, die das Programm zum Ovid-Jahr koordiniert hat, erläutert im Gespräch mit campus.leben, welche Rolle Ovid für die vielfältigen Kulturtraditionen Europas spielt.

Frau Professorin Möller, warum ist Ovid für die europäische Kulturgeschichte so wichtig?

Ovids Metamorphosen gehören mit Homers Ilias und Odyssee sowie Vergils Aeneis zu den am meisten rezipierten antiken Texten. Auch die Filmindustrie arbeitet sich bis heute an den Mythen ab, und fast immer in der Form, in der Ovid sie erzählt hat. Den meisten Menschen ist sein Einfluss dabei gar nicht unbedingt bewusst.

Die Metamorphosen sind ein besonderes Epos. Es geht in den Mythen nicht einfach nur darum, dass ein Held irgendetwas erlebt, und am Ende gibt es viele Tote, alles mit einem bestimmten geschichtlichen Ziel. Es sind vielmehr 250 verschiedene Verwandlungsgeschichten, in denen zumeist Menschen oder Halbgötter zu Pflanzen, Tieren und Sternbildern werden. Ovid hat dort Gattungsgrenzen überschritten, wie es vor ihm noch keiner gemacht hat, indem er beispielsweise Epos, Lehrgedicht und Elegie vermischt. Und er hat viel gewagt: Mit der erotischen Dichtung Ars Amatoria hat Ovid ein didaktisches Lehrwerk geschrieben, das die moralischen Maßstäbe der damaligen Zeit unterläuft. Bei alldem hat er sich stets von ethischen hin zu ästhetischen Fragen bewegt – eine sehr moderne Haltung.

Prof. Dr. Melanie Möller lehrt Lateinische Philologie an der Freien Universität. Zu Ovid veröffentlichte sie zuletzt eine Einführung auf 100 Seiten im Reclam-Verlag.

Prof. Dr. Melanie Möller lehrt Lateinische Philologie an der Freien Universität. Zu Ovid veröffentlichte sie zuletzt eine Einführung auf 100 Seiten im Reclam-Verlag.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Gab es überhaupt jemals eine gemeinsame europäische Phantasie?

Schon zu Ovids Zeit war die westliche Kultur stark auch östlichen Einflüssen unterworfen. Gleichwohl haben die klassisch griechische und römische Literatur in dieser Phase besondere, eigenwillige Profile entwickelt. Daraus ergibt sich eine der zentralen Fragen, von der ich hoffe, dass sie bei der Podiumsdiskussion kritisch verhandelt wird: Lässt sich ein spezifischer europäischer Kern herauskristallisieren, eine Art „europäische Phantasie“? Oder ist es eher eine globale Phantasie, auf die Ovid Einfluss hatte?

Der Literaturwissenschaftler Karl Heinz Bohrer, ehemaliger Herausgeber des „Merkur“, hat bei einer Podiumsdiskussion vor zwei Jahren den Verfechtern einer gemeinsamen europäischen Idee vorgeworfen, Einheitsfanatiker zu sein. Europa gründe auf Verschiedenheit, sagte Bohrer damals. Anstatt als Idee müsse man Europa als ein Gedicht verstehen, das aus verschiedenen Wörtern unterschiedlicher Sprachen bestehe. Ich finde den Gedanken interessant, wir sollten ihn aufgreifen. Wir könnten prüfen, inwiefern die einzelnen Wörter des Gedichts – also die einzelnen Elemente dessen, was die gemeinsame europäische Kulturgeschichte ausmacht – von Ovid geprägt sind.

Europa als Gedicht – wie ist das genau zu verstehen?

Es ist eine Möglichkeit, literarische Texte in einen Zusammenhang zu stellen, ohne gemeinsame Ideen oder Ideale vorauszusetzen. In Europa gibt es viele verschiedene Kunstrichtungen und Traditionen, sich literarisch zu artikulieren. Man kann hier Ähnlichkeiten und Verwandtschaftsverhältnisse finden, sollte es aber nicht übertreiben. Das „Gedicht“ beschreibt einen Versuch zu erfassen, was genau eigentlich zueinander ins Verhältnis gesetzt wird, wenn wir von einer europäischen Phantasie sprechen: Kunstwerke in all ihrer Komplexität und ihrem Facettenreichtum, vor allem in ihrer Verschiedenheit. Kunstwerke auch, die ihre Gemachtheit – ihre Künstlichkeit in den Worten Ovids – zu verbergen wissen.

Eine solche – auch kulturell bedingte – Vielfalt gab es schon zu Zeiten Ovids. Ähnlich wie wir heute stand er am Ende einer langen Entwicklung. Er verarbeitete Mythen und Geschichten aus verschiedenen Traditionen, in die Texte und Theorien aus verschiedenen Kulturen eingeflossen waren. Ovid hat in den Metamorphosen gezeigt, wie kreativ, originell und ästhetisch radikal er damit verfahren kann. Das macht ihn für uns so interessant, wenn wir uns darüber Gedanken machen, ob es einen gemeinsamen europäischen Geist gibt.

Die Fragen stellte Jonas Huggins

Weitere Informationen

Podiumsdiskussion zum Ovidjahr 2017: Ovid und die „europäische Phantasie“

Mit: Hartmut Böhme, Durs Grünbein, William Fitzgerald, Valeska von Rosen, Jürgen Paul Schwindt
Moderation: Heike Schmoll

Veranstaltet von Prof. Dr. Melanie Möller, Klassische Latinistik an der Freien Universität
in Kooperation mit dem Zentrum Grundlagenforschung Alte Welt und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Zeit und Ort

  • Freitag, 3. März 2017, 18.15 Uhr
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Leibnitz-Saal, Markgrafenstr. 38, 10117 Berlin, U-Bhf. Hausvogteiplatz (U2)

Weitere Informationen: Prof. Dr. Melanie Möller, E-Mail: latinistik@klassphil.fu-berlin.de, Telefon: 030 / 838-72683

Weitere Veranstaltungen zu Ovids Bimillennium

Es finden unter anderem eine Ringvorlesung, Lesungen, ein Workshop, eine Theateraufführung und eine wissenschaftliche Tagung statt. Zum vollständigen Programm