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Das Leiden sichtbar machen

Archäologen berichten über Funde auf dem Tempelhofer Feld / 20.11. um 19 Uhr im Alliierten-Museum

19.11.2014

Was bei den Grabungen auf dem Tempelhofer Feld entdeckt wurde, ist im Alliierten-Museum in der Clayallee zu sehen.

Was bei den Grabungen auf dem Tempelhofer Feld entdeckt wurde, ist im Alliierten-Museum in der Clayallee zu sehen.
Bildquelle: AlliiertenMuseum/Chodan

Archäologie-Professor Reinhard Bernbeck.

Archäologie-Professor Reinhard Bernbeck.
Bildquelle: privat

Die ersten Grabungen auf dem Tempelhofer Feld erfolgten 2012. Damals ahnte man noch nicht, wie viele historisch und archäologisch relevante Fundstücke tatsächlich unter der Oberfläche des ehemaligen Flugfeldes verborgen lagen. Geleitet wurden die bisherigen Grabungen von Professorin Susan Pollock und Professor Reinhard Bernbeck vom Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität. Am Donnerstag geben die Archäologen interessierten Besuchern bei der Veranstaltung „Archäologie der Moderne auf dem Tempelhofer Feld“ im Alliierten-Museum einen Einblick in ihre Arbeit und bisherige Ergebnisse.

Herr Professor Bernbeck, was haben Sie und Ihre Kollegin Professorin Susan Pollock bei den Grabungen am Tempelhofer Feld seit 2012 gefunden?

2012 bekamen wir den Auftrag, an den Stellen zu graben, wo die damals geplante Internationale Gartenschau in den Boden eingegriffen hätte. Zunächst fanden wir östlich der Lilienthalstraße die Überreste eines Zwangsarbeiterlagers der Lufthansa. Auf alten Plänen des Bundesarchivs kann man sehen, dass dort einmal Baracken gestanden haben, daneben waren ein Splitterschutzgraben und ein Löschteich. 2013 haben wir die Überreste des Konzentrationslagers Columbia und ein weiteres, großes Zwangsarbeiterlager der Weser Flugzeug GmbH freigelegt. Und 2014 kamen Grabungen im Südwesten des Tempelhofer Feldes hinzu, auch dort befand sich ein Lager der Weser Flugzeug GmbH für Zwangsarbeiter.

Gibt es einen Fund, den Sie als besonders wichtig einschätzen?

Vielleicht ist am wichtigsten, dass wir an einer Stelle fast keine Funde gemacht haben. Das war letztes Jahr, als wir das Gelände untersucht haben, auf dem sich die Überreste des Konzentrationslagers Columbia befinden. Das war ein Ort, an den in der Nazizeit Personen gebracht wurden, die dem Regime nicht genehm waren – Kommunisten, Homosexuelle, Gewerkschafter zum Beispiel. Die hat man dann dort eingeschüchtert und misshandelt. Das KZ war bis 1936 in Betrieb und wurde buchstäblich bis auf die Fundamente aus dem Boden herausgerissen, um dem großen Flughafengebäude Platz zu machen. Nur verlagerte Mauerreste und Negativspuren des Fundaments wurden gefunden.

Sie haben begleitend zu den Ausgrabungen auch mit Zeitzeugen gesprochen. Wie wichtig sind diese für die archäologische Arbeit?

Zwischen dem Nazibau im Nordwesten des Feldes und der Fläche, auf der heute der Columbia-Friedhof und die Şehitlik Moschee untergebracht sind, befand sich damals das sogenannte „Richthofen“-Zwangsarbeiterlager, in dem mehr als tausend Zwangsarbeiter untergebracht waren. Die meisten waren aus der Sowjetunion und Polen verschleppt worden. Wir konnten mit einigen wenigen dieser Zeitzeugen sprechen. Solche Berichte sind sehr wichtig, allerdings werden in der Erinnerung eher besondere Ereignisse prominent. An das Alltägliche können sich viele kaum erinnern. Ein Zeitzeuge konnte uns zum Beispiel nicht mehr sagen, wie das Mittagessen ausgeteilt wurde. Er hatte es vergessen. Manchmal sind die materiellen Hinterlassenschaften die einzige Quelle, um Vergangenheit aufzuarbeiten.

Archäologie ist also auch eine besondere Form der Vergangenheitsbewältigung?

Solche Grabungen sind ein Sichtbarmachen von Leiden in der Vergangenheit. Den einen Tag findet man Stacheldraht, den nächsten ein Stück Schmuck. Ich fasse das als Rest-Erinnerung auf an etwas, an das man sich eigentlich nicht erinnern kann. Die Funde sind überwiegend anonym. Die Archäologie ist ein Mittel, die Menschen, die hier gelebt haben, die Vergessenen, wieder ein bisschen sichtbarer zu machen.

Die Fragen stellte Nora Lessing

Weitere Informationen

Archäologie der Moderne auf dem Tempelhofer Feld
Veranstaltung des Alliierten-Museums

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 20. November 2014, 19 Uhr
  • Alliierten-Museum, Outpost Theater, Clayallee 135, 14195 Berlin
  • Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, der Eintritt ist frei